15 - Der Überfall

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Samanthas erster Gedanke war, dass Richard die Uhr mitsamt der Kette beim Tanzen verloren haben musste. Sicherlich hatte sich der Verschluss gelöst und die Uhr war heruntergefallen. Aber Richards finstere Miene verriet ihr, dass er etwas anderes vermutete. Schnell begann er, sich wieder anzuziehen.

„Carlotta", sagte er düster, während er sich die Hose zuknöpfte. „Sie hat die Uhr an sich genommen, als sie beim Tanzen gegen mich gestolpert ist. Es war nichts als eine Schauspieleinlage, um an die Schlüssel an der Uhrkette zu gelangen. Ich bin sicher, dass ihr Fuß gar nicht verstaucht ist."

„Du hättest es doch sicherlich gemerkt, wenn sie die Uhr genommen hätte."

Richard schüttelte den Kopf. „Sie hat die Geschicklichkeit dazu, glaub mir. Sie war nicht nur Tänzerin. Sie ist eine Diebin und hat während des Krieges abwechselnd für alle Seiten spioniert. Ich habe sie neulich bei dem Picknick damit konfrontiert, dass ich ihre Vergangenheit kenne, aber sie spielte die Unschuldige - natürlich."

„Du hast kein Wort gesagt."

„Weil ich dich nicht beunruhigen wollte. Es sind alle Geschichten und ich hatte gehofft, sie wären inzwischen bedeutungslos und sie wolle hier wirklich nur ein ruhiges Leben leben. Ich hätte es besser wissen sollen."

Er schlüpfte in seine Schuhe und wandte sich zu der Tür um, die zu seinem Ankleidezimmer führte.

Samantha brauchte einige Sekunden, um die Informationen zu verdauen. Sie stellte seine Einschätzung nicht in Frage, aber Sinn ergab das ganze dennoch nicht. Dann fiel ihr ein, dass die Spanierin kürzlich allein durchs Haus geschlichen war, als sie mit Richard und Hatfield im Wald gewesen war, wo der Sohn des Schmieds tot aufgefunden worden war. „Sie will an den Tresor."

Richards Blick bestätigte ihr, dass auch er zu diesem Schluss gekommen war. Er hatte die Tür zum Ankleidezimmer inzwischen geöffnet und ging zu einem Schrank und zog die unterste breite Schublade auf. Samantha nahm die Kerze vom Frisiertisch und folgte ihm.

Dann stellte sie die Kerze neben ihn und sah ihm über die Schulter dabei zu, wie er seinen roten, ordentlich gefalteten, Uniformrock heraushob und zur Seite legte. Dann kam sein Offiziersdegen zum Vorschein. Das schwarze Leder der Scheide glänzte matt, die metallenen Beschläge waren poliert und sauber, dennoch sah man der Waffe den Gebrauch an. Ein Kratzer am Griff und eine ausgebesserte Furche in der Scheide zeugten davon, dass die Waffe lange getragen und zum Einsatz gekommen war. Richard wusste, dass die Klinge poliert, gefettet und scharf war. Er wog das Gewicht der Waffe einen Augenblick lang in der Hand, dann legte er sie zur Uniform neben sich. Als nächstes hob er mit beiden Händen einen unscheinbaren, abgewetzten Holzkasten heraus auf dem sein Name und die Nummer seines Regiments eingeprägt waren, und öffnete den Schnappverschluss aus Messing. Samantha wusste, dass der Kasten Richards Pistolen enthielt. Nicht die Sportwaffen, mit denen er zum Spaß im Park gelegentlich auf alte Flaschen, Tannenzapfen oder Zielscheiben schoss und auch nicht die schön ziselierten, schlanken Duellpistolen, die er mit den Jagdwaffen unten im Waffenschrank aufbewahrte. Dies waren die schweren, langläufigen Pistolen, mit ähnlichen Schrammen und Gebrauchsspuren wie sie der Säbel aufwies. Es waren die Pistolen, mit denen er im Krieg getötet hatte.

„Willst du mit vorgehaltener Waffe zu ihrem Haus gehen und die Uhr und die Schlüssel zurückfordern?"

Er hob den Blick. Eine seltsame Mischung aus Besorgnis und Entschlossenheit spiegelte sich in seinen dunklen Augen. „Den Weg kann ich mir sparen. Sie kommt hierher."

Samanthas Mund fühlte sich mit einem Mal sehr trocken an. Natürlich machte das, was er sagte, Sinn. Warum sollte sie die Schlüssel an sich bringen, wenn sie sie nicht benutzte? Und wann ginge das besser, als wenn alle schliefen und bestenfalls bevor ein Verdacht auf sie fällt? Stumm sah sie Richard dabei zu, wie er die Pistolen mit geübten, schnellen Handgriffen lud. Er streute nach Augenmaß eine kleine Menge Schießpulver in den Lauf, stieß die Pistolenkugel in den Lauf und streute weiteres Schießpulver auf die Pfanne.

Die Schatten von FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt