20 - Das Chaos ist perfekt

236 22 8
                                    

Gina saß in der Küche und zählte die Minuten, bis ihre Eltern endlich da waren. Noch immer war sie völlig geschockt und konnte noch gar nicht so wirklich begfreifen, was gerade geschehen war. Dann, endlich, um kurz vor 17 Uhr hörte sie ein Auto in die Hofeinfahrt fahren. Ihre Eltern!
Elisa hingegen bekam von dem ganzen Tumult nichts mit und spielte mit ihren Playmobil Figuren in Kinderzimmer.

Noch bevor sie an der Türe klingeln konnten, öffnete Gina diese und fiel in die Arme ihrer Mutter.
"Mama! Jetzt ist mein ganzes Leben im Eimer! 200.000 Euro! Wie soll ich das jemals zahlen können? Ich muss ja schließlich noch den Kredit vom Haus zurückzahlen! Ach, ich weiß nicht mehr weiter! Danke, dass ihr da seid!"
Mit Tränen in den Augen lotste Gina ihre Eltern ins Wohnzimmer und schmiss sich mit einem lauten Seufzer in die Ecke des Sofas.

"Ach mein Kind! Jetzt mal nicht gleich den Teufel an die Wand! Ich weiß, das klingt jetzt naiv, aber das wird schon wieder. Wir kriegen das schon hin! Wir werden dich auf jeden Fall unterstützen, so weit wir finanziell können."

"Nein Papa! Ich kann doch nicht eure Altersvorsorge aufbrauchen, ich muss da alleine durch!" Gina versuchte sich vehement dagegen zu wehren, Geld von ihren Eltern anzunehehmen, auch wenn sie wusste, dass das wahrscheinlich die einzige Möglichkeit wäre, ihr Grundstück und das Haus und somit das Zuhause von Elisa und ihr zu retten.

"Gina. Dafür ist eine Familie da. Wir haben euch schon damals beim Hausbau finanzielle Hilfe angeboten und du und der Andreas wart zu stolz, um auch nur ein paar tausend Euro anzunehmen. Dann spring wenigstens jetzt über deinen Schatten. Papa und ich helfen dir. Du weißt, dass wir ausgesorgt haben und nicht am Hungertuch nagen."
Ginas Mama legte ihrer Tocher einen Arm um die Schulter.

"Rosi hat Recht. Wir werden dir helfen, keine Diskussion. Du hast in letzter Zeit so viel durchgestanden und dann stehen wir jetzt auch zusammen durch.", pflichtete auch Martin bei.

Gina erzählte ihren Eltern noch einmal im Detail von ihrem Gespräch mit Andreas Vater Johann und zu dritt kamen sie auf das gleiche Ergebnis. Es war ein riesiger Fehler gewesen, nicht schon damals das Grundstück zum "Freundschaftspreis" zu kaufen. Und es war ein riesen Fehler von Johann, nicht an das fünfte Feld, beziehungsweise das Grundstück, auf dem das Haus steht, gedacht zu haben. Aber alleine die Tatsache, dass Johann die Kosten zu 80% übernehmen würde und von Gina nur die "symbolischen 20%" forderte, war großzügiger als sie sich je hätten vorstellen können. Der alte Griesgram hatte also doch ein Herz.

Plötzlich hörten sie leise Tapsgeräusche die Treppe hinunterkommen. "Mama? Hab ich da gerade Oma und Opa gehört?", klang sie leise Stimme von Elisa ins Wohnzimmer.

"Ja, Maus, komm her zu uns. Oma und Opa sind gerade gekommen."
Mit einem Kopfschütteln machte sie schnell noch ihren Eltern klar, nicht vor Elisa über das Geldproblem zu sprechen.

"Was macht ihr denn da?", wunderte sich Elisa zunächst und sprang dann auf das Sofa, um ihre Oma und ihren Opa zu umarmen.

"Wir waren gerade in der Nähe, da haben wir gedacht, wir besuchen dich und Mama kurz.", antwortete Elisas Oma Rosi notgedrungen.

"Omi, du musst mit mir raufkommen in mein Zimmer, du musst mit mir Prinzessinnen spielen! Kommst du mit in mein Zimmer?" Elisa hatte wieder ihren Hundeblick aufgesetzt und als Rosi nickte, schnappte sich Elisa die Hand ihrer Oma und ging mit ihr gemeinsam ins Kinderzimmer.
Schmunzelnd sah Gina ihnen nach.
Ja, ihre Tochter wusste genau, wie man andere um den Finger wickelte. Gina selbst war früher immer eher das Opa- und Papakind gewesen, Elisa aber hatte ihre Oma als ersten Ansprechpartner auserkoren.

Nun saß sie mit ihrem Vater gemeinsam im Wohnzimmer und beide sprachen ruhig darüber, wie sie diese verzwickte Situation nun am besten lösen könnten. Martin, Ginas Papa, bot an, ihr ein Viertel der Zweihundertausend geben zu können, doch Gina wehrte sich sofort dagegen.

"Papa! Das ist viel zu viel! Ich meine, ich...ich kann euch doch nicht einfach eure Rücklagen wegnehmen...das ist viel zu viel!"

"Nein, Gina. Das ist ein Viertel von dem, was du sonst alleine zahlen müsstest. Du bist unser Ein und Alles, du und Elisa, und du weißt, dass Rosi und ich immer gut verdient haben, keine Miete zahlen müssen und auch sonst wenige Ausgaben haben. Wir wollen beide nur, dass es euch gut geht! 50.000 Euro sind viel, ja, aber für uns ist das kein finanzieller Ruin. Nimm das Angebot an, Gina, bitte. Wir lieben dich, wir wollen nur das Beste für dich, ich könnte nicht ruhig schlafen, wenn ich wüsste, ich könnte etwas beisteuern aber würde es dir nicht geben."

Ergriffen von der Ansprache ihres Vaters striff sich Gina ein paar Tränen aus dem Gesicht und zog ihren Vater in eine herzliche Umarmung.

"Danke Paps, danke für alles! Für was hab ich nur Eltern wie euch verdient! Ich zahl euch das Geld auch schrittweise wieder zurück, versprochen!"

"Und wenn nicht, dann ist das auch kein Thema ok? Wir sind nicht darauf angewiesen, Gina."

Gina liefen noch immer die Tränen über das Gesicht, da hörte sie plötzlich die Haustüreklingel.
"Erwartest du noch jemanden?", fragte Martin an Gina gerichtet.

Gina schaute auf ihre Uhr. Fast halb sechs.
"Nein, Paps, eigentlich nicht...Hm...ich schau mal an die Türe."

Verwundert ging Gina zur Türe und machte langsam die Haustür auf. Vor Schreck schlug sie sofort wieder die Tür zu, als ihre Augen die Augen ihres Gegenüber trafen. "Scheiße!", fluchte sie laut.

"Alles gut? Wer war's denn?", hörte sie ihren Vater aus dem Wohnzimmer fragen.

"Mi...Michael...", stammelte Gina bevor sie die Tür erneut öffnete, so als müsste sie sich versichern, dass sie sich gerade nicht doch getäuscht hatte.
Doch erneut blickte sie in die ihr mittlerweile bekannten strahlend blauen Augen, die Michael gehörten.

"Ähm...hey", stotterte sie Michael entgegen.

"Hey Gina! Ich dachte schon du willst mich nicht sehen, so schnell wie du die Türe wieder zugeschlagen hast!", lachte Michael aber merkte sofort, dass Gina gerade nicht in der Stimmung war, herumzuscherzen.

"Sorry, wie dumm von mir...was ist los, Gina? Was ist passiert? Du siehst aus als hättest du geweint." Michael hatte plötzlich einen sehr ernsten und besorgten Gesichtsausdruck und ging die Treppenstufe hinauf, um Gina vorsichtig die Hand auf den Oberarm zu legen, versicherte sich aber kurz davor mit einem Blick in Ginas Augen, ob das für sie in Ordnung war. Schließlich hatte sie das letzte Mal extrem panisch darauf reagiert und er wusste noch nichts von ihrer Vergangenheit.

"Gina, was ist passiert? Soll ich wieder gehen? Ist es wegen mir?", wolle er von Gina wissen.

"Nein....es ist...ach komm erstmal rein...das hat mit gerade noch gefehlt heute...da ist das Chaos jetzt ja perfekt", antwortete Gina halb Michael, halb zu sich selbst.

"Danke! Aber wenn ich unpassend komme, dann kann ich auch morgen nochmal bei euch vorbeischauen mit Bruce. Das war gerade eh spontan, ich bin gerade erst angekommen."

Gina blieb bei dem Wort Bruce stehen und sah hinter Michael, aber dort war weit und breit nichts von Bruce zu sehen.

"Wo...wo ist dein Hund?", wollte sie deshalb von Michael wissen.

"Der ist drüben im Auto, ich wollte ihn nicht auch noch mit her nehmen, wenn ich euch schon so überfalle."

Gina schüttelte den Kopf. Bruce wäre eine gute Ablenkung für Elisa, die sowieso komplett durch den Wind wäre, wenn sie Bruce, Michael und auch noch ihre Großeltern als Gäste zuhause hätte. Zwar war Gina alles andere als begeistert, einen riesigen Hund im Haus zu haben, aber Michael konnte ihn ja unter der Treppe 'parken'.

"Nimm Bruce mit, das ist mir heute auch schon egal. Aber er muss im Flur bei der Treppe bleiben! Ins Wohnzimmer kommt mir so ein Kalb nicht. Aber Elisa wird sich freuen, ihn zu sehen."

Überrascht nickte Michael und ging zurück zum Auto, um Bruce und seine Hundedecke zu holen. Gina nutzte die Minute aus, um kurz durchzuatmen. Michaels Überraschungsbesuch hatte dem ganzen Tag jetzt auch noch die Krone aufgesetzt!

Have faith in the dark - MPKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt