Mit einem unterdrückten Gähnen schlug ich das Buch vor mir zu und streckte mich auf meinem Stuhl. Kurz warf ich einen Blick zu meiner Freundin Mari, die sich verzweifelt die Schläfen massierte.
„Das wird doch nie was!", murmelte sie entnervt. Sie sah zu mir hinüber und schließlich wieder auf das vor ihr liegende Blatt mit ihren Rechnungen. „Dieses bescheuerte Seminar treibt mich noch in den Wahnsinn!"
Die junge blonde Frau knallte ihre Bücher zu und erhob sich. „Egal, ich versuche die Aufgaben morgen nochmal. Vielleicht fällt mir dann die Lösung ein."
Fordernd streckte sie die Hand nach meinem Buch aus, das ich ihr mit einem matten Lächeln gab, und ging dann davon, um die Bücher an ihren angestammten Platz in der Universitätsbibliothek zu stellen.
Mein Blick schweifte zum Fenster. Draußen war ein herrlicher Sommernachmittag, der langsam in den frühen Abend überging. Ich konnte das Ende des Semesters kaum erwarten, denn dann würden für zwei herrliche Monate keine Vorlesungen gehalten werden und glücklicherweise stand auch nur eine Klausur in dieser Zeit an.
Doch bis dahin mussten wir uns noch mit diesem furchtbaren Seminar herum schlagen. Übermorgen war die Abgabe des aktuellen Übungsblattes und trotz stundenlangen Brütens waren wir beide kaum voran gekommen.
Ich fischte meinen MP3-Player aus der Pullitasche, über den ich den ganzen Nachmittag lang mir die Filmmusik von Herr der Ringe angehört hatte. Howard Shore war schlichtweg einer der besten Komponisten, die ich kannte. Seine Musik zu hören war einfach wunderbar beruhigend und half mir, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Dazu kam, dass ich mir wunderbar einbilden konnte, in Bruchtal in Elronds Bibliothek zu sitzen.
„Lydia!", rief Mareike quer durch die Bibliothek nach mir und handelte sich dadurch einen strafenden Blick der Bibliothekarin ein. Die Stille war ihr heilig.
Rasch klappte ich meinen Laptop zu, nicht ohne einen letzten Blick auf das Bild des Erebor zu werfen, das ich mir als Hintergrundbild heruntergeladen hatte, und eilte hinter Mareike aus der Bibliothek.
Während wir zu den Schließfächern liefen, löste ich das Haargummi, mit denen ich meinen Pferdeschwanz zusammen gehalten hatte und strubbelte durch meine Haare. Innerhalb kürzester Zeit waren meine dunkelbraunen Locken eine wilde und zerzauste Haarmähne, aber es hatte etwas gegen die Kopfschmerzen nach der Paukerei geholfen.
„Hat es überhaupt einen Sinn, dich zu fragen, ob du heute Abend mit ins Kino kommst?", fragte Mareike, während sie ihre Tasche aus dem Schließfach zog und ihre Aufzeichnungen hinein stopfte.
„Mari...", erwiderte ich und rückte mir die Brille zurecht, „Ich sollte wirklich nach Hause."
Meine Freundin seufzte und sah mich missbilligend aus ihren leuchtend grünen Augen an.
„Deine Schwestern sind volljährig und kommen recht gut einen Abend ohne dich aus.", sagte sie mit leisem Vorwurf in der Stimme, doch sie lächelte nachsichtig. Sie wusste von der komplizierten Vergangenheit, die meine beiden jüngeren Schwestern und ich hatten, und gab sich so damit zufrieden, dass ich quasi nie ausging. Außer ihr hatte ich nur sehr wenige Freunde, die diese Eigenart ohne Murren akzeptierten.
Wir schulterten unsere Taschen und machten uns auf den Weg in Richtung Ausgang.
„Bleibt es eigentlich bei dem Plan, am Wochenende einen Filmemarathon zu machen?", fragte Mari.
„Aber klar.", grinste ich, „Du kommst zu uns?"
Sie nickte, „Ich bringe die Hobbitfilme mit und ihr kocht!"
„Gut, wir machen Pizza...", legte ich kurzerhand fest.
Wir verabschiedeten uns am Ausgang, Mari wandte sich zur Bushaltestelle, ich ging in Richtung Parkplatz, wo mein klappriger und treuer Fiat stand.Es war angenehm warm, nur ein paar dunkle Wolken am Horizont fielen mir auf, als ich mich in mein Auto setzte und dieses mit einem gequälten Röhren ansprang. Die wunderbar vertraute Hobbitmusik schallte aus den Lautsprechern und ließ mich fröhlich mit summen.
Ich verließ den Parkplatz und war bald auf der Bundesstraße, die mich in das Städtchen brachte, an dessen Rand ich mit meinen beiden Schwestern Elanor und Elisabeth wohnte.
Wir bewohnten ein großes Herrenhaus am Waldrand, das wir von unseren Eltern zusammen mit einem gewissen Vermögen geerbt hatten. Mutter und Vater waren gestorben, als die beiden Zwillinge Elanor und Elisabeth noch sehr klein gewesen waren. Viele Jahre waren wir drei zeitweise auch getrennt voneinander in Pflegeheimen untergekommen und nur das Testament unserer Eltern hatte uns das jetzige Leben gesichert. Denn mit der Volljährigkeit war uns das Haus zugefallen, wo wir nun seit erst zwei Jahren zusammen wohnten.
Da ich die Älteste war, hatte ich ständig die Sorge, mich nicht genug um die beiden Kleinen zu kümmern. Mari war der Meinung, ich wäre paranoid und überfürsorglich, sobald es um Ela und Lis ging. Doch was sollte ich tun? Als unsere Eltern starben, war ich sieben gewesen, die beiden gerade einmal zwei Jahre alt. Und achtzehn Jahre später, als ich 25 Jahre alt war, hatten wir endlich das Haus geerbt. Wir waren viel zu lange getrennt gewesen, ich musste für die beiden da sein.
Das Lied der Zwerge erklang und ich lauschte gebannt, kaum noch auf die Landstraße achtend. Gab es überhaupt eine schönere Stimme als die von Thorin? Jedes Mal, wenn das Lied begann, bekam ich eine absolute Gänsehaut.
Eine plötzliche Bewegung, da stand jemand auf der Straße!
Mit voller Kraft hieb ich auf die Bremse, doch es war zu spät. Ich erkannte nur noch, wie die Person zu Boden stürzte, dann kam das Auto endlich zum Stehen.
„Scheiße... Scheiße... Scheiße!", stieß ich hervor, schnallte mich mit zitternden Händen ab, riss die Tür auf und stürzte aus dem Auto.
„Ist alles in Ordnung? Haben Sie sich etwas getan?", rief ich und eilte um das Auto herum.
Was ich sah, ließ mich wie angewurzelt stehen bleiben.
Ein Mann mit wuscheligen Haaren und nackten Füßen richtete sich vor mir auf. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf mich und meinen Fiat, während er sich fahrig über den Stoff seines dunkelroten Gehrocks strich.
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Von Weltenportalen, Zwergencocktails, strickenden Zauberern und Elbendating
FanfictionNach einem ganz normalen Unitag fährt die junge Studentin Lydia fast einen Hobbit über den Haufen. Bitte was? Ja, tatsächlich stehen Bilbo, Thorin, Fili, Kili, Gandalf, Tauriel und Haldir vor ihr auf einer Landstraße, ohne die geringste Ahnung zu ha...