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Ich rührte mich nicht. Das hätte alles noch schlimmer gemacht. Ich wartete einfach darauf, dass der Vampir seine Kumpels holte und sie mich in Konfetti zerreißen würden. Doch das taten sie nicht, was nicht zuletzt daran lag, dass der Vampir hinter mir keine Hilfe holte. Anscheinend wollte er mich für sich allein haben. Na toll. So endete mein Leben also. Als zerrütteter Klumpen ihm Magen einer ekelerregenden Kreatur.

Ich schloss meine Augen, bereit, dass mir diese elende Gestalt die Halsschlagader aufriss und mich ohne mit der Wimper zu zucken umbrachte. Doch nichts dergleichen geschah.

Irritiert öffnete ich meine Augen wieder. Dann griff ich an. Na gut, wenn er mich nicht töten wollte, dann ich wenigstens ihn. Doch er war zu stark, in menschlicher Form war ich schwach, nichts weniger als ein Häufchen Elend, dass auf seinen Todesstoß wartete.

Der Vampir hielt mich auf, bevor ich ihm zu nahe kommen konnte. Aber dann hatte ich eine brillante Idee. Ich wollte mich in die Fluten des Sonnenlichts stürzen, dorthin konnte kein Vampir vordringen.
Doch bevor ich das tun konnte, packte er mich am Arm. ,,Bist du wirklich so dumm, wie du aussiehst?", fragte er und ich stieß wütend die Luft aus, die ich eben noch konzentriert eingeatmet hatte. Wie konnte er es wagen? Ich konnte jetzt zwar nicht gegen ihn ankommen, doch er wusste, dass ich in ausgewachsener Form ziemlich stark war. Dann konnte ich ihn mit einem Biss töten. Na ja, zumindest so halbwegs.

,,Oh nein, das würde ich lieber lassen", meinte der verdammte Vampir, der mich noch immer mit Klammergriff festhielt. Konnte er etwa Gedanken lesen? ,,Dazu sage ich jetzt nichts mehr." Ich konterte wütend: ,,Hast du doch gerade." Außerdem, wo gab es bitte gedankenlesende Vampire? Das war doch absurd!

,,Nein, ist es nicht!", zischte er entrüstet. Ich grinste gegen meinen Willen. Aha. Ein wunder Punkt. Der Vampir schnaubte eingeschnappt und ließ ein wenig lockerer.
Bevor er sich versah, hatte ich mich von ihm losgerissen und steuerte auf die von Sonnenstrahlen überflutete Lichtung zu. Ich hörte, wie er mir folgte und auf mich zu sauste.

Rechtzeitig sprang ich zur Seite und er rannte direkt in die Sonne.

Ein Winseln drang aus seinem Mund. Genau wie die neuen Welpen des Clans, schoss es mir durch den Kopf. Trotz anscheinend qualvoller Schmerzen konnte er noch ein: ,,Ich hasse Werwölfe!" herausbringen.

Ehrlich, ich genoss sein Leiden und endlich konnte ich ihn mir auch näher ansehen. Seine dunkelbraunen Haare - sehr, sehr dunkle Haare übrigens - hatte er sich mit Gel zurückgekämmt und seine schwarzen Augen blitzten vor Wut. Die Gelfrisur stand ihm übrigens überhaupt nicht, hatte er sich ohne Spiegel frisiert?
,,Sehr witzig, Mum! Oder bist du meine Lehrerin?", fragte er und mühte sich ab, aus dem Sonnenlicht herauszukommen, doch es schien ihn festzuhalten und einzusaugen wollen, wie den Staub der anderen Vampire.

Moment mal! Er war noch nicht zu Staub zerfallen! Wie ging denn das? Entweder Vampire waren immun gegen die Sonne oder sie waren sofort tot. Wie konnte er also so lange der Macht der Sonne standhalten?
,,Tja, ich bin eben etwas Besonderes!", antwortete er mir auf meine ungestellte Frage.

Und dann war er wieder in das Dunkel des Waldes geschlüpft und es gab keine Mauer aus Licht, die mich vor ihm hätte schützen können.
Er klopfte sich seine Arme und Beine ab, vielleicht klebten noch Reste vom Sonnenlicht daran. So bescheuert das auch klang, so wahrscheinlich war es auch, im Anbetracht der Tatsache, dass der Vampir vor mir Gedanken lesen konnte.

Er richtete sich wieder auf und grinste mich an. Oh-oh. Das würde Ärger geben, da war ich mir ganz sicher. ,,Tja, was..." Weiter kam er nicht, ein lautes Geheul begann und ich hätte ihn nicht auch mehr verstanden, wenn er weitergeredet hätte.

Durch den Wald kam jetzt eine Schar aus Vampiren auf uns zu, ihre schwarzen Augen blitzten in dem wenigen Licht der Sonne, die mir jetzt gerade aber auch nicht helfen konnte, da nur schwache vereinzelte Strahlen in den Dunkelwald vordrangen.
Mit ihrer unfassbaren Schnelligkeit kamen sie auf uns zu und streckten ihre Arme nach mir aus. Ups. Ich hätte wohl besser zu Hause im Clan bleiben sollen. ,,Und das fällt dir erst jetzt ein?", fragte mich der Vampir, der schnell einem anderen auswich. Ach ja. Ihn hatte ich beinahe vergessen. Wütend zischte er. ,,Du willst mich nicht zum Feind haben, ehrlich!" Ich verdrehte die Augen. ,,Sind wir nicht schon Feinde?" Er antwortete nicht. Genervt sprang ich einem angreifenden Vampir aus dem Weg. Er hätte mich fast umgerannt. Ehrlich, konnten diese hirnverbrannten Arschlöcher nicht einen Moment aufpassen?

Er lachte. ,,So habe ich es noch nie gewagt sie zu nennen." Ich verdrehte abermals die Augen, war aber darauf bedacht, auf die anderen Idioten aufzupassen, die jetzt immer zu zweit anrückten. Langsam wurde es mir zu viel. ,,Mir auch", murmelte er und zerrte mich am Handgelenk von den anderen weg. Er fing an zu rennen. Sehr, sehr schnell. Es fühlte sich an wie fliegen, ich genoss es richtig. Die Bäume verschwammen bei unserer Geschwindigkeit und der Vampir, der immer noch meine Hand zerquetschte, wich jedem Hindernis aus. Leider waren die ausgehungerten Kreaturen hinter uns auch nicht gerade langsamer.

,,Tja, ich denke, wir verstecken uns bei dir im Clan. Du musst mich als verletzten Werwolf vorstellen, dann vertrauen sie mir eher, als wenn sie merken, wer ich tatsächlich bin." Ich nickte, das war wirklich am wahrscheinlichsten. Aber eine Frage hatte ich noch...
,,Schieß los", forderte er mich auf. ,,Wie haben jede Menge Zeit." Ich lachte ironisch. ,,Klar. Es sind ja auch nur tausende Vampire hinter uns her!" Er zuckte mit den Schultern. Es schien ihm nichts auszumachen. ,,Was soll's. Ich bin auch ein Vampir. Und ich werde dich beschützen." Ungläubig blickte ich zu ihm hoch. ,,Das ist es ja. Warum hast du mich nicht längst zum Abendessen verspeist?" Seine Miene verdunkelte sich. ,,Das erkläre ich dir ein anderes Mal. Jetzt haben wir wirklich ein ganz anderes Problem." Ich nickte. Das stimmte, denn die Horde aus wütenden Vampiren war uns immer noch dicht auf den Fersen.

Wenn der Mond scheintWo Geschichten leben. Entdecke jetzt