Ich beobachtete sie erneut. Nun schon seit einer Woche und es war nichts besonderes passiert. Doch heute saß sie alleine aud einer steinigen Bank und schaute sich immer genau um,ob auch ja niemand sie beachtete. Sie wollte sichergehen,denn sich selbst bezeichnete sie als unsichtbar und unauffällig. Das stimmte allerdings. Ich hatte sie erst seit einer Woche auf dieser Schule bemerkt. Nun holte sie eine Klinge heraus und schnitt sich in den Oberen Innenarm. Ratsch. Ratsch. Ein Schnitt nach dem anderen. Das musste doch wehtun. Warum machte sie sowas? War sie innerlich so zerstört? Vielleicht war sie eine Künstlerin im Verstecken von Emotionen. Denn das einzige an Emotionen,was ich ihr entnehmen konnte,war diese eine glasklare Träne,die aus ihrem linken eisblauen Auge herunter lief. Doch mehr als diese Träne kam nicht. Sie ritzte sich weiter und jedes mal ein bisschen tiefer.
Warum? War sie so am Boden zerstört?
Ich beschloss,zu ihr zu gehen und mit ihr zu reden,vielleicht würde sie dann damit aufhören. Doch noch bevor ich mich hinsetzen konnte,steckte sie ihre kleine Klinge wieder in ihre Tasche und schaute zu Boden. War es ihr unangenehm,dass ich sie erwischt hatte,oder war sie einfach nur schüchtern? "Hei",versuchte ich ein Gespräch mit ihr zu beginnen. Doch sie schaute mich immer noch nicht an.
"Hi",sagte sie mit einer Zärtlichkeit in der Stimme,die man einfachnicht beschrieben konnte. Sie wirkte immer so stark,doch jetzt wo ich neben ihr saß kam sie mir plötzlich so zerbrechlich vor. Wahrscheinlich war sie zu lange stark geblieben. Ich wollte jetzt unbedingt wissen,was mit ihr los war,weil ich Angst hatte,sie könnte sich noch einmal wehtun.
"Dir gehts nicht so gut,was?",versuchte ich es erneut. Vielleicht half es etwas,ihr Hand zu halten,während ich mit ihr redete. Vorsichtig griff ich nach ihrer zierlichen Hand und merkte,wie kalt sie war.
"Du bist ja ganz kalt. Möchtest du meine Jacke anziehen?"
"N-nein...das passt schon."
"Es ist aber kalt..."
"Ich weiß. Aber du brauchst deine Jacke selbst. Oder willst du wegen mir erfrieren?"
"Ich erfriere doch nicht. Mein Pullover ist warm genug." Ich öffnete ohne weiter nachzufragen meine Jacke und legte sie ihr über die Schultern. Sie schien es nicht zu stören.
"Warum bist du überhaupt hier? Ich mein...ich bin doch-"
"Unsichtbar."unterbrach ich sie."Das behauptest du. Aber es würde jedem auffallen,wenn die einzige Steinbank in der Pause nicht besetzt wäre. Glaub mir."
"Ich kann dir nicht glauben. Du kennst mich nicht. Keiner tut das. Nicht mal ich selbst. Und deswegen ritze ich mich. Weil das alles einfach keinen Sinn mehr macht. Geh ruhig wieder rübee zu deinem Zwillingsbruder. Ich komm auch alleine klar."
"Nein...ich will dir doch nur helfen."
"Ich frage mich wie du dich für mich interessieren konntest..."
"Hör auf,ok?"
"Womit?"
"Damit"ich deutete auf ihren linken Arm,wo ihre Wunden waren.
"Warum?"
"Es ist schlecht..."
"Du verstehst das nicht...für wen wäre es denn schlecht,wenn ich plötzlich nicht mehr da wäre? Niemanden."
"Das stimmt nicht. Roman und ich...wir...also er und ich"
"Ja?" Es war das erste Mal,dass wir Augenkontakt hatten. Sie war wunderschön. Ihre Augen waren so hellblau,wie der Himmel an einem warmen Sommertag,ihr Mund war in einem zarten rosa gehalten und ihre Haare sahen so aus,wie reines Gold.
"Wir beobachten dich jetzt seit einer Woche und uns würdest du fehlen."