Blutkuss
Nach über dreißig Minuten stand ich immer noch an derselben Stelle. Es schneite so stark, dass es sicher wunderschön gewesen wäre, dieses Schauspiel zu beobachten, vorzugsweise von drinnen, durch ein Fenster, eingewickelt in eine kuschelige Decke, vor einem Kamin, wenn möglich und heißen Punsch in den Händen.
Ich kauerte allerdings im fragwürdigen Schutz des Vordachs in der Ecke der Tür und der Schnee türmte sich, keine zwanzig Zentimeter von mir entfernt, jetzt schon besorgniserregend. Dicke Flocken, gingen dicht und still auf die Welt nieder und ich hatte es längst aufgegeben, bebend von einem Bein auf das andere zu tippeln und mich stattdessen ganz klein in die Ecke gekauert. Meine Finger, die das Päckchen umklammert hielten, waren eiskalt und steifgefroren, aber immer noch konnte ich mich nicht dazu durchringen zu gehen.
Wie bescheuert mein Verhalten war, wurde mir erst klar, als tatsächlich Scheinwerferlicht die Dunkelheit durchschnitt, der Wagen vor dem Haus hielt und Suga kurz darauf vor mir stehenblieb.
„Taehyung."
Er klang noch nicht mal überrascht, verdammt! Warum nicht? War es ihm gleichgültig? Ich? Wäre es ihm tatsächlich egal gewesen ob er mich wiedersieht oder nicht? Ob ich steifgefroren vor seiner Tür hocke wie ein armseliger Köter? Mühsam rappelte ich mich auf. Ich war so lange hier gehockt, dass ich das Gefühl hatte, mich kaum bewegen zu können. Als ich endlich stand, das Päckchen in den Händen, und den Blick hob, stellte ich fest, dass Suga mich stirnrunzelnd musterte.
„Tae, was machst du hier?", fragte er nun tatsächlich und ich fühlte mich unzulänglich. Wollte er, dass ich es aussprach oder wollte er, dass ich mich dumm und wertlos fühlte neben ihm?
„Ich wollte...", begann ich leise und starrte auf das Päckchen. Ich kam mir so dumm vor. „Ich... ich habe ein Weihnachtsgeschenk für dich", hauchte ich kaum hörbar und leckte mir die Lippen. Sie waren eiskalt und spröde. „Und ich... ich wollte mit dir reden", haspelte ich rasch weiter, aber es schien als hörte er mir gar nicht richtig zu. Er hatte sich halb abgewandt, sein Blick glitt über den schwarzen Himmel, der beständig immer mehr Schneemassen ausspuckte und seine Miene verzog sich zu einer unwilligen Grimasse.
„Das ist nicht gut", hörte ich ihn flüstern. „Winterstürme sind nie gut." Aber es klang nicht so, als würde diese Information für mich gelten, denn mittendrin drehte er sich um und betrachtete mich erneut.
„Komm rein", sagte er ebenso leise. „Du holst dir noch den Tod hier draußen."
Später sollte ich mich mehr als einmal fragen, ob alles anders gekommen wäre, wenn er mich in diesem Augenblick wieder nach Hause geschickt hätte, wenn er mich nicht hineingebeten hätte, wenn ich nicht über diese Türschwelle getreten wäre.
Aber ich tat es.
Ich tat es und für eine kleine Weile griff die Illusion eines Wintermärchens. Suga schimpfte leise, wie unvernünftig ich wäre, packte mich im Wohnzimmer auf eines der Sofas und reichte mir eine Decke. Der Kamin wurde angezündet und er verschwand in der Küche. Zurück kam er mit etwas, wofür ich gar keinen Namen hatte, aber es war heiß und intensiv und alkoholisch. Womöglich war das ja ein Grog. Ich hatte noch nie einen getrunken und wollte mir nicht die Blöße geben, zu fragen.
Er setzte sich zu mir, während ich mir die Finger an dem heißen Glas aufwärmte und auf mein Drängen öffnete er auch das Päckchen.
„Ich weiß, dass es kein Ersatz ist", murmelte ich vor mich hin, während er die Spieluhr auspackte. „Aber ich habe sie auf dem Weihnachtsmarkt gesehen und da dachte ich..." Hier brach ich ab, vor allem, weil mir jetzt erst so richtig bewusstwurde, dass nichts an diesem Haus auch nur eine Spur von weihnachtlicher Dekoration aufwies. Es gab auch keinen Baum, noch nicht mal ein paar Lichterketten, gar nichts. Womöglich hatte ich ja mit meiner Weihnachtsüberraschung völlig danebengegriffen. Ich seufzte unhörbar und verfolgte recht beklommen, wie Suga die Spieluhr in den Händen drehte, die Details betrachtete und sie dann aufzog um die Musik abzuspielen.
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Blood, sweat and tears [Taegi]
Fanfiction[BTS-AU] Schon als Kind waren Taehyung Dinge aufgefallen, für die niemand eine Erklärung hatte. Damit begann eine jahrelange Odyssee, die ihn selbst als jungen Erwachsenen noch brandmarkte, weil es keinen Menschen gab, der ihm glaubte. Und auch wenn...