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Meine zitternden Füße betreten die Bühne und sobald mich das Publikum erblickt brandet Applaus auf. Ich verbeuge mich spielerisch und setzte mein selbstbewusstes Grinsen auf. „Let's go!", sage ich mir in Gedanken und schnappe mir meine Gitarre, die in einem Ständer vorne auf der Bühne steht.
„Hey Leute!", rufe ich der Menge zu und recke meinen Arm mitsamt Gitarre in die Luft. Gott, wie ich diese Show hasse. Die Menschen unter mir aber lieben es. Sie johlen und klatschen, schreien meinen Namen: „Ian! Ian! Ian!"
Früher mochte ich es, bejubelt zu werden, habe nur die Vorteile gesehen, doch vor einiger Zeit sind auch die Schattenseiten des Ruhms zu mir durchgedrungen und alles was ich nun will ist es, einfach wieder ein normaler Mensch zu sein. Ich möchte Eis essen ohne dabei von tauschend Leuten angestarrt zu werden, die alle ganz gespannt beobachten, wie ein Eis-Klecks auf den Asphalt tropft und ein Marienkäfer sich auf den Weg zu seinem neuen Festmahl macht. Ich möchte ein Leben außerhalb der Scheinwerfer.
Trotz meiner Resignation grinse ich weiter und beginne eine kurze Rede. Alles, was ich von mir gebe, ist erstunken und erlogen. Mein Manager Peter hat die Rede für mich geschrieben. All meine Worte sind versteckte Floskeln und geheuchelte Bekundungen. Wie traurig ich bin, dass dies das Ende meiner Tour ist und wie viel Spaß ich auf der vier Monate langen Fahrt hatte. Dass ich neue wundervolle Städte kennengelernt habe und viele großartige Freunde gefunden habe. Wer's glaubt. In Wahrheit habe ich nichts von den einzelnen Städten gesehen und habe mich mit niemandem angefreundet. Mit wem auch? Ich habe den ganzen Tag geprobt und Abends Konzerte gegeben. Meine wenigen freien Momente habe ich an der Hotel-Bar verbracht, wo der Bar-Keeper und ich mit einem Kugelschreiber Muster auf Servierten gemalt haben. Schließlich hat er um 12 Uhr Mittags nichts zu tun und mir war langweilig gewesen. Aber als Freundschaft kann man das nicht bezeichnen. Nach den Konzerten bin ich sofort ins Bett gefallen und habe versucht zu ignorieren, dass durch mein gekipptes Fenster der Geruch von Gras hinein wehte.
Das alles sage ich meinen Fans natürlich nicht. Sie stellen sich eine traumhafte Tour vor und ein noch traumhafteres Leben, das man als Star führt. Aber eins kann ich euch sagen: Traumhaft ist anders.
Als ich das erste Lied anstimme und der Rest meiner Band auf die Bühne stürmt und auf ihren Einsatz wartet, lasse ich meinen Blick über die Leute gleiten und finde ihn. Jackson. Trotz der Hitze trägt er eine Jacke, was mich längst nicht mehr wundert, denn ich kenne ihn inzwischen so gut, dass ich weiß, was für eine Frostbeule er ist. Er bemerkt meinen Blick und lächelt mir zu. In diesem Moment denke ich wie verdammt unfair es ist, dass wir nicht zusammen sein können. Das dieses Lächeln nicht für mich sein kann während jemand dabei ist. Mein ganzes Leben lang habe ich davon geträumt einmal hier oben zu stehen. Mit Menschen um mich herum, die wegen mir hier sind und meine Musik hören möchten. Doch jetzt ist mir das ziemlich egal. Ich möchte einfach nur in den Bioladen von Jacksons Eltern, einen selbstgemachten Apfelsaft von seinem Dad trinken und mit Jackson reden. Mit ihm lachen und schweigen und ... ich möchte ihn küssen. Gleich neben dem Plakat an der Eingangstür auf dem steht: „Diesen Laden brauchen Sie, wie ihr Handy ein Aufladekabel". Den Spruch hat Jackson's Mum sich ausgedacht. Sie ist nach einer Party nach Hause gekommen (ja Jacksons Mum geht auf Partys) und da sie so betrunken gewesen war hatte Jackson ihr kurzerhand eine Flasche Wasser über den Kopf gegossen, woraufhin seine Mum sagte: „Dieses Wasser brauchte ich, wie mein Handy ein Aufladekabel!".
Ja ich weiß, ziemlich komisch, aber ich liebe Jacksons Eltern trotzdem. Sie akzeptieren es nicht nur, dass Jackson schwul ist, sie feiern es. Als wir ihnen erzählt haben, dass wir inoffiziell zusammen sind haben sie sich noch am selben Tag Regenbogen-Fahnen gekauft und sie in der Wohnung verteilt. Das Bild, das an diesem Tag entstanden ist, gehört zu meinen liebsten und ich trage es immer bei mir. Wie einen Talisman, der vielleicht dafür sorgt, dass sich für uns etwas ändern wird. Ich weiß, dass Homosexualität unter den meisten Menschen normal ist, aber es gibt immer noch Leute, die dumme Kommentare geben und Zeitungen, die vernichtende Artikel über homosexuelle Stars schreiben. Hier in Indiana ist es nicht einfach ein öffentliches und trotzdem ehrliches Leben zu führen.
Während ich weitere Songs spiele, mich voll und ganz meiner Musik hingebe und meine Fans mit ihren Taschenlampen im Takt der Musik winken, schweifen meine Gedanken weiter ab. Es gibt Stars, die haben für die Liebe ihre Karriere aufs Eis gelegt. Bin ich einer dieser Menschen? Ist mir etwas, was von einem auf den anderen Moment vorbei sein kann wirklich so wichtig, als dass ich meine Leidenschaft, meinen Beruf aufgebe? Ich weiß es nicht. Das einzige, was ich weiß ist, dass ich es herausfinden muss.

Manche Menschen sagen, es gibt einen bestimmten Moment in ihrem Leben, der ihnen den richtigen Wink gegeben hat. Wie das Klicken, wenn der Schlüssel sich im Schloss dreht oder das Klong, welches entsteht, wenn man aus Versehen die Kopfhörer fallen lässt. Vielleicht war dieser Abend auf der Bühne genau so ein Moment für mich. Vielleicht waren es auch die vielen Momente davor, als ich all die Menschen beobachtet habe, die glücklich und ehrlich sind. Vielleicht ist es auch eine Mischung aus beidem. Wie dem auch sei, ein Bekannter meinte einmal zu mir: „Mach das, was dich jetzt glücklich macht. Wenn du es in einem Jahr nicht mehr magst, dann ändere es. Aber wenn du es jetzt willst, dann tu es, denn du weißt nie, was als nächstes kommt, du weißt nur, was jetzt ist. Und genau danach solltest du leben."

Ende

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