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Nach dem Essen kehrte Jonas in seine Unterkunft im zweiten Stock zurück. Er wollte gerade den Raum betreten, als ihm ein junger Sklave entgegen kam. Erschrocken wich der Sklave zurück. „Ich bitte um Verzeihung..." stammelte er. „Ich habe nur...ich sollte..."
Jonas machte einen Schritt nach vorne und legte seine Hand auf den Arm des Sklaven. „Es ist alles in Ordnung. Ich bin nicht verärgert." sprach er den Sklaven ruhig an. „Was wolltest du hier?"
Unsicher blickte der Mann auf. „Ich sollte Kleidung in Euren Schrank räumen, Herr Taliza. Ich...wurde Eurem Zimmer zugeteilt, nachdem Ihr jetzt hier wohnt..."
Jonas lächelte ihn freundlich an. „Dann kann ich mich nur bei dir bedanken und nach deinem Namen fragen."
„Mein Name?" Der Sklave blickte Jonas verwirrt an. Jonas schmunzelte. „Wenn du meinem Zimmer zugeteilt wurdest, werden wir uns wahrscheinlich öfter sehen. Da möchte ich gerne wissen, wie du heißt um dich mit deinem Namen ansprechen zu können."
„Yannis. Ich heiße Yannis."
„Dann danke ich dir für die Kleidung, Yannis. Du kannst übrigens Jonas zu mir sagen."
Jonas trat zur Seite und lies den scheu lächelnden Yannis vorbei.

Später am Nachmittag betrat Jonas einen der Übungsräume.
Dimitri wartete bereits auf ihn. „Ich habe gehört, du hast Yannis bereits kennen gelernt?"
Jonas nickte. „Er scheint mir sehr verunsichert und ängstlich zu sein."
Dimitri nickte. „Er ist erst seit ein paar Tagen bei uns. Er hat sich freiwillig gemeldet, um seinem Vater dieses Los zu ersparen." erklärte er. „Ich habe ihn unter anderem dir zugeteilt. Wenn du also irgend etwas brauchst, wird er sich darum kümmern. In den Ställen hast du bewiesen, dass du den Sklaven gegenüber sehr freundlich bist. Ich denke, das braucht Yannis jetzt für den Anfang. Normalerweise kümmere ich mich selber um solche Sklaven, doch aktuell habe ich dafür keine Zeit. Ich vertraue ihn daher dir an."
Jonas nickte. „Ich werde mich seiner annehmen, Dimitri."
Dimitri neigte leicht den Kopf, begann dann aber fast schon fies zu grinsen. „Genug geplaudert. Jetzt wird trainiert."
Etwa zwei Stunden später war Jonas Kleidung komplett nass geschwitzt und Dimitri beendete das Training. „Du hast dich gut gehalten, Jonas."
Zweifelnd blickte Jonas zu Dimitri, der nicht einmal ansatzweise erschöpft wirkte. „Wenn wir mit dir fertig sind, wird dich das Training nicht mehr so erschöpfen." Dimitri grinste ihn an. „Und deswegen wird nach dem Abendessen Andrej mit dir trainieren." Jonas stöhnte auf. Bereits jetzt war er zum Umfallen müde. Dimitri lachte leise. „Uns allen ging es am Anfang wie dir. Nach einem Becher Blut wirst du dich bereits besser fühlen. Und keine Sorge. Das Training mit Andrej wird zumindest körperlich nicht so anstrengend."
Jonas grinste schief und fuhr sich mit der Hand durch die nassen Haare. „Ich sollte nächstes Mal vielleicht Wechselkleidung mitnehmen..."
Dimitri wollte gerade antworten, als es zaghaft an der Türe klopfte. Erstaunt hob er die Augenbraue. „Herein..."
Langsam öffnete sich die Türe. Ein sichtlich nervöser Yannis betrat zögerlich den Raum. In der Hand hielt er ein Paket mit Kleidung.
„Verzeiht...ich wollte nicht stören. Es ist nur...in der Küche...die Sklaven haben von Eurem Training erzählt...ich dachte, ihr könntet vielleicht frische Kleidung brauchen?"
Fragend blickte er zu Jonas. Dimitri blickte kopfschüttelnd auf den jungen Mann, bevor er sich an Jonas wandte. „Da hat wohl jemand Eindruck geschunden..."
Etwas verzögert ging Jonas auf Yannis zu. „Ich könnte in der Tat frische Kleidung brauchen." sprach er den jungen Mann freundlich an. „Danke. Das war gut mitgedacht von dir." Yannis begann erleichtert zu strahlen und reichte Jonas die frische Kleidung.

Die nächsten beiden Tage verliefen ebenso anstrengend für Jonas. Zusätzlich zum gemeinsamen Training mit der Garde am Morgen reihte sich ein Training an das nächste. Inzwischen hatte jedes Gardemitglied bereits mit ihm trainiert. Dennoch achtete Dimitri streng darauf, dass Jonas ausreichend Zeit zum Erholen zwischen den Trainings hatte.
Am dritten Tag nach seiner Aufnahme als Wache winkte Dimitri ihn nach dem morgendlichen Training zu sich. „Heute hast du ausnahmsweise keine Einzeltrainings. Aaron wird heute über das endgültige Schicksal von Jaro entscheiden. In einer Stunde treffen wir uns im Besprechungsraum. Er will jeden von uns dabei haben. Auch dich."

Eine Stunde später hatten sich alle im Besprechungsraum eingefunden. Finya saß neben Aaron auf einem der Stühle.
„Heute werde ich das Urteil über Jaro fällen." ergriff Aaron das Wort. „Für das, was er getan hat, gibt es im Grunde nur eine Strafe: Den Tod. Wenn er mir also nicht plausible Argumente liefert, wird er noch heute sterben. Das wird ihm bewusst sein. Ich rechne daher mit hoher Gegenwehr, sofern ihn die Silberkammer nicht stark geschwächt hat. Das heißt für alle: höchste Aufmerksamkeit."
Unauffällig berührte Finya ihren Herren am Bein. „Ja, Finya?" Wie immer, wenn er mit Finya sprach wurde Aaron's Stimme sogleich sanfter. „Könnte es nicht von Vorteil sein, ihn bis nach dem Angriff am Leben zu lassen? Ich weiß, es birgt auch ein gewisses Risiko, aber auch die Chance, dass er doch noch mehr Informationen Preis gibt..."
Nachdenklich begannen Aaron und seine Garde  zu diskutieren und das Für und Wider abzuwägen. „Ich werde es von seiner heutigen Reaktion abhängig machen." entschied der König schließlich.
Nachdenklich glitt sein Blick über die anwesenden Männer und blieb schließlich auf Jonas hängen. „Ich würde dich gerne mit in die Kerker nehmen. Ein Ogun könnte von Vorteil sein. Allerdings stehst du noch sehr früh im Training. Außerdem brauche ich jemanden, der auf Finya Acht gibt während ich im Kerker bin. Wäre es für dich in Ordnung, diesen Part zu übernehmen?"
Erstaunt erwiderte Jonas Aaron's Blick. Auch wenn er jetzt ein freier Mann und offiziell Teil der Wache war, hatte er nicht damit gerechnet, derart in die Aufgabenverteilung mit einbezogen zu werden. „Natürlich, Hoheit. Ich weiß selbst, dass ich noch zu unerfahren bin. Jaro ist höchst aggressiv. Seine Angst könnte das noch verstärken. Da ist kein Platz für Fehler. Sehr gerne werde ich daher auf Finya aufpassen."
Aaron lächelte zufrieden. „Dann wäre das entschieden und wir können starten."

Nur wenig später bog die Garde mit ihrem König in den Gang mit der Kammer ein.  Bereits aus der Ferne konnten sie Jaros schmerzhaftes Stöhnen hören.
Gregori öffnete die Kammer. Jaro hing kraftlos in den Ketten, die Augen blutunterlaufen. Auch sein ganzer Körper war rot von den Verbrennungen, die das Silber verursacht hatte. Langsam hob er den Kopf, als Aaron zwischen seiner Garde hervor trat und in der Türe stehen blieb. „Endlich..." murmelte er, zu schwach, um auch nur die kleinste Gegenwehr oder Wut zu zeigen. „Endlich seid Ihr da, um mich zu richten."
„Habt Ihr noch irgend etwas zu sagen, bevor ich mein endgültiges Urteil fälle?"
Mühsam hielt der Mann den Kopf gehoben und begann langsam und mit vielen Pausen zu sprechen. „Ich habe Euch als Schwächling bezeichnet dafür, wie Ihr mit Euren Sklaven umgeht. Aber ich habe mich geirrt. Eure Sklaven dienen Euch gerne und gut." Jaro wurde von einem Hustenanfall unterbrochen. Die Schädigung durch das Silber hatte wohl bereits seine Lunge erreicht. „Ein Sklave der aus Angst dient, hätte Euch nie so unterstützt, wie Finya es getan hat. Sie dient Euch wirklich freiwillig." erneut musste Jaro husten.
„Imperator Aegir...ihr müsst ihn stoppen.  Er wird das Ehrenduell nicht fair bestreiten.
Seine Wachen werden mit Silberpfeilen aus dem Hinterhalt auf Euch schießen."
Erschöpft schloss Jaro die Augen. Sein Kopf sackte auf die Brust.
Aaron nickte Gregori und Kjell zu. „Macht ihn los und bringt ihn in eine Zelle. Bindet ihn mit Eisenketten. Die sollten in seinem Zustand stark genug sein." Abschätzend blickte er auf Jaro. „Gebt ihm etwas Blut. Ich will, dass er vorerst überlebt."
Gregori und Kjell traten neben den Gefangenen. Mit höchster Aufmerksamkeit lösten sie die Silberketten. So schwach Jaro wirkte, keiner wollte beschwören, dass er es auch wirklich war. Daher wurden die beiden zur Sicherheit von der ganzen Garde umringt, als sie den inzwischen Bewusstlosen Jaro in eine Zelle schleiften und ihn dort anketteten. Erst als die verstärkte Türe sicher geschlossen war, entspannte die Garde sich wieder.

Finya 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt