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Um 22 Uhr klingelte es an Roberts Tür und er ließ Annalena in seine Wohnung. Schon als sie einen Schritt in die Wohnung setzte, zog Robert sie in eine Umarmung. Er brauchte gerade etwas Halt. Es war immerhin einiges passiert an diesem Tag. Dann ließ er Annalena aber doch erstmal reinkommen.

"Möchtest du auch ein Glas Wein haben?", fragte Robert, als Annalena sich auf seinem Sofa niedergelassen hatte.

"Ich dachte, deshalb wäre ich hier.", lachte Annalena, was Robert dann mal als ein Ja verstand. Also kam er kurze Zeit später mit zwei Gläsern zurück.

"Nicht nur deshalb. Heute ist irgendwie viel passiert und ich brauche jemanden zum Reden. Und du bist einfach die beste Person dafür.", lächelte Robert leicht. Er war wirklich froh, dass Annalena da war. Das brauchte er gerade.

"Was ein Kompliment. Dann schieß mal los. Dafür bin ich jetzt ja da."

"Ich war heute Morgen beim BKA. Gestern habe ich auf meinem privaten Handy drei Anrufe von einer anonymen Nummer bekommen, bei der aber niemand gesprochen hat. Das kam mir ziemlich verdächtig vor, also habe ich das gemeldet. Und es kann tatsächlich sein, dass es ein Hinweis ist. Aber gleichzeitig hat mir dieser Herr Müller kaum noch Hoffnungen gemacht. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Es kann doch nicht sein, dass selbst die Behörden jetzt aufgeben! Und dann habe ich heute Mittag noch mit Marco gesprochen. Sie wollen an ihrem Parteitag Christian gedenken. Und er bzw die Parteiführung hat mich dazu eingeladen und angeboten, dass ich eine Rede halten darf. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.", seufzte Robert und schaute bedrückt zu Annalena, die abwartend zugehört hatte.

"Erstens, lass dir deine Hoffnung von diesen ganzen Menschen nicht nehmen. Ich weiß, manchmal sage ich dir auch, dass du abschließen musst. Aber niemand ist in deiner Situation, also lass dich nicht von deinen Gefühlen abbringen. Auch nicht von diesen Menschen in den zuständigen Behörden. Solange sie gut weiterarbeiten. Lass dich nicht verunsichern. Und zweitens, ich finde zumindest die Möglichkeit fair, die dir die FDP damit geben will. Und ich könnte mir vorstellen, dass es zumindest eine empathisch Geste wäre, wärst du zumindest da. Aber letztlich musst du entscheiden, ob das nicht eine zu große Zumutung ist und ob es nicht zu emotional werden könnte. Das wird ja sicherlich die gesamte Öffentlichkeit sehen."

"Meinst du es ist der richtige Zeitpunkt, um erstmals über Christians Verlust von meiner Seite aus zu sprechen?", fragte Robert nachdenklich.

"Es wäre zumindest eine Möglichkeit. Dann würdest du den Spekulationen in den Medien ein Ende setzen und würdest vielleicht nicht immer und immer wieder nach Stellungnahmen und Kommentaren gefragt."

"Das war auch mein Gedanke. Ich glaube, ich werde es machen. Ich werde da reden, so emotional es auch wird. Und vielleicht ist es eine ganz schlechte Idee, wenn ich so emotional werde und es jeder sehen kann, aber ich möchte nicht, dass Christian ohne jegliches Wort von mir verabschiedet wird. Das fühlt sich auch nicht richtig an. Und vielleicht kann ich dann nochmal ein Zeichen der Hoffnung setzen, dass es noch nicht vorbei ist. Auch wenn es vielen offenbar so scheint. Aber das wird alles andere als leicht."

Robert standen schon wieder Tränen in den Augen. Wenn er daran dachte, dass sie Christian mehr oder weniger verabschieden würden. Ihn für seine Taten ehren würden. Das durfte es doch eigentlich noch nicht sein.

"Hey Robert, du bist stark, du wirst das schaffen. Jeder Mensch, der deine Situation nicht verstehen kann, handelt damit ziemlich unmenschlich. Und wenn du eine Rede halten willst, dann wirst du das so gut machen, wie man es von dir gewohnt ist. Du kannst das. Und wir stehen alle hinter dir."

Damit Robert seine Tränen vor Annalena verstecken konnte, zog er sie einfach erneut in eine Umarmung. Es tat so gut, solch einen Zuspruch zu erfahren. Aber gleichzeitig tat es so weh. Aber immerhin war Annalena für ihn da. Und natürlich merkte sie, wie Robert sich gerade schon wieder fühlte. Deshalb drückte sie ihn nach einiger Zeit etwas von ihm weg, was Robert nur peinlich berührt zur Seite schauen ließ.

"Robert, dir muss es nicht unangenehm sein. Weißt du noch, wie oft ich mich bei dir nach meiner Trennung von Daniel ausgeheult habe?"

Robert nickte nur leicht und Annalena konnte es nicht unterdrücken, ihm die Tränen leicht aus dem Gesicht zu wischen. Sie hasste es, wenn es Robert so schlecht ging. Das wollte sie am liebsten niemals sehen. Denn er verdiente definitiv besseres. Und sie wusste genau, dass Christian ihm alles gegeben hatte, was er brauchte.

Robert hatte zunächst gar nicht bemerkt, wie Annalena und er sich immer näher gekommen sind. Erst als er ihre sanften Berührungen an seiner Wange spürte, wurde es ihm etwas bewusster. Und er fühlte sich endlich mal wieder geborgen. Bei Annalena. Ganz plötzlich. Langsam zog er ihr Gesicht näher zu ihm und da sie kein Widerstand leistete, sondern die Augen schloss, legte er langsam und ziemlich unerwartet seine Lippen auf ihre. Er fühlte die Wärme, die Annalena ausstrahlte. Die Geborgenheit, die er bei ihr fühlte. Die Vertrautheit, die Annalena ihm immer wieder vermittelte. Es fühlte sich einen kurzen Moment alles richtig an. So, als ob Robert nie ein Problem an diesem Tag gehabt hätte. Aber als sie sich lösten merkte er, dass er gerade ein Problem mehr bekommen hatte. Annalena war seine beste Freundin! Und er durfte sie verdammt nochmal nicht verlieren. Fassungslos starrte er sie an.

"Scheiße, Annalena, es tut mir Leid. Ich wollte nicht..."

"Hey, alles gut. Momentan ist das sowieso alles nicht so wichtig, das hier auch nicht."

Annalena hatte Recht. Was war überhaupt noch von Bedeutung in Roberts Leben? Aber hatte er da nicht gerade Christian betrogen? Aber Christian war nicht mehr da. Was war es dann?

"Ich wollte dich trotzdem nicht überrumpeln. Und ich weiß nicht, betrüge ich damit nicht Christian?"

"Christian wäre sicherlich froh, wenn du dich auf andere Dinge einlässt, wenn er dich nicht mehr glücklich machen kann. Es ist sicherlich kein Fehler, den man dir vorwerfen kann. Aber ob es sich für dich richtig anfühlt, das ist natürlich eine andere Frage.", antwortete Annalena leise.

Ja. Hatte es sich richtig angefühlt? Einen kurzen Moment, ja. Aber als der Gedanke an Christian kam, da hatte er gemerkt, dass Christian doch der einzige war, den er wollte. Er liebte Christian, mehr als er ausdrücken konnte. Und das war gerade nur Ablenkung gewesen. Auch wenn sich das wirklich nicht nett anhörte.

"Es tut mir wirklich Leid Annalena, das hätte nicht passieren sollen. Einen kurzen Moment hat es sich gut angefühlt, aber ich kann es einfach nicht. Ich liebe Christian und daran wird sich so schnell nichts ändern. Bitte nimm es mir nicht übel."

"Natürlich nicht. Es ändert nichts. Ich bin für dich da. Egal was passiert. Und ich verstehe dich und deine Situation.  Aber es ist ja auch schon spät, vielleicht sollte ich mal fahren."

"Danke dir. Aber du kannst gerne im Gästezimmer schlafen, dann musst du nicht extra noch fahren."

Annalena hatte in den letzten Monaten oft dort geschlafen, es war schon beinahe Normalität geworden. Aber heute war es ein komisches Gefühl. Trotzdem nahm Annalena das Angebot an, weshalb Robert ihr noch das Zimmer fertig machte. Als er dann alleine in seinem Bett lag, explodierte ihm beinahe der Kopf vor Gedanken. Er hatte Annalena geküsst. Annalena. Seine beste Freundin. Obwohl er Christian liebt. Und ihn so schrecklich vermisst. Was sollte ihm das bloß sagen? Er verstand sich selbst nicht mehr. Das war doch nicht er. Er war nicht so ein verzweifelter Mensch. Er kannte sich so gar nicht. Die letzten Monate hatten ihn verändert. In gewisser Weise eine ganz persönliche Zeitenwende für Robert. Und die war definitiv nicht positiv. Er konnte einfach nicht fassen, was er getan hatte. Er konnte Annalena nicht so überrumpeln. Das hatte auch sie nicht verdient. Sie verdiente doch selber eine Beziehung, in der ihr jemand geben konnte, was sie brauchte. Und das was Robert getan hatte, war ihr gegenüber nicht fair, empfand er. Sie tat so vieles für ihn. Da sollte er sich wirklich mehr zusammenreißen.


Ehm jaa, also jetzt ist Annalena auch dabei ;) Wahrscheinlich ziemlich unerwartet, aber ich habe versprochen, dass es auch Baerbeck hier geben wird.

Was denkt ihr drüber? Wird das etwas an Roberts Situation ändern?

Ich danke euch fürs Lesen!

Zerbrechen - Die Zeit ohne ihn Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt