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Als sich die Türe öffnet, sieht man sofort, wie fertig Leo doch sein muss.
Er atmet tief durch, den Blick ausschließlich auf den Boden gerichtet.

Der Richter lässt seinen Blick auf Leo ruhen, bis dieser komplett im Flur steht.
Anschließend treffen sich unsere Blicke, worauf er mir kaum merklich zunickt und mit der Verhandlung fortfährt.
Einer der Gerichtsdiener schließt die Türe und somit bekommen wir keine der Worte des Richters mehr mit.

Leo scheint mich noch immer nicht wahrgenommen zu haben, denn er kämpft gegen seine zitternde Unterlippe an, indem er sie zwischen die Zähne zieht und fest zubeißt.

"Hey Großer!" meine Worte lassen den niedergeschmetterten Jungen vor mir stark zusammenzucken.
Als ich meine Hand auf seiner Schulter ablege, hebt er endlich den Kopf an und realisiert, das ich vor ihm stehe.
Keine Sekunde später klammert er sich Halt suchend um meinen Körper und zittert am ganzen Leib.
Ich schlinge ebenfalls meine Arme um ihn, drücke seinen Kopf sanft an mich und lege mein Kinn auf seinem Kopf ab.
Es dauert nicht lange, bis die ersten Schluchzer zu hören sind.
"Psssscht. Es wird alles wieder gut!" mir ist bewusst, das die Situation für Leo gerade momentan alles andere als gut ist, aber irgendwie muss ich ihn ja trösten.

Der ganze Körper, des Jungen in meinen Armen, bebt vor angestauter Trauer und der unbändigen Wut auf seinen Vater.
Wir verharren einige Minuten in dieser Umarmun, da mir das wichtiger erscheint, als nur ein einzig gesprochenes Wort.

Irgendwann löst sich Leo selbst von mir und starrt betreten auf den Boden:
"Tut mir leid!"
"Für was entschuldigst du dich?"
Leo hebt seinen Blick, worauf wieder ein paar Tränen in den Abgrund hinabstürzen.
"Weil ich so schwach bin. Er hat Recht, ich bin..." bevor er auch nur ein Wort weiterreden kann, unterbreche ich ihn harsch:
"Nein! Lass dir das unter keinen Umständen einreden. Erik hat nicht Recht! Du hast eine schlimme Kindheit hinter dir und hast das auch nie wirklich verarbeitet, sondern nur versucht  zu verdrängen. So wie es aussah, hast du das von deiner Mutter nicht gewusst, oder?"
Leo schüttelt nur mit dem Kopf, da sein ganzer Unterkiefer wieder zu zittern beginnt.
"Du zeigst schon alleine mit deiner Anwesenheit, wie stark du bist! Du brauchst dich nicht zu schämen wenn du weinst. Selbst mir treibt es fast die Tränen in die Augen. Dieser Mensch, der sich dein Vater schimpft, hat keinerlei Emotionen mehr übrig, für nichts und niemanden. Er ist Gefühlstot. Du aber nicht. Ich weiß das es schwer ist, aber du darfst dich von ihm nicht fertig machen lassen, denn das ist das, was er will. Da er dich jetzt nicht körperlich angehen kann, versucht er es auf der emotionalen Schiene. Lass dich nicht darauf ein!" ich wische dem Jungen vor mir, mit meinen Daumen die Tränen aus dem Gesicht.

"Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte meine Mutter diesen Arsch bestimmt schon früher verlassen und wäre diesem Monster nicht ausgeliefert gewesen!" Leo's Stimme wird dem Ende zu immer leiser, bis am Schluss nur ein leises krächzen übrig bleibt.
"Sowas darfst du nicht denken! Deine Mutter hat sich für dich entschieden, weil sie ein guter Mensch ist. Weist du, manchmal möchte man nicht wahrhaben, das gewisse Situationen auswegslos sind. Man versucht manchmal etwas zu retten, da man die Hoffnung hat das es irgendwann wieder gut wird. Leider sieht man durch dieses Wunschdenken die Tatsachen nicht richtig und begibt sich somit immer mehr in einen Teifelskreis, aus dem man alleine nicht wieder herauskommt. Ich denke deine Mutter wäre auch ohne dich bei ihm geblieben! Nur hätte sie ohne dich, bestimmt niemals aus diesem Gefängnis entkommen können. Du hast ihr viel erspart, dadurch das du so viel Gewalt wie möglich von ihr ferngehalten und selbst auf dich genommen hast!" jetzt laufen mir doch auch noch ein paar Tränen über mein Gesicht, aber das zeigt Leo nur, das es in Ordnung ist wenn auch wir Kerle mal ein paar Tränen vergießen.

Zoey's Freund schmeißt sich abermals in meine Umarmung und nuschelt mir ein "Danke!" entgegen.
"Da gibt es nichts zu danken, Leo. Das sind nur Tatsachen, die über meine Lippen gekommen sind. Du bist ein großartiger Junge und schaffst auch den Rest noch. Auch wenn wir leider nicht direkt neben dir sitzen können, sind wir bei dir. Alle. Und wir alle lieben dich so, wie du bist, denn das bist DU. Okay?"

"Okay!" kommt es zögerlich von Leo, jedoch entspannt er sich jetzt merklich in meiner Umarmung.

Als die Türe vom Gerichtssaal geöffnet wird, zucken wir beide zusammen und lösen uns sofort voneinander.

Leo's Anwalt stößt mit grimmiger Miene zu uns dazu, kann sich seinen zuckenden Mundwinkel aber nicht verkneifen, da er uns auf frischer Tat ertappt hat.
"Leonard, geht es soweit bei ihnen?" der Anwalt legt seinen Kopf leicht schief und mustert seinen Mandanten ausgiebig.
"Geht schon, danke!" Leo sieht wieder auf den Boden und scheint sich langsam zu sammeln.
Da er keine Anstalten macht, sich mit seinem Anwalt unterhalten zu wollen, wende ich mich Herrn Blum zu:
"Wie ist die Lage da drin?
"Nunja. Die Videoschalte wurde vor einer Minute beendet, da die ausfälligen Äußerungen des Herrn Britz, Frau Britz doch sehr zugesetzt haben. Der Richter hat das Ordnungsgeld noch zweimal erhöht und schäumt fast vor Wut. Eins muss man dem Herrn Britz lassen, er zeigt sich von seiner besten Seite! Also zu Gunsten von uns!" die Mundwinkel des Anwalt's wandern augenblicklich in die Höhe.
"Wann geht es weiter?" will ich letztendlich wissen, doch meine Frage wird mir sofort von dem Gerichtsdiener, der die Türe wieder öffnet, beantwortet.
"Jetzt!" kommentiert Herr Blum diese Aktivität und läuft sofort wieder in den Gerichtssaal hinein.

"Leo, denk daran was ich gesagt habe, okay? Versuche die ganzen Dinge, die dein Vater dir an den Kopf wirft, zu ignorieren! Er will dir absichtlich weh tun. Das ist sein einziges Ziel. Wir wissen alle wie die Wirklichkeit aussieht!" ich streiche Leo noch schnell über die Wange, während er tief durchatmet.
"Na los! Zeig es dem Arsch!" auf diese Worte hin, grinst mein Großer mir entgegen und begibt sich dann ebenfalls wieder in den Gerichtssaal.

Auch ich muss jetzt einmal tief durchatmen.
Obwohl die Jungs und ich nur als Beistand fungieren, geht es einem doch mehr an die Nieren als gedacht.
Die Tatsache, das Leo die ganzen Lügen seines Vaters glaubt, da er Jahrelang nichts anderes eingetrichtert bekommen hat, bricht mir das Herz.
Ich hoffe stark, das wir dem Jungen helfen können, sein Selbstwertgefühl wieder ins Lot zu bringen und ihm klar wird, das es Menschen gibt, die ihn so akzeptieren wie er ist.

Meine Hände reiben einmal durch mein komplettes Gesicht, bevor ich wieder den Zischauerbereich des Verhandlungsraum betrete.

Als ich mich wieder in die Bank, in der auch Phil und Alex sitzen, begebe, werde ich bei meiner Ankunft sofort wieder in die Mitte gezogen.
"Ich hoffe du konntest Leo etwas aufbauen! Erik dreht total am Rad. Wenn er es gekonnt hätte, hätte er Tanja direkt aus dem Bildschirm rausgezogen und windelweich geschlagen!" flüstert mir Alex ganz leise zu, während der Staatsanwalt vorne irgendwelche Blätter sortiert und immer wieder einen sorgenvollen Blick auf Leo wirft.
Richter Janthost betrachtet Leo nachdenklich und switcht immer wieder zwischen Erik und ihm hin und her.
"Er ist wirklich fertig. Ich hab mein Bestes gegeben. Hoffentlich war es gut genug!"

"So! Darf ich um Ruhe bitten! Die Verhandlung geht weiter!" der Richter lässt den Raum durch seine Stimme verstummen und nickt somit zum Staatsanwalt, der sich wieder auf seine Füße stellt und ein paar Zettel in die Hände nimmt.

Tag der WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt