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Zur gleichen Zeit verließ Yorick die Gemächer seines Königs. Aaron stellte die Schatulle, die er ihm gebracht hatte, in sein Büro, öffnete danach eine Flasche Dessertwein und füllte sie in den Dekanter.

Eine halbe Stunde später klopfte Finya an die Tür der Gemächer ihres Herren. Kurz darauf bat er sie hinein und Finya ging vor ihm auf die Knie. „Gefällt Rebecca ihr neues Zimmer?" „Ja, Herr. Und danke, dass Ihr Arvid und Kjell geschickt habt, damit wir auf den Balkon konnten." Aaron hob überrascht die Augenbraue. „Haben die beiden das gesagt?" fragte er amüsiert und gab Finya ein Zeichen, aufzustehen. Finya zögerte. „Nicht direkt, Herr. Ich dachte nur, weil..." Aaron wies auf einen Sessel. „Setz dich."
Er selbst trat an die Anrichte und füllte zwei Kelche mit Wein.
Dann kehrte er zu seiner Sitzecke zurück, reichte Finya einen der Kelche und setzte sich ihr gegenüber. „Weil was?" hakte er dann interessiert nach. Finya blickte etwas verlegen auf den Kelch in ihrer Hand. „Arvid meinte, ihr erwartet mich erst in einer halben Stunde. Und dass ich Rebecca bestimmt den Balkon zeigen möchte."
Aaron lachte leise und trank einen Schluck Wein. „Trink" forderte er Finya auf, die noch immer auf den Becher starrte.
„Du hast bei meiner Garde ohnehin einen ziemlichen Stein im Brett, seit der Sache mit Imperator Aegir. In der Tat habe ich Arvid nur mit dem Auftrag zu dir geschickt, dich nach einer halben Stunde zu mir zu schicken. Allerdings kennst du Arvid und Kjell inzwischen. Die beiden sind fast untrennbar. Wo der eine ist, ist der andere nicht weit." Finya blickte ihn fragend an. „Wie meint ihr das mit dem Stein?"
Aaron schmunzelte. „Ihnen ist sehr an deinem Wohlergehen gelegen." erklärte er dann. Finya lächelte sacht wurde dann aber etwas unsicher. „Dann war es nicht in Eurem Sinn, dass wir auf dem Balkon waren?" Aaron winkte ab. „Das ist schon in Ordnung. Wichtig ist, dass ihr nicht alleine hinaus gegangen seid." erklärte er dann. „Und in dieser Hinsicht verlasse ich mich auf dich." fügte er ernst hinzu. „Was mich auch zu meinem nächsten Punkt bringt..."
Er stellte seinen Kelch ab und sah zu Finya, die es ihm gleich tat. „Nach deiner Flucht in deiner zweiten Woche hatte ich dir jegliches Vertrauen entzogen. Auch nach der Sache im Kerker war ich nochmal deutlich strenger zu dir. Du hast es jedoch geschafft, mein Vertrauen wieder zu gewinnen." erklärte er dann. „Du hast dir jedoch nicht nur mein Vertrauen erarbeitet, sondern dir auch meinen Respekt verdient." Finya hörte ihm aufmerksam zu, verstand aber nicht, worauf er hinaus wollte. „Nach und nach habe ich dir daher mehr und mehr Freiheiten gewährt." fuhr er unbeirrt fort. „Heute werde ich dir noch einmal mehr Freiheiten gewähren." Er sah zu seiner Sklavin hinab, die er auch im Sitzen deutlich überragte. Finya erwiderte den Blick voller Vertrauen.
„Ab Heute wirst du dich hier in meinen Räumlichkeiten noch freier bewegen dürfen, zumindest solange wir unter uns sind." begann er zu erklären. „Zum Einen gestatte ich dir, auch ohne Aufsicht die Terrasse zu nutzen. Und bevor du fragst: du darfst auch mit Rebecca auf ihren Balkon, bist dann aber in vollem Umfang für sie und ihr Tun verantwortlich." Finyas Augen wurden groß vor Überraschung. „Ich danke Euch" erwiderte sie strahlend. Aaron lächelte, als er ihre Freude sah. „Des weiteren bist du hier in diesen Räumen nicht länger an die sonst üblichen Höflichkeitsformen gebunden. Du musst - außer wenn du mich gerade bedienst - weder vor mir knien, noch mich mit ‚Herr' ansprechen. Dennoch erwarte ich ein respektvolles Verhalten." erklärte er weiter. Finyas Augen weiteten sich erneut. „Das gilt wie gesagt nur, solange wir unter uns sind und natürlich nicht, solltest du unter Strafe stehen." fügte er streng hinzu. Finya verneigte sich respektvoll. „Ich danke Euch, Herr."
Aaron neigte leicht den Kopf. „Was Rebecca betrifft...ich stelle sie unter deine Aufsicht. Die Aufgaben, die Dimitri ihr zuteilt wirst du vorerst gemeinsam mit ihr erledigen. Es sei denn ich benötige deine Dienste gerade." Finya nickte. „Du darfst ihr auch gerne den Garten oder eine der Terrassen zeigen, doch für jedes Fehlverhalten von Rebecca werde ich dich doppelt bestrafen. Überlege dir also gut, was du ihr zutraust oder nicht." War Aaron's Stimme bei seinen Ausführungen streng geworden, so lächelte er Finya jetzt wieder freundlich an. „Hast du das alles verstanden, Finya?"
Finya stand auf und verneigte sich tief und respektvoll vor ihrem Herren. „Das habe ich, Herr. Und ich danke Euch vielmals."
Aaron nickte ihr zufrieden zu. „Dann lass uns darauf anstoßen." erwiderte er und hob seinen Kelch.
Finya hob ihren Kelch ebenfalls, stieß mit ihrem Herren an und begann - nach ihm - langsam zu trinken.
Zufrieden musterte Aaron seine Sklavin, die neben ihm saß. Zwar war ihre Angst vor ihm nicht gänzlich verschwunden, doch sie war einer gesunden Furcht gewichen. Er hatte sie da, wo er sie haben wollte. Sie war stets bemüht, sich respektvoll zu verhalten. Sie war demütig ohne unterwürfig zu sein. Und was ihm am meisten gefiel: sie tat das alles, ohne ihren Stolz verloren zu haben. Er würde sogar so weit gehen, dass sie ihm inzwischen freiwillig und aus Überzeugung diente.
Eine ganze Weile saß Aaron schweigend in seinem Sessel. „Wie weit bist du eigentlich mit dem Buch, das ich dir gegeben habe?"
Finya zuckte leicht zusammen, als Aaron sie aus ihren Gedanken riss. „Ich bin gestern fertig geworden, He..." sie zögerte kurz. „...Hoheit..." fügte sie dann vorsichtig hinzu und entspannte sich sichtlich, als Aaron ihr zufrieden zunickte.
„Dann werde ich dir ein neues Buch geben. Das andere kannst du in dein Regal stellen." Finya sah ihn mit großen Augen an, was Aaron sichtlich amüsierte. „Ich hatte es dir geschenkt, Finya. Außerdem gehören in ein Bücherregal auch Bücher."
Finya strahlte „Ich danke Euch, Herr" sprach sie überwältigt.
Erneut verfiel Aaron in nachdenkliches Schweigen. „Ich möchte dass du in mein Schlafzimmer gehst." sprach er Finya dann an. „Auf meinem Nachttisch liegt das Buch ‚Der Aufstieg des Hauses Vasaril'. Hol es mir."
Erstaunt blickte Finya auf, ging dann aber an die Türe, die zum Schlafgemach ihres Herren führte. Nur zögerlich und langsam öffnete sie die Türe und stand kurz darauf in einem Raum, fast so groß wie das Wohnzimmer. Schwere, dicke Vorhänge hingen an den Fenstern und tauchten den Raum in Dunkelheit.
Langsam und zögerlich ging Finya auf das Bett zu und tastete sich zum Nachttisch vor.
Behutsam nahm sie das Buch in ihre Hände und ließ den Finger sacht über das Leder gleiten.
Sehr gut konnte sie sich noch daran erinnern, als sie es das letzte Mal in den Händen gehalten hatte.
Langsam verließ sie das Zimmer und ging auf Aaron zu. Gewohnheitsmäßig wollte sie gerade auf die Knie sinken, wurde aber durch Aaron's Kopfschütteln aufgehalten.
„Hier bitte, Hoheit" sprach sie statt dessen und reichte ihrem Herren das Buch, der es auf den Tisch zwischen den beiden Sesseln legte.
„Dieses Buch ist sehr alt und ich werde es dir deshalb nicht schenken..." erklärte er. „Es handelt von der Geschichte meiner Familie. Daher möchte ich, dass du es liest. Aufgrund des Alters wirst du es jedoch nur am Tisch lesen." erklärte er, nicht ohne eine gewisse Strenge. „Ich danke Euch." erwiderte Finya, ohne sich hinzusetzen.
Auch als Aaron ihr deutete, Platz zu nehmen, blieb sie stehen. „Herr...?"
Aaron legte fragend den Kopf schräg. „Ja, Finya?" Kurz zögerte das Mädchen. „Wünscht Ihr, dass ich Euer Zimmer lüfte und das Bett mache?"
Aaron sah seine Sklavin irritiert an, drehte sich dann jedoch um. Als er die offene Zimmertüre und dahinter die  Dunkelheit sah, verfinsterte sich sein Blick für einen Moment.
Doch kaum, dass er sich wieder zu Finya umgedreht hatte, blickte er sie schmunzelnd an und lächelte. „Das ist schon seltsam...Ich gewähre dir hier in den Räumen mehr Freiheiten und was machst du? Du bietest mir an, mir noch mehr zu dienen." Verlegen senkte Finya den Blick, woraufhin Aaron wieder ernster wurde. „Normalerweise übernimmt diese Aufgabe eine andere Sklavin. Doch sie hat es heute wohl versäumt. Also ja, es wäre nett, wenn du das übernehmen könntest."
Mit einem Lächeln verneigte sich Finya. „Sehr, gerne, Herr."
Damit betrat sie erneut das Schlafzimmer und öffnete als erstes die schweren Vorhänge. Sofort war der Raum licht durchflutet und Finya sah sich mit großen Augen um.
Die Vorhänge waren aus schwerem, dunkelrotem Samt.
Der Boden war mit dunklem Parkett ausgelegt, in welches das Wappen des Königs eingearbeitet war. Direkt gegenüber der Türe stand ein riesiges Himmelbett aus dunklem Holz mit rot-samtenen Vorhängen. An der einen  Wand befand sich ein riesiger Schrank, an der anderen ein geschlossenes Regal. Die Fenster führten auf einen kleinen Balkon hinaus, der von allen Seiten mit wildem Wein bewachsen und somit uneinsehbar war.
Aaron war Finya gefolgt. An den Türrahmen gelehnt beobachtete er schmunzelnd Finyas Reaktion.
Diese löste sich schließlich von dem Anblick, der sich ihr bot, und öffnete die Fenster, um frische Luft herein zu lassen. Dann wandte sie sich dem riesigen Bett. Mit sichtlicher Mühe schüttelte sie die Decke aus, um diese dann anschließend wieder ordentlich zusammen zu legen.
Leicht verschwitzt wandte sie sich schließlich der Türe zu und stutzte leicht, als sie ihren Herren dort stehen sah. „Ich bin fertig Herr." „Das sehe ich." erwiderte er nur schmunzelnd, trat zur Seite und ließ Finya an ihm vorbei gehen, bevor er die Türe hinter sich schloss.

Finya 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt