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Finya ging in Begleitung von Dimitri die Gänge der Burg entlang. Heute würde sie das erste Mal wieder zu Rebecca gehen.
„Ich glaube, Rebecca wird sich freuen, dich wieder zu sehen." erklärte Dimitri. Da Finya das Tablett mit Rebeccas Frühstück trug, öffnete er die Türe.
„Guten Morgen, Rebecca." grüßte er freundlich, kaum, dass er die Türe geöffnet hatte. „Guten Morgen." kam es leise und unsicher von Rebecca.
„Ich habe dir jemanden mitgebracht." fuhr er ungerührt fort. Langsam hob Rebecca den Kopf. Als sie Finya in der Türe stehen sah, hellte sich ihr Blick merklich auf und sie begann zu strahlen. Sie sprang auf und wollte gerade auf Finya zulaufen, als ihr Blick zu Dimitri huschte und sie mitten in der Bewegung inne hielt. Dimitri seufzte.
Finya hatte es ihm schon schwer gemacht, doch Rebecca hatte noch mehr Angst vor ihm.
Kurzerhand schob er Finya vor sich, nahm ihr das Tablett ab und trat selbst einen Schritt zurück. Aufmunternd nickte er Rebecca zu. „Es ist alles in Ordnung." Zögerlich ging Rebecca auf Finya zu, fiel ihr aber schließlich um den Hals. „Ich habe dich so vermisst, Finya. Es war so...einsam..hier." sprach sie leise. Ihr schien es wirklich deutlich besser zu gehen. Das zeigte Finya auch das Fehlen des Bechers mit Noxanum auf dem Tablett. Zögernd blickte Rebecca zu Dimitri, wandte sich dann aber wieder Finya zu. „Weißt du, wann ich aus dieser Kammer heraus darf?" Ihre Stimme klang zugleich hoffnungsvoll und ängstlich.
Auch Finya blickte kurz zu Dimitri, der gerade das Tablett auf den Tisch stellte, ergriff dann aber selbst das Wort. „Nicht, solange du solche Angst vor unserem Herren und seinen Wachen hast." Dimitri nickte bestätigend. Rebecca hingegen senkte traurig den Kopf. „Dann werde ich hier nie wieder rauskommen" sprach sie leise.
Nachdenklich blickte Finya zu Dimitri.
„Dimitri?" Die Wache blickte auf. Rebecca verspannte sich merklich. „Darf ich Rebecca den Garten zeigen? Ich weiß, mein Herr hat gesagt, sie darf hier nicht raus, aber vielleicht hilft es ihr ja? Mir hat der Garten immer geholfen."  Dimitri zögerte kurz, nickte dann aber. „In meiner Begleitung sollte das in Ordnung gehen. Also: ja"
Finya zog Rebecca mit zur Türe, wurde aber von Dimitri aufgehalten. „Erst sollte Rebecca frühstücken. Du kannst ihr solange Gesellschaft leisten. Ich hole Euch in einer halben Stunde ab."
„Danke, Dimitri." Das Gardeoberhaupt nickte nur. Er verließ die Kammer und zog die Türe hinter sich zu, ohne jedoch abzusperren.
Verblüfft blickte Rebecca zur Türe. „Er hat vergessen, abzusperren?" kam es einer Frage gleich von ihr. Finya musste schmunzeln. „Nein. Nicht Dimitri. So etwas vergisst er nicht. So etwas macht er bewusst." Verständnislos blickte Rebecca zu Finya. „Hat er keine Angst, dass wir versuchen zu fliehen?" Finya lachte leise, wirkte völlig entspannt. „Versuche, dir die Frage selber zu beantworten."
Rebecca wirkte nachdenklich. Schließlich seufzte Finya. „Bei mir hat er ohnehin keine Sorge." erklärte sie dann. „Und was glaubst du, würde passieren, wenn du jetzt wirklich versuchen würdest, zu fliehen?"
Rebecca nickte langsam. „Du würdest Ärger kriegen?" „Das auch. Aber sie würden uns sehr schnell wieder einfangen. Was ist schon eine halbe Stunde...Da kämen wir nicht weit."
Rebecca schluckte und wurde blass. „Und dann würde der König uns auspeitschen lassen."
Finya schüttelte jedoch den Kopf und legte Rebecca den Arm um die Schulter. „Ich denke nicht, dass unser Herr das tun würde. Zumindest hat er das nicht getan, als ich versucht hatte, zu fliehen. Er kennt andere Strafen, die einem nicht körperlich schaden."
Rebecca nickte langsam, wirkte aber nicht gänzlich überzeugt.
Vor der Türe lächelte Dimitri zufrieden. Sehr wohl war es Absicht gewesen, die Türe nicht abzusperren. Außerdem vertraute er auf Finya, dass sie sich nicht auf eine Flucht einlassen und Rebecca notfalls davon abhalten würde. Dennoch war er neugierig auf Rebeccas Reaktion gewesen. Mit ihrer Reaktion war er durchaus zufrieden.
Er wandte sich ab, um zu seinem König zu gehen. Auch wenn er sicher war, dass die Sache in Ordnung ging, wollte er es angesprochen haben.
Eine halbe Stunde später stand Dimitri wieder vor der Kammer. Aus dem Inneren hörte er das gelöste Lachen von Finya und ein etwas zaghafteres Lachen von Rebecca. Er lächelte. Finyas Besuch schien Rebecca wirklich gut zu tun. Vielleicht konnte sie schaffen, was ihm nicht gelang. Kurz klopfte er und betrat dann den Raum.
Sofort erstarb Rebeccas Lachen und sie spannte sich erneut an.
„Der König hat sein Einverständnis gegeben. Wir können also los." erklärte er freundlich. Die beiden Frauen standen auf und gingen auf Dimitri zu, wobei Rebecca den Kopf gesenkt hielt.
Vor Dimitri sank sie auf die Knie und reckte ihm beide Hände entgegen.
Dimitri blickte sie irritiert an. „Ich denke nicht, dass es nötig ist, dich zu fesseln." Rebecca hielt den Kopf weiterhin gesenkt. „Bei meinem alten Herren durfte ich nie ungefesselt die Kammer verlassen, Herr." erklärte sie leise.
Dimitri seufzte leise. „Du weißt, dass du mich nicht mit Herr ansprechen musst, Rebecca, denn ich bin nicht dein Herr." Rebecca senkte ihren Blick noch tiefer. „Entschuldigung."
Noch immer hatte Rebecca ihre Hände empor gereckt. „Würdest du dich wohler fühlen, wenn ich dir die Hände fessle?" Ein zaghaftes, verlegenes Lächeln setzte sich auf Rebeccas Gesicht. „Ja, H...Ich...bin es einfach so gewohnt, D....Di....Dimitri."
Dimitri lächelte, als sie seinen Namen verwendete und zog ein Seil aus seiner Tasche. Eher symbolisch band er Rebeccas Hände zusammen. „Dann kommt." wandte er sich an die beiden Frauen und half Rebecca, aufzustehen.
Im Garten angekommen löste er das Seil wieder von Rebeccas Händen und verstaute es in seiner Tasche.  Finya sah Dimitri fragend an. Dieser nickte ihr zu. „Ihr könnt euch im Garten frei bewegen. Ich bin hier auf der Bank und warte auf euch." sein Blick wurde etwas strenger. „Ich verlasse mich auf dich, Finya.". Finya lächelte. „Ich danke Euch, Dimitri. Ich werde gut auf Rebecca aufpassen."
„Komm, Rebecca, ich zeige dir meinen Lieblingsplatz hier." Sie zog Rebecca mit sich zu dem kleinen Teich, an dem sie so gerne saß. „Du hast einen Lieblingsplatz hier? Darfst du denn so oft in den Garten?"
Finya schmunzelte, wurde dann aber etwas ernster. „Die letzte Zeit nicht. Da wollte unser Herr mich ständig um sich haben. Aber sonst darf ich mich, wenn meine Arbeiten erledigt sind, frei in der Burg bewegen." ungläubig sah Rebecca sie an. „Das war nicht immer so." erklärte Finya. „Ich musste erst das Vertrauen unseres Herren gewinnen."
Rebecca spannte sich sichtlich an, nun, da das Gespräch in Richtung König Aaron ging. Finya seufzte. „Rebecca. Er ist ein guter Herr. Vertrau mir."
Rebeccas Blick wurde traurig. „Wie soll ich einem Herren vertrauen? Der letzte hat mich fast tot geprügelt."
Finya zog ihre Freundin an sich heran und nahm sie in den Arm. „Nicht jeder Herr ist so. Und vergiss nicht. Du WOLLTEST weiterleben." „....und fast täglich frage ich mich, ob ich die falsche Entscheidung getroffen habe..." Rebeccas Stimme war nur noch ein Flüstern. „Das hast du nicht. Gib unserem Herren eine Chance." Zweifelnd sah die andere Frau sie an. „Ist dir hier schon irgend etwas schlimmes passiert?"  Rebecca schüttelte den Kopf. „Wenn ich ehrlich bin...Nein. Es war sogar regelmäßig ein Arzt bei mir und hat meine Wunden versorgt. Und ich habe diesen Trank gegen die Schmerzen bekommen." Finya lächelte.
Inzwischen saßen die beiden jungen Frauen auf dem Steg und ließen ihre Füße ins Wasser baumeln. „Welche Aufgaben musst du erledigen, Finya?" fragte Rebecca auf einmal unvermittelt nach. „Normalerweise muss ich ihn bedienen oder auch mal putzen oder Staub wischen. Meine erste Aufgabe war es, das Silber zu polieren." Finya lächelte. „Und....fordert er auch dein Blut von dir?" Dieses Mal nickte Finya. „Ab und zu ja. Allerdings biete ich ihm meinen Hals meistens an, bevor er danach fragt." Entsetzt sah Rebecca die junge Frau an. „Du lässt ihn freiwillig von dir trinken?" „Anfangs nicht. Da hatte ich Angst." gab Finya zu. „Aber wenn man sich nicht wehrt und sich entspannt, schmerzt es kaum." Rebecca schüttelte ungläubig den Kopf. „Bei meinem Herren hat es jedes Mal extrem geschmerzt. Er hat fast täglich von mir getrunken und danach konnte ich immer kaum laufen, so schwach war ich."
Finya seufzte. „Vergiss deinen alten Herren. Hier in dieser Burg kann es dir gut gehen."
„Ich habe solche Angst, auf den Herren zu treffen, Finya. Und auch dieser Dimitri macht mir Angst, auch wenn er mir dazu eigentlich keinen Grund gibt."
Finyas Blick wurde nachdenklich. „Weißt du was ich glaube, Rebecca?" Fragend blickte Rebecca zu ihr. „Deine Angst wird nicht besser werden, wenn du dich ihr nicht stellst." Rebecca schluckte.
„Komm...wir fragen Dimitri, ob er uns zu unserem Herren bringen kann."
Entsetzen stand in Rebeccas Gesicht. „Ich komme mit. Und ich verspreche dir, dass dir nichts geschehen wird." Finya legte ihr beruhigend den Arm um die Schulter. Rebecca schluckte schwer. „Wahrscheinlich hast du Recht."

Finya 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt