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Den ganzen Weg über, hatte Finya Harutos Schreie gehört, doch je weiter sie sich von den Kellerräumen entfernt hatten, desto gedämpfter waren diese zu hören gewesen. Jetzt, hier oben im dritten Stock, hörte Finya nichts mehr.
König Aaron öffnete die Türe zu seiner Wohnung und wies auf einen der Sessel. „Setz dich, Finya."
Er selbst trat an sein Weinregal.
Kurz darauf reichte er seiner Sklavin einen Kelch mit Wein. Das Erlebnis im Keller begann, seinen Tribut zu zollen. Finya wirkte nun sichtlich erschöpft. „Trink" forderte Aaron sie auf, als Finya den Kelch regungslos in ihren Händen hielt.
Zum zweiten Mal in ihrem Leben setzte Finya den Weinkelch an ihre Lippen.
Überrascht, von der Süße des Weins, sah sie ihren Herren an. „Schmeckt er dir nicht?" Hakte Aaron nach, als Finya den Kelch sinken ließ.
„Doch, Herr. Sehr gut sogar. Er schmeckt nur irgendwie...anders... als der letzte. Süßer. Er...erinnert mich an die süßen Beeren, die ich als Kind im Wald gesammelt habe." setzte sie etwas wehmütig hinzu.
Aaron schmunzelte. „Genau so soll er auch schmecken." erklärte er. „Jeder Wein schmeckt anders. Jeder hat sein ganz eigenes Aroma, seine ganz eigene, feine, Note. Es überrascht mich jedoch ehrlich gesagt, dass du diese Note heraus geschmeckt hast."
Einen Moment lang ruhte sein Blick auf Finya, bevor er aufstand. „Lass uns etwas versuchen..."
Erneut trat Aaron an sein Weinregal und ließ seinen Finger suchend über die verschiedenen Weine gleiten, bevor er sich für eine Flasche entschied, sie öffnete und in einen Dekanter umfüllte. Bald darauf kehrte er zu Finya zurück und reichte ihr einen frischen Kelch. „Probier diesen"
Verwirrt blickte Finya ihren Herren an. Dann setzte sie jedoch auch diesen Kelch an ihre Lippen und probierte. Aaron sah sie abwartend an. „Er ist nicht so süß wie der andere"erklärte sie dann. „Aber er erinnert mich an die Pflaumen aus dem Garten meiner Großmutter."
Der König schüttelte erstaunt den Kopf. „Faszinierend" Finya stellte den Kelch ab, zögerte jedoch, nach dem anderen zu greifen. „Trink, welcher dir auch immer besser schmeckt."
Zufrieden beobachtete Aaron, wie sich seine Sklavin mehr und mehr entspannte und ihre Erschöpfung nachließ.
Er lehnte sich zurück und schloss entspannt die Augen.
„Herr?" holte ihn Finyas unsichere Stimme in die Realität zurück. Er öffnete die Augen und sah sie an. Unsicher drehte Finya den Weinkelch in ihren Händen. Sie nahm einen Schluck, stellte den Weinkelch zur Seite und blickte angespannt auf ihre Füße.
„Haruto kam vor etwa zwei Jahren in mein Dorf." begann sie dann unvermittelt. Aaron richtete sich ein Stück auf und sah seine Sklavin abwartend, aber auch neugierig an. „Mein Vater war damals Dorfvorsteher. Er war ein gerechter Mann und half, wo er nur konnte. Etwa zwei Wochen nach Harutos Ankunft war er mit einigen anderen Männern im Wald beim Bäume fällen. Haruto war auch dabei. Mein Vater starb an diesem Tag. Er wurde von einem Baum erschlagen."
Finya senkte ihren Blick. Sie griff nach einem der Kelche und trank erneut einen Schluck Wein.
„Nochmal zwei Wochen später heiratete Haruto bereits meine Mutter. Ab da begann mein Leben ein Albtraum zu werden. Ich durfte nur noch zum Essen die Hütte betreten. Schlafen musste ich in der Scheune. Den anderen Dorfbewohnern erklärte er, dass er meine Kammer für seinen kranken Sohn bräuchte, der damals zwei Jahre alt war. Keiner fragte weiter nach. Den Mitgliedern meines Dorfes gegenüber zeigte er sich freundlich und einen Monat später ernannten sie ihn zum Dorfvorsteher." Aaron hörte der jungen Frau schweigend zu. „Meine Mutter tat alles, um mir mein Leben erträglicher zu machen, aber ein halbes Jahr später starb auch sie. Sie wollte gerade zu mir auf den Dachboden der Scheune kommen, als die Sprosse der Leiter brach und sie herunter stürzte.
Ab da wurde alles noch schlimmer. Die meiste Zeit sperrte Haruto mich in den Keller unserer Hütte. Diesen durfte ich nur zum Kochen, Waschen und Putzen verlassen. Er bestrafte mich für alles. Wenn ich meine Arbeit nicht schnell genug erledigte, wenn die Wäsche nicht weich genug war, wenn sein Sohn das Essen, das ich gekocht hatte, nicht essen wollte und..." Finya zögerte, seufzte dann leise. „Und wenn ich ihm nicht zu Willen war." erklärte sie dann leiser. „Nicht nur einmal hat er mir den Rücken blutig geschlagen.  Nur, um mich dann erneut zu bestrafen, weil ich vor Schmerzen nicht arbeiten konnte."
Aarons Blick hatte sich inzwischen verfinstert, seine Hand hatte sich zur Faust geballt. Menschen. Rühmten sich immer mit ihrer Freundlichkeit, doch das, was dieser Haruto getan hatte, stellte das Verhalten so mancher Vampire in den Schatten.
„Immer häufiger kam er betrunken zu mir. Nachdem er sich mir zu Willen gemacht hatte, schlief er neben mir ein. Am Tag des Überfalls war er wohl wieder im Wirtshaus im Nachbarort. Die...Vampire...die mein Dorf überfielen, schienen etwas zu suchen. Vor Wut zerstörten sie das ganze Dorf, töteten diejenigen, die sich wehrten und nahmen die anderen mit sich mit. Ich höre ihre Schreie noch heute in meinen Träumen."
Finyas Stimme war inzwischen zu einem Flüstern geworden. „Dann war auf einmal alles still. Nichts schien sich mehr zu regen. Es war so dunkel und so kalt. Irgendwann betraten auf einmal dunkle Gestalten den Keller und banden mich los. Ich war so erschöpft, dass ich danach nichts mehr weiß.
Erst im Schloss Eures Bruders bin ich wieder zu mir gekommen..."
Erschöpft und müde lehnte sich Finya zurück, schloss die Augen. Sie öffnete sie wieder, als eine kühle Hand sacht eine Strähne aus ihrer Stirn strich. „Ich danke dir, Finya. Ruh dich aus. Ich muss etwas erledigen."
Finya klammerte sich an den Umhang ihres Herren. „Bitte. Lasst mich nicht allein." flehte sie.
Sanft löste Aaron den Griff ihrer Hand. „Ich muss. Ich schicke dir Dimitri. Er wird gleich da sein."
Ergeben nickte Finya, machte sich auf dem Sessel ganz klein. Sie bekam kaum mit, dass Aaron den Raum verließ. Keine Minute später öffnete sich die Türe erneut und Dimitri betrat die Räumlichkeiten seines Königs. Er setzte sich neben das junge Mädchen, das angefangen hatte zu weinen, und strich ihr beruhigend über den Rücken.
Aaron hatte seine Schritte in Richtung Kerker gelenkt. Nur kurz hatte er Dimitri über alles in Kenntnis gesetzt.
Nun stand er erneut vor seiner Folterkammer. Es war ruhig. Gregori gewährte dem Gefangenen wohl gerade eine kurze Pause -  nur um danach mit wahrscheinlich noch größerer Härte weiter zu machen.
Aaron öffnete die Türe. Wie erwartet stand Gregori, einen dünnen, gewässerten Rohrstock in der Hand, abwartend neben Haruto. Das Hemd, das dieser zuvor getragen hatte, lag inzwischen zerfetzt auf dem Boden. Ein Striemen lag dicht neben dem nächsten, absolut parallel zu dem vorigen, und bildete ein akkurates Gitternetz an roten Striemen auf Harutos Rücken. Kein einziger dieser Striemen war aufgeplatzt, jeder war gleich stark ausgeprägt. Auf Aarons Wink hin, trat Gregori jedoch ein Stück zur Seite. Er sah deutlich die Wut in den Augen seines Herren. Aaron trat an den Tisch. Sein Blick wanderte über die unterschiedlichen Stöcke und Peitschen.
Schließlich griff er nach der neunschschwänzigen Katze. SEINER neunschwänzigen Katze. Der Peitsche, die an jedem ihrer neun Enden statt des Knotens eine scharfe Metallspitze hatte, die bereits bei einem leichten Schlag die Haut aufreißen würde. Drohend baute er sich vor Haruto auf.
„Bist du für den Tod des ehemaligen Dorfvorstehers und seiner Frau verantwortlich?" Haruto lachte dreckig. Nur, um im nächsten Augenblick aufzuschreien, als die Peitsche seinen gepeinigten Rücken traf, die einzelnen Stränge sich schmerzhaft um den Körper schlangen und die Metalldornen sich noch schmerzhafter in sein Fleisch bohrten. Augenblicklich zeichneten sich auch tiefe, rote Striemen auf Harutos Rücken ab.
Aaron wartete, bis die Schreie des Mannes nachließen. „Bist du für den Tod dieser beiden Menschen verantwortlich?" wiederholte er seine Frage.
Haruto wollte vor Aaron auf den Boden spucken, als er jedoch sah, wie sich der Arm des Vampirs zum nächsten Schlag hob, krümmte er sich zusammen.  „Ja." schrie er schon fast. „Ja. Ich habe sie getötet." König Aaron behielt seinen Arm unverändert gehoben. „Und deine Stieftochter? Hast du sie verprügelt und dich an ihr vergangen?"
Erneut grinste Haruto. „Ihre Schreie, wenn ich über ihr war, waren einfach zu herrlich, um es nicht zu tun."
Harutos Grinsen erstarb, als der nächste Schlag auf seinen Körper niederging. Dieses Mal platzte augenblicklich die Haut auf, begleitet von einem gepeinigten Schrei Haruto's.
Inzwischen war Aaron richtig wütend. Doch auch er war ein Meister seines Fachs,  beherrschte seine Peitsche wie kein zweiter. Er wusste genau, wie fest er schlagen konnte, damit Haruto nicht das Bewusstsein verlor und sich die Verletzungen in Maßen hielten.
„Wo ist dein Sohn?" kam sofort die nächste Frage. Entsetzt weiteten sich Harutos Augen. „Wo...ist...dein...Sohn"
Wiederholte Aaron seine Frage, wobei bei jedem Wort ein Schlag auf Harutos Rücken niederging, einer fester als der Andere.
Harutos Schreie gingen in ein Wimmern über. Aaron knurrte, wartete jedoch dann, bis der Mann vor ihm wieder sprechen konnte. „Ich warte..." sprach er drohend und hob erneut die Peitsche. „Bitte...keine Schläge mehr." begann Haruto zu flehen. „Er ist im Wirtshaus bei meiner neuen Frau."
Entgeistert sah Aaron den Mann an. „Wie oft hast du das schon durchgezogen?Wie viele Dörfer hast du schon dem Überfall preis gegeben? Welchen Lohn hast du dafür einkassiert? Haruto schwieg.  Der König drehte sich in Richtung Fenster. „Andrej, hol mir den Jungen."
Erneut begann Haruto zu flehen. „Er ist doch noch ein Kind...."
Aaron sah ihn lediglich kalt an. „Das war Finya auch." Er wandte sich ab und drückte Gregori die Peitsche in die Hand. „Ich bin hier fertig. Kümmer du dich um den Rest."
Gregori verneigte sich und zog die Peitsche durch die Luft.
Panisch begann Haruto an seinen Fesseln zu zerren, doch Aaron beachtete ihn nicht mehr. Auch die Schreie, die nun erneut durch die Kellerräume hallten, interessierten ihn nicht.

Finya 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt