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Nachdem Robert dieser Brief von Christian in die Hände gefallen war, war er anschließend natürlich sofort zum Bundeskriminalamt gegangen, als er wieder in Berlin war. Jetzt war zumindest klar, dass Christian kaum freiwillig verschwunden war. Sonst hätte er nicht diesen Brief geschrieben. Er hätte ganz andere Worte gewählt. In dem Brief hatte Christian klar gemacht, dass er eine Zukunft mit Robert wollte, auch nach der Politik. Egal was passieren würde. Und damit war ja wohl ausgeschlossen, dass Christian bewusst von Robert gegangen war. Das war ein ziemlich einschneidender Hinweis in den Ermittlungen. Denn durch diesen Brief konnten die Ermittlungen noch einmal intensiviert werden. Möglicherweise lag sogar ein Verbrechen vor. Wer konnte es schon wissen. Aber Robert war aufgrund dieser neuen Erkenntnisse noch vollkommen durch den Wind. Es war zwar nun schon einige Tage her, aber mit seinen Gedanken spielte Robert immer wieder durch, wer Christian etwas hätte antun wollen. Auch wenn natürlich trotzdem nicht klar war, dass es so abgelaufen war. Vielleicht war es wirklich einfach nur ein Unfall gewesen. Kein Vorsatz oder ein bewusster Anschlag auf Christian. Aber das war der Gedanke, der mittlerweile in Roberts Kopf präsent war.

Vor allem wäre es ja nichtmal verwunderlich, hätte es jemand auf Christian abgesehen gehabt. Es gab ja schon einige Beispiele, in denen ein solches Vorhaben bekannt wurde. Beispielsweise bei der geplanten Entführung von Karl Lauterbach, die zum Glück frühzeitig aufgedeckt werden konnte. Oder als man in Sachsen Roberts eigene Entführung inszenieren wollte. Wundern würde Robert also nichts mehr. Aber trotzdem hoffte er, dass es vielleicht nicht so schlimm war. Dass niemand Christian, seinem Freund etwas angetan hatte. Aber ob diese Hoffnung wohl berechtigt war?

"Robert, was sagst du dazu?", nahm der Angesprochene plötzlich wahr und schaute irritiert nach links, wo Christian Dürr neben ihm saß. Es war Mittwoch, das hieß Kabinettssitzung. Und Dürr hatte ihn offenbar angesprochen. Aber Robert war in dem Moment ganz woanders mit seinen Gedanken gewesen und hatte nicht wirklich etwas mitbekommen. Und das war ihm äußerst unangenehm. Er wollte immerhin seinen Job gut machen.

"Sorry, kannst du das Gesagte nochmal kurz wiederholen?", antwortete Robert nur zerknirscht. Und Dürr schaute ihn etwas skeptisch an. Wie eigentlich alle, die am Tisch saßen. Und selbstverständlich bekam auch der Kanzler mal wieder mit, wie Robert neben sich stand.

"Wir haben darüber gesprochen, ob wir das Gesetz diese Woche noch zurück halten, damit nochmal die rechtlichen Rahmenbedingungen geprüft werden können. Allerdings könnte das medial Aufsehen erregen. Deshalb die Frage, was wir tun. Und immerhin betrifft das Gesetz dein Ressort maßgeblich."

Stimmt, erinnerte sich Robert. Eigentlich sollte er hier bei der Sache sein. Und nicht so abgelenkt. Dürr hatte Recht.

"Ich würde da tatsächlich die Rechtssicherheit bevorzugen. Erklären, wieso wir das Gesetz noch nicht verabschiedet haben, können wir ja immer noch."

Damit war auch das abgehakt und die Sitzung weitestgehend beendet. Würde der Kanzler Robert nicht noch aufhalten.

"Robert, hast du noch einen kurzen Moment für ein Gespräch? Keine Sorge, dauert auch nicht lange."

"Ja, natürlich. Was gibt es?", fragte Robert beunruhigt. Solche unangekündigten, spontanen Gespräche verhießen nie etwas Gutes.
Und als Scholz ihn dann auch noch in einen Nebenraum lotste, war Robert schon etwas nervös.

"Ich weiß, die Situation ist für dich nach wie vor keine leichte. Und das ist auch vollkommen nachvollziehbar.  Dass Christian nicht mehr da ist, das muss natürlich verarbeitet werden. Ich verstehe es. Aber so langsam kehrt eine gewisse Normalität in das Kabinett zurück und ich denke, dass das auch gut ist. Das erwarten die Bürger auch von unserer Regierung. Aber ich merke, dass du trotzdem häufig noch nicht bei der Sache bist. Nicht nur Heute. Ich weiß, es ist schwer. Aber wir brauchen einen Wirtschaftsminister, der 100 Prozent bei der Sache ist. Auf lange Sicht kann es so nicht funktionieren. Und mir ist es egal, ob du damit deiner Partei schadest oder sonst etwas, aber für die Regierung ist es wichtig, dass du leistungsfähig bist."

"Und das heißt?", fragte Robert gewohnt klar nach. Obwohl sein Innenleben gerade einer Achterbahnfahrt gleichte.

"Dass wir eine Lösung finden müssen, wie es hier weitergeht. Ich bezweifle, dass es noch lange so funktionieren wird."

"Ich weiß, dass ich momentan etwas belastet bin durch all die Vorkommnisse. Und ich weiß, dass ich meine Arbeit auch schon besser gemacht habe. Aber ich hänge mich hier trotzdem noch voll rein. Vielleicht brauche ich einfach noch etwas Zeit, um wieder auf mein altes Niveau zu gelangen. Aber ich glaube man kann mir nicht vorwerfen, dass ich dieses Amt nicht gewissenhaft ausführen würde. Ich werde trotzdem darauf achten, dass solche Situationen wie vorhin nicht mehr vorkommen. Aber dieses Amt möchte und werde ich nicht verlieren oder aufgeben.", machte Robert deutlich.

"Alles klar. Das wollte ich nur hören. Und ich hoffe, dass solche Situationen wie vorhin seltener vorkommen in Zukunft. Sonst müssen wir uns etwas anderes überlegen."

"Würdest du mir dein Vertrauen entziehen?", fragte Robert, obwohl er eigentlich sprachlos aufgrund des Gesprächs war. Er hatte nicht erwartet, dass der Kanzler mittlerweile solch große Bedenken mit ihm hatte.

"Nein, so war das nicht gemeint. Wenn dann muss es deine Entscheidung sein, wie es mit deinem Amt weitergeht. Aber man merkt, dass es dich momentan noch ziemlich herausfordert mit dieser Situation. Deshalb wollte ich es ansprechen. Und dir die Möglichkeit geben, dich zu erklären. Wenn sich in nächster Zeit etwas an deiner Einschätzung ändern sollte, dann sag mir Bescheid. Wir werden dann für alles eine Lösung finden."

Und damit war der Kanzler schon wieder verschwunden. Und hatte Robert irritiert zurück gelassen. Was war das denn bitte gewesen? Robert hatte das Gefühl, dass Scholz nicht mehr wirklich Vertrauen in ihn und seine Arbeit hatte. Das hatte er zuvor noch nie bemerkt. War jetzt also die Zeit gekommen, in der man wieder von ihm erwartete, dass er vollständig funktioniert? Wer dachte denn ehrlich, dass er jetzt mit Christians Verschwinden abgeschlossen hatte? Robert war wirklich verwirrt. Oder meinte der Kanzler es anders? Wollte er ihn gar nicht unter Druck setzen? Aber was war es dann, wenn kein Druck?

Frustriert verließ Robert das Kanzleramt und wurde in sein Ministerium gefahren. Dort würde er heute noch ein wichtiges Meeting mit seinen Kollegen aus den Bundesländern haben. Da sollte er bei der Sache sein. Aber trotzdem ging ihm das Gespräch mit dem Kanzler nicht aus dem Kopf. Stand er wirklich noch so neben sich? Erfüllte er sein Amt nicht ausreichend? Wäre es vielleicht besser, doch einen Schlussstrich zu ziehen? Sich aus der Politik zurück zu ziehen? War das vielleicht sogar für ihn besser?

Robert war froh, als er vor dem Bildschirm saß, auf dem sich die Wirtschaftsminister der Bundesländer zusammen geschaltet hatten. Jetzt konnte er zeigen, dass er bei der Sache war. Dass er sich und sein Amt noch nicht aufgegeben hatte. Und als er so darauf achtete, stellte Robert fest, dass seine Kollegen in keinster Weise so wirkten, als ob Robert der Sache nicht gewachsen war. Und das gab ihm dann doch etwas Bestätigung. Trotzdem nervte es ihn, dass er jetzt schon wieder zweifelte. Das hätte es definitiv nicht gebraucht. Es lag doch alles nur daran, dass es Entwicklungen in Christians Fall gab. Das musste man doch verstehen! Und soweit Robert wusste, hatte der Kanzler auch diese Kenntnis. Aber gut, dann musste er sich jetzt einfach beweisen. Und so schnell würde er nicht aufgeben, nein. Auch wenn er manchmal selber nicht mehr wusste, was richtig und falsch war. Wo eigentlich noch oben und unten war.


Nicht so schön für Robert :/

Was denkt ihr mittlerweile, was wohl der Grund für Christians Verschwinden ist? Es gibt jetzt ja nun schon gewisse Entwicklungen ;)

Danke euch allen fürs Lesen und bis zum nächsten Mal!

Zerbrechen - Die Zeit ohne ihn Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt