"Ich finde, du solltest mal ein wenig runterkommen", sagt meine Freundin zu mir. "Tu ich doch", antworte ich. Doch es klingt eher wie eine Frage. "Ja genau, deshalb schaust du jede fünf Sekunden auf dein Handy." "Ehm, weil ich auf einen Anruf warte." Lüge. "Von wem?!" "Von meiner Mutter". Lüge. "Hä, warum?" "Weil sie, ach keine Ahnung. Sie meinte, sie muss mir später etwas erzählen." Noch eine Lüge.
Sie schaut mich an, doch ich kann keine Emotionen von ihrem Gesicht ablesen. Entweder sie kaufte es mir ab oder ihr schlaues, kleines Gehirn fand die Lüge nicht glaubhaft. "Wenn du meinst. Trotzdem könntest du dein Handy auf die Seite legen und die Aussicht genießen."
Über die Berge sehe ich unsere Stadt. Die Menschen laufen aneinander vorbei, ohne sich jemals wiederzusehen. Schnell fahrende Autos, als gäbe es kein Morgen. Kleine, glückliche Gesichter, als würden sie die Welt zum ersten Mal sehen. Meine Freundin mit ihren funkelnden Augen, als hätte sie nur auf diesen Moment gewartet.
Und ich? Ich möchte nicht hier sein. Ich will nach Hause. Ich zupfte an meinem Kleid und schaute nach oben.
Die Wolken sammeln sich langsam über der Stadt. Schwarze Vögel fliegen herum, während ein Vogel zurückbleibt. Ob es seinen Weg zu seinem Zuhause verloren hat? Ich weiß es nicht. Ich schaue wieder zurück zu meiner Freundin. Sie hat ihre Augen geschlossen und summt etwas vor sich hin, während sie mit ihren Füßen vor sich hin wedelt. Sie freut sich bald Zuhause zu sein. Und ich? Ich weiß es nicht.
"Okay, ich glaub ich sollte bald los, sonst verpass ich noch meine Bahn. Kommst du auch mit oder hast du noch was vor", fragt sie mich. "Alles gut. Ich bleib noch ein bisschen hier. Hab nicht wirklich Lust nach Hause zu gehen."
"Alles Klar! Dann sehen wir uns morgen", verabschiedet sie sich mit einem Kuss auf meine Wange.
Ich lege mich auf das Gras, verschränke meine Arme und schließe meine Augen. Wie eine Feder spüre ich die Luft auf meine Haut, wie seine sanfte Berührungen. Doch es fühlt sich so an, als würde meine Lunge ohne ein Zuhause versagen. Ich zucke leicht, als die ersten Regentropfen auf meinem Körper fallen, die sich wie Messerstiche in meinem Herz fühlen. Hätte ich vielleicht einen Regenschirm mitnehmen sollen?
Ich öffne meine Augen und sehe, wie die Menschen sich beeilen. Je stärker der Regen wird, desto stärker wird ihr Verlangen nach Hause zu eilen.
Und ich? Ich habe mein Zuhause verloren. Verloren, wie die Bäume ihre Blätter im Herbst verlieren. Ich wurde getrennt von meinem Zuhause. Getrennt, wie der Mond von der Sonne. Ich verlor mein Zuhause. Ich verlor ihn. Ich verlor jemanden, der mich schützte wie der Regenschirm vor diesem Unwetter. Doch jetzt? Jetzt sitze ich unter dem Regen, der meine Tränen versteckt. Ob es ihn kümmert? Wer ist jetzt da für mich? Nicht mein Zuhause.
Meine Sicht ist verwischt, doch ich sehe eine Gestalt, die mit einem Regenschirm auf mich zurennt. Vielleicht verliert nicht jeder sein Zuhause. Denn mein Zuhause ist zurückgekehrt.