Kapitel 60

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Wincent

Jetzt sitze ich hier im Wohnzimmer auf dem Sofa und halte Shayenne in meinem Armen. Nadine ist gerade bei Elli, sie hat es für besser gehalten wenn ich raus gehe. Was mich aber am meisten schmerzt ist das Elli zu gestimmt hat. Eigentlich wollte ich für sie da sein und ihr nicht von der Seite weichen. ,,Wiwi, ich habe Angst", murmelt Shay plötzlich und reißt mich damit aus meinen Gedanken. ,,Du bist jetzt in Sicherheit", flüstere ich und hauche ihr einen Kuss auf den Scheitel. ,,Ich habe keine Angst das mir etwas passiert. Ich habe Angst um Elli." Seufzend ziehe ich sie enger an meine Brust. ,,Ich passe auf sie auf." ,,Meine Angst ist aber auch, dass sie sich nun komplett verschließt. Was ist, wenn sie das alles nicht verarbeitet", haucht sie den Tränen nahe. Auf diese Worte von meiner kleinen Schwester habe ich leider keine Antwort. Diese Ängste habe ich doch selbst. Im Haus ist es mucksmäuschenstill, alle hängen ihren Gedanken nach. Nach einer weiteren halben Stunde kommt Nadine mit einem leichten Lächeln wieder zu uns. Sofort schaue ich sie aufmerksam an. ,,Kann einer von euch bitte die Polizei und den Krankenwagen rufen? Ich gehe derweil wieder zu ihr." ,,Sieht es so schlimm aus? Will sie es nun?", stammle ich vor mich hin. ,,Wince, ich kann innere Blutungen nicht ausschließen. Da muss ein Arzt drauf schauen und vor allem muss zur Beweislage ein Arzt die Verletzungen dokumentieren. Und ja, sie ist damit einverstanden. Ich habe gut auf sie eingeredet." Ich kann gar nicht anders als aufzustehen und ihr um den Hals zu fallen. ,,Danke", hauche ich und merke wie meine Augen feucht werden. Sachte streichelt sie meinen Rücken. ,,Alles gut Wince. Versprich mir aber bitte etwas. Schau bitte auch auf dich. Du musst das auch verarbeiten, friss es nicht in dich auf. Lass es auch mal raus," flüstert sie mir ins Ohr. Ich löse mich wieder von ihr und lächle sie dankbar an.

Wir haben gar nicht gemerkt, dass Marco raus gegangen ist. Denn gerade kommt er wieder zu uns und legt sein Handy auf den Tisch. ,,Sie sind unterwegs", sagt er leise und setzt sich wieder hin. ,,Ich geh wieder zu Elli", verkündet Nadine und dreht sich schon rum. ,,Warte, darf ich zu ihr", stoppe ich sie in ihrer Bewegung. Mit einem mitleidenten Blick schaut sie mich an. Das heißt nichts Gutes. ,,Wince", murmelt sie traurig. ,,Sag es ruhig", flüstere ich und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. ,,Gerade hat sie ein wenig Angst vor allem. Gib ihr ein bisschen Zeit. Ich denke später kannst du wieder zu ihr." ,,Sie hat Angst vor mir", murmle ich immer wieder vor mich her. ,,Hör auf dir das einzureden. Versetz dich mal in ihre Lage, da hättest du auch Angst. Sie muss sich erstmal richtig beruhigen. Ich denke das sie gerade gar nichts versteht und erstmal klar werden muss. Ich bin mir sehr sicher, dass sie nachher zu dir will", sagt Opa und legt mir eine Hand auf die Schulter. Gefühlte Stunden später klingelt es endlich an der Tür. Nachdem wir grob erzählt haben was passiert ist, gehen erst die der Notarzt mit den Sanitätern zu Elli. In der Zwischenzeit erzählen wir den Polizisten alles was wir wissen und erfahren haben. Irgendwann gehen auch sie zu Elli und für uns heißt es jetzt warten.

Nach ungefähr einer halben Stunden kommen alle wieder zurück zu uns. Nachdem die Polizei sich verabschiedet hat, schaut sich der Notarzt im Zimmer um. ,,Wer von ihnen ist Wincent?" Sofort schießt mein Blick in die Höhe. ,,Das bin ich", stammle ich und stehe auf. ,,Gut, Frau Kerper sagte wir dürfen ihnen Auskunft geben." Erleichtert atme ich aus, das ich schon mal ein gutes Zeichen. ,,Wie geht es ihr?", frage ich direkt. ,,Soweit geht es ihr den Umständen entsprechend gut. Durch einen Ultraschall konnten wir innere Blutungen ausschließen. Ihre Wunden im Gesicht haben wir versorgt und zudem hat sie Schmerzmittel bekommen. Sie muss sich nun schonen und bei Bedarf geben sie ihr einfach eine Schmerztablette", erklärt er. ,,Also kann sie hier bleiben?", frage ich sicherheitshalber nochmal nach. ,,In ihrem Zustand und wegen der Ereignisse würde wir sie hier lassen. Sie braucht jetzt das gewohnte Umfeld. Wenn ich ihnen einen Rat geben darf, schalten sie professionelle Hilfe ein. Das ist schwer zu verarbeiten." Ich bedanke und mich und nun verabschieden sie sich auch. Ein wenig erleichtert lasse ich mich wieder aufs Sofa sinken. ,,Wo ist er?", kommt Nadine fragend rein. ,,Wer?", fragt Marco verwirrt. ,,Wincent." ,,Der sitzt doch da", antwortet er und zeigt auf mich. Fragend schaue ich sie an. ,,Sie möchte zu dir", lächelt sie. ,,Gottseidank", sage ich etwas lauter und fahre mir durchs Gesicht. ,,Was haben wir gesagt", erwidert Opa und tätschelt meine Schulter.

Ich fackel nicht lange und gehe sofort zu meinem Zimmer. Kaum hab ich die Tür geöffnet, höre ich ein leises ,,Wincent?" ,,Ja, ich bin es", sage ich leise. Es tut einfach weh sie so zu sehen. Mit einem großen Pflaster an der Schläfe und am Kinn und einem blauen Auge schaut sie mich an. In ihren Augen stehen Tränen, die sich langsam die Wange hinunterbahnen. Ich stehe einfach nur stocksteif da und trau mich nicht zu bewegen. ,,Kannst du bitte herkommen", flüstert sie plötzlich. Ich streife mir meine Schuhe von den Füßen und lege mich vorsichtig neben sie. Kaum kuschelt sie sich ein wenig an mich, fängt sie schon an zu schluchzen. ,,Es wird alles gut, hörst du?", hauche ich drücke ihr Küsse aufs Haar. ,,Es war so schlimm alles zu erzählen. Ich habe aber alles erzählt", murmelt sie an meine Brust. ,,Ich bin so wahnsinnig stolz auf dich." Irgendwann geht die Tür auf, Nadine und Marco betreten das Zimmer. Marco steht wie ich eben einfach nur da und schaut uns geschockt an. ,,Wir fahren jetzt nach Hause Elli. Wenn etwas sein sollte, kannst du mich jederzeit anrufen okay? Egal was es ist", lächelt Nadine sie an. ,,Danke", flüstert sie kaum hörbar. Auch ich bedanke mich bei ihnen.

Irgendwann schalte ich den Fernseher an um mich ein bisschen abzulenken. Denn meine in meinem Kopf fährt gerade ein Karussell der Gedanken. Elli neben mir ist ganz ruhig aber nach einem kurzen Blick stelle ich fest, dass sie nicht schläft. Leise seufzend ziehe ich sie noch ein Stück enger zu mir. Sofort merke ich wie sie sich in meinen Hoodie krallt. Ich streichle einfach ihren Rücken und hoffe das sie doch ein bisschen einschläft. Irgendwann klopft es an der Tür und Mama kommt rein. Mit einem liebevollen Blick setzt sie sich neben mich an die Bettkante. ,,Wie geht es euch?", fragt sie leise. Vorsichtig lasse ich mich auf den Rücken sinken, sodass Elli sie anschauen kann. ,,Nicht gut. Ich fühle mich überhaupt nicht gut", haucht sie kaum hörbar und schon wieder laufen ihr die Tränen über die Wange. ,,Lass es raus Elli. Du darfst dir so viel Zeit nehmen um es zu verarbeiten wie du brauchst. Und denk immer daran, wir sind für dich da", antwortet Mum ihr und greift vorsichtig nach ihrer Hand, die sie kurz drückt. Dankend lächle ich sie an. ,,Ich hab etwas Kleines zum Essen gemacht? Kommt ihr hoch", fragt sie als sie aufsteht. ,,Wir kommen", gebe ich als Antwort, bin mir aber nicht sicher ob Elli heute überhaupt nochmal aufsteht. ,,Ich habe keinen Hunger", murmelt sie nachdem Mum gegangen ist. ,,Iss bitte wenigstens ein bisschen. Pass auf, ich hole uns etwas hierher." Ich warte gar nicht auf eine Antwort, sondern gehe einfach vor. ,,Wir essen im Zimmer. Sie will nicht aufstehen", sage ich direkt. ,,Ist gut. Das habe ich mir schon gedacht", lächelt Mum leicht. Gesagt getan nehme ich uns etwas von dem Essen und gehe zurück zu Elli. Später legen wir uns wieder hin und gegen 23:00 Uhr ist sie doch eingeschlafen und ich kann auch endlich meine Augen schließen.

Müsste da nicht Musik seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt