16 - Vitoria

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Irgendetwas weckte Richard. Vielleicht war es aber auch nur das dumpfe Hämmern in seinem Kopf das ihn zu sich kommen ließ. Er erlangte nur langsam das Bewusstsein zurück. Sein Schädel fühlte sich an, als wäre er unter Wasser oder in Watte gepackt. Seine ganze Wahrnehmung war von dem Schlag auf den Kopf benebelt und als er versuchte, sich zu bewegen ging es nicht. Er bekam auch seine Augen zunächst nicht auf. Sie waren von Blut, das ihm übers Gesicht gelaufen und zwischenzeitlich in rostroten Schlieren getrocknet war, verklebt. Der Versuch, die Augen zu öffnen, schmerzte. Doch als er die Hand heben wollte um sich die Augen zu reiben, ging es nicht. Er stöhnte.

„Du bist wach."

Carlottas Stimme war unverwechselbar und als Richard endlich die verkrusteten Augen aufbekam, sah er ihr schönes, lächelndes Gesicht. Erst jetzt stellte er fest, dass seine Hände hinter dem Rücken an seinen eigenen Schreibtischstuhl gefesselt war. Seine Knöchel war ebenfalls gefesselt und als er an den Fesseln zerrte, stellte er fest, dass die Knoten so miteinander verbunden waren, dass wenn er an dem einen zog, sich ein anderer Knoten festzog. Der grobe Strick schnitt ihm unangenehm in die Handgelenke und Knöchel.

Carlotta hatte ihm mit ruhiger Miene zugesehen. „Die Unannehmlichkeiten tuen mir ganz schrecklich leid, mein Lieber. Aber du kannst hier nicht einfach mit einer Pistole hereinmarschieren."

„Das ist mein Haus", erinnerte er sie. Seine Stimme klang belegt und so benommen, wie er sich fühlte.

Sie lächelte milde, als wäre dies eine unnötige Feststellung und fuhr fort irgendetwas auf dem Schreibtisch, der mit allerlei Dingen beladen war, herumzuschieben.

Richard blinzelte zum wiederholten Mal. Er sah leicht verschwommen, das Licht eines Kerzenständers auf dem Schreibtisch blendeten ihn. Nur allmählich gehorchten ihm seine Sinne wieder und er sah erst jetzt, dass der Tresor offenstand und die Dinge auf dem Schreibtisch, dessen Inhalt war. Da lagen wild verstreute Unterlagen und Urkunden, ein ordentliches Bündel Pfundnoten, ein Häufchen goldene Sovereigns, Schmuck, die Schatulle mit dem Rosenquarz.

„Nimm die Wertsachen und verschwinde."

Carlotta sah wieder auf. „Das ist es nicht, wonach ich suche."

Im Hintergrund nahm Richard eine Bewegung und Geräusche wahr und er drehte den Kopf soweit er es in seiner gefesselten Position vermochte, um zu sehen, was hinter seinem Rücken vor sich ging. Er erhaschte einen Blick auf zwei Männer, die den ebenfalls offenen Waffenschrank ausräumten. Sie warfen ihm aus grimmigen Gesichtern finstere Blicke zu und fuhren schweigend fort, einen Sack, der mit Richards Gewehren gefüllt war, durch das offene Fenster nach draußen zu heben. Der kleinere von beiden kletterte durch das Fenster und schulterte den Sack. Nach einem weiteren teilnahmslosen Blick in Richtung des Gefangenen, machten sie sich davon.

„Wirklich sehr zuvorkommend, dass du den Schlüssel zum Waffenschrank und den zum Tresor an der Uhrkette bei dir trägst. Wirklich, Richard. Du hast es mir fast zu einfach gemacht."

Richard ignorierte ihre Feststellung, gab ihr aber insgeheim recht. „Dein Knöchel ist auf wundersame Weise verheilt", stelle er trocken fest. "Aber noch bemerkenswerter ist, dass du mit einfachen Strauchdieben gemeinsame Sache machst. Du bist tief gesunken, Carlotta."

Sie lächelte, stolz über ihre gelungene Finte. „Diese Männer tun fast alles für Geld. Das Schöne ist: Sie haben praktisch kein Gewissen und keine Skrupel und ihre Loyalität gehört dem Geld, das ich ihnen gebe."

„Dann passt ihr ja wunderbar zusammen."

Carlottas Kopf ruckte zu ihm herum. Ihr Ausdruck war mit einem Mal hart geworden und ihre Fingerspitzen streiften eine Pistole, die neben ihr auf dem Tisch lag. Statt die Pistole zu greifen, ballte sie die schlanke Hand zur Faust. „Du weißt gar nichts. Ich bin loyal bis in den Tod. Meine Treue gehört einzig und allein dem Kaiser."

Die Schatten von FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt