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Am nächsten Morgen wachte Robert müde auf. Er hatte kaum ein Auge zu bekommen. Er fühlte sich nach wie vor schlecht wegen der Sache mit Annalena. Robert hatte einfach seine Beherrschung verloren. Und in erster Linie hatte er Angst, dass er Annalena damit doch mehr verschreckt hatte, als sie ihm am letzten Abend noch vermittelt hatte. Deshalb sorgte er schnell für Frühstück, bevor Annalena sich zu ihm an den Tisch setzte. Sie hatten beide nicht allzu lange Zeit, bis sie los mussten. Für Robert ging es Heute erst in sein Ministerium und später würde er nach Nordrhein-Westfalen fahren, da er dort bei einer Konferenz eingeladen war. Dementsprechend musste er auch noch schnell seine Tasche einpacken, denn er würde über Nacht bleiben. Und Christians Mutter einen Besuch abstatten. Aber noch saß er zusammen mit Annalena beim Frühstück. Und sie waren beide äußerst schweigsam.

"Annalena, wegen Gestern... Ich wollte dich nicht ausnutzen. Es war einfach eine spontane Entscheidung und Situation."

"Es ist alles gut, Robert. Ich weiß doch, woran ich bei dir bin. Also müssen wir nicht noch länger solche komischen Gespräche führen. Und ich muss jetzt wirklich los, sonst komme ich mal wieder viel zu spät. Melde dich, wenn was ist.", entgegnete Annalena und stand dann plötzlich auf. Robert war zwar etwas verwirrt, begleitete sie dann aber zur Tür. Und dann war er wieder alleine. Und nicht gerade weniger verwirrt als am letzten Abend. Aber er hatte ja selber nicht mehr viel Zeit, um noch länger über das Geschehen nachzudenken. Er musste noch seine Tasche packen und dann auch endlich fahren. Die Arbeit wartete nicht auf ihn. Und die Veranstaltung, zu der er musste, wartete auch nicht.

Als Robert einige Stunden später auf der Rückbank des Autos saß, welches ihn nach Nordrhein-Westfalen fuhr, rief er Marco an. Da gab es ja auch noch etwas zu klären. Er hatte sich Gestern Abend dann doch relativ schnell entschieden. Er konnte die Möglichkeit nicht einfach an sich vorbei ziehen lassen. Wenn es schon ein Gedenken an Christian gab, dann würde er dabei sein.

"Hey Robert, hast du dich schon entschieden wegen des Parteitages?", fragte der Liberale direkt.

"Ja, deshalb rufe ich an. Ich würde gerne dabei sein und wenn möglich auch selber reden. Auch wenn es wahrscheinlich schwer wird, aber wenn ihr mir die Möglichkeit schon gebt, dann möchte ich sie auch nutzen. Und vielleicht kann ich es auch dazu nutzen, ein einmaliges Statement zu der ganzen Sache zu geben, sodass ich danach nicht immer wieder zu Christian befragt werde."

"Alles klar, dann werde ich das so weitergeben. Und wenn du irgendwie Unterstützung brauchst, dann melde dich. Oder wenn du es dir doch noch anders überlegst."

"Danke, Marco."

Damit war auch das geklärt. Auch wenn Robert ein mulmiges Gefühl verspürte, wenn er an diesen Parteitag dachte. Er hatte noch keine Ahnung, was er da überhaupt sagen sollte. Oder eher, was er sagen will. Aber gut, dafür hatte er jetzt ja noch zwei Wochen Zeit. Da sollte er es ja eigentlich schaffen, eine angemessene Rede zu schreiben. Auch wenn ihm das mittlerweile deutlich schwerer fiel, als noch vor einem Jahr. Und dann ging es auch noch um Christian. Aber das würde er schaffen. Und dann war hoffentlich das Thema für die Medien durch. Dann hatten sie endlich Roberts Äußerungen und vielleicht kehrte dann etwas mehr Ruhe ein. Er hoffte es einfach. Auch wenn in sein Innenleben definitiv keine Ruhe einkehren würde. Dafür war alles viel zu kompliziert. Dafür vermisste er Christian viel zu sehr. Manchmal fragte er sich, sollte Christian doch noch irgendwo da draußen sein, ob er ihn auch so sehr vermisste. Ob es ihn auch so zerriss. Ob er sich genauso wünschte, ihn endlich wieder zu sehen. Oder war es ganz anders? Dachte er überhaupt noch an Robert? Würde er ihn überhaupt vermissen? Oder war er vielleicht froh, dass er nicht mehr bei Robert war? Diese Spekulationen ließen Roberts Herz mal wieder schwer werden. Und er musste sich daran erinnern, dass das nicht die Realität war. Dass er doch gar nicht wusste, ob Christian noch irgendwo dort draußen war. Also waren auch diese Gedanken eigentlich überflüssig.

Abends kam Robert erschöpft an dem großen Haus von Christians Mutter an. Hier würde er Heute übernachten, da er am kommenden Tag sowieso zunächst noch in der Gegend war. Und wieso das dann nicht mit dem privaten verbinden?! Bevor er aus dem Auto ausstieg, atmete Robert noch einmal durch. Es war immer noch eine Herausforderung. Denn er sollte hier nicht alleine sein. Christian sollte mit ihm hier sein. Und alles erinnerte ihn an die erste Begegnung mit Christians Mutter, bei der Christian ihm selbstverständlich beigestanden hatte. Aber das sollte er nicht schon wieder an sich heran lassen. Der Regen, der mittlerweile eingesetzt hatte, durchnässte Robert in der kurzen Zeit, die er bis zur Haustür brauchte. Das Haus war ziemlich groß, was Robert schon beim ersten Besuch direkt aufgefallen war.
Damals hatte es ihn ein wenig abgeschreckt, heute wusste er, dass Martina, Christians Mutter, trotzdem recht bodenständig war. Und das war wirklich angenehm. Auch wenn Christian selber nicht immer so bodenständig war. Aber dafür hatte er ja Robert an seiner Seite gehabt.

Als die Tür geöffnet wurde, strahlte die blonde Frau Robert an. Er war jedes Mal wieder einen kurzen Moment erschrocken, wie ähnlich Christian und sie sich sahen.

"Robert, da bist du ja endlich. Komm rein, du bist ja ganz nass."

"Danke, dass ich Heute hier unterkommen darf. War mal wieder ein anstrengender Tag."

Robert lief wie automatisch zunächst zum Gästezimmer, in dem er seine Tasche abstellte und fand Martina dann im Wohnzimmer vor. Es war ziemlich modern eingerichtet und groß. Passend zum Rest des Hauses.

"Hast du schon was gegessen, Robert? Oder brauchst du sonst noch etwas?", fragte Christians Mutter besorgt. Wenigstens hatte sie mit Robert noch jemanden, um den sie sich kümmern konnte. Zumindest ab und zu.

"Nee, alles gut. Aber wenn du eine Flasche Bier für mich hast, würde ich nicht nein sagen."

Erstaunlicherweise stellte Martina ihm eine Flasche Flens auf den Tisch, was Robert zufrieden grinsen lässt. Sie war gut vorbereitet. Gemeinsam stieß er dann mit ihr an. Auch wenn es eigentlich nichts gab, worauf man anstoßen sollte.

"Du Robert, hat Marco mit dir gesprochen? Wegen des Parteitages?", fragte Martina vorsichtig. Sie schien sich unsicher zu sein, wie Robert reagieren würde.

"Ja, ich werde dort sprechen. Seid ihr auch da?"

"Wir wurden auch eingeladen, ja. Aber ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll. Am liebsten würde ich nicht hingehen. In Gedenken an Christian. Würde man ihm wirklich gedenken, dann würde man die Hoffnung doch nicht aufgeben. Ich verstehe es einfach nicht."

Christians Mutter standen mal wieder Tränen in den Augen. Was Robert dazu brachte, sie wortlos in den Arm zu nehmen. Und mal wieder wurde ihm bewusst, dass er nicht der einzige war, der unter der Situation litt. Und dass auch er mal stark sein sollte.

"Das waren auch meine Gedanken. Aber das ist auch der Grund, weshalb ich da reden möchte. Um nochmal klar zu machen, dass es eben noch nicht vorbei ist. Und gleichzeitig muss man aber auch die Partei verstehen. Christian war über so viele Jahre das Gesicht der FDP, die Partei kann nicht einfach so über ihn hinweg gehen. Wir schaffen das schon."

Martina nickte nur und schaute Robert dankbar an.

"Aber abgesehen davon bedrückt dich noch etwas, richtig?", fragte sie, was Robert ziemlich verblüffte. Wie konnte sie das denn nun wissen? Diese Frau hatte wirklich Menschenkenntnis. Und doch war es Robert etwas unangenehm über das Thema zu sprechen.

"Ja... Ich habe jemand anderen geküsst. Und ich fühle mich äußerst schlecht deshalb. Es fühlt sich so an, als ob ich Christian verraten hätte. Und im ersten Moment hat es sich auch noch gut angefühlt. Ich weiß wirklich nicht, was ich denken soll.", seufzte der Wirtschaftsminister.

"Ach Robert, mach dir keine Vorwürfe. Wir suchen doch alle irgendwie einen Weg, mit dem Verlust klarzukommen. Aber darf ich fragen, um wen es geht?"

"Annalena."

"Im Ernst, die Annalena?", fragte Martina etwas entrüstet und verlor erstmals an diesem Abend die Fassung gegenüber Robert. Und Robert fühlte sich direkt wieder viel schlechter. Und schuldig. Immerhin ging es auch immer noch um ihren Sohn, den Robert hintergangen hatte.

"Ach vergiss das, Robert. Das ist ja nicht meine Sache. Aber du und Annalena. Ist das etwas ernstes zwischen euch?", fragte Christians Mutter wieder etwas ruhiger.


Vielleicht ist ja noch jemand wach und liest hier ;)

Ich danke euch, dass ihr weiterhin dabei seid und mir immer so viel Feedback gebt! Dankeschön <3

Zerbrechen - Die Zeit ohne ihn Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt