Kapitel 32 - Herbst 2007

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Maja

Das ganze Dorf stand Kopf. Die schöne Deutsche würde den Lehrer heiraten!
Es würde das Fest des Jahres werden!
Maja erzählte ihren Eltern am Telefon von der bevorstehenden Hochzeit, erwartete Begeisterungsstürme, doch nur ein langes Schweigen war die Antwort.

„Hast du dir das gut überlegt, Töchterchen?" fragte ihr Vater seltsamerweise.
Maja kam ins Stocken. „Ja! Ja, natürlich! Stefano ist gut für mich!"
„Und Felix?" Bruno konnte nicht glauben, dass seine Tochter die Liebe zu dem jungen Mann, den sie wie einen Sohn in ihr Herz geschlossen hatten, schon vergessen hatte.

„Was? Felix? Das ist seit Monaten vorbei!" antwortete sie. Aber warum fühlte sie sich bei diesen Worten wie eine Verräterin?
„Bist du dir ganz sicher, Mädchen?"

Die Tränen schossen wieder in ihre Augen. Verdammt! Ja! Sie war sich sicher! Sie war sich so sicher gewesen! Warum musste der Vater die alten Wunden wieder aufreißen? Jetzt, wo sie endlich zu verschorfen begannen? Jetzt, wo es Stefano gab, der gut für sie war?
„Sag uns endlich, wo du bist, Maja!" bat ihr Papa, und sie nannte den Ort, ohne nachzudenken. Warum hatte sie jetzt diesen Vorsatz gebrochen?

„Wir fliegen runter!" sagte ihr Vater nur und legte auf.
Maja zitterte am ganzen Körper. Was sollte das? Warum reagierte ihr Vater so seltsam auf ihre große Neuigkeit, Stefano heiraten zu wollen? Warum brachte er Felix ins Spiel? Felix, der sie fast zerstört hatte?

Gut, sie hatten ihn gemocht, aber sie war ihre Tochter! Sie mussten doch auf ihrer Seite stehen! Sie mussten ihn doch hassen wie sie!
Monatelang hatte sie ihnen verboten, den Namen zu erwähnen. Warum hielt sich ihr Vater ausgerechnet heute nicht mehr an die Abmachung?
Und warum wollten sie zu ihr fliegen? Gut, sie hatten sie lange nicht gesehen, aber warum gerade jetzt?

Maja war verwirrt, durcheinander, litt wieder unter den vielen „Warums"!
An diesem Abend sagte sie die Verabredung mit Stefano ab. Sie musste nachdenken, aber sie wollte nicht nachdenken!
Sie musste sich erinnern, aber sie wollte sich nicht erinnern!
Sie musste weinen, aber sie wollte nicht weinen!
Sie wollte nicht, dass ihr Herz plötzlich wieder nach Felix schrie.
Nach Felix, dem Bastard, den sie immer noch liebte!

Felix

Felix war überrascht, dass Majas Eltern außerhalb der Besuchszeit zu ihm kamen. Er hatte eine bevorzugte Stellung im Gefängnisbetrieb, durfte deshalb auch Sonderbesuch empfangen.
„Sie will heiraten!" rief Marga, ihre Mutter, kaum dass sie sich begrüßt hatten.
„Nein!" stieß Felix gequält hervor. Nein, bitte nicht das, dachte er. „Wann?"
„Am 22. November! Wir fliegen morgen zu ihr! Sie ist in Sizilien." berichtete Bruno. „Wir haben es auch erst gestern erfahren!"

Er nahm Felix in den Arm. „Aber wir wissen beide, dass sie dich noch liebt! Wir müssen diese Hochzeit verhindern! Die erste haben wir zugelassen, aber diese Mal werden wir uns einmischen! Sie weiß nicht, dass du im Gefängnis bist! Wir durften ja nie über dich sprechen! Sonst hätte sie sich nicht mehr gemeldet! Und wir haben doch nur sie!" Die Worte sprudelten nur so aus Brunos Mund, während die Tränen über sein Gesicht liefen.

Maja hatte Felix nie die Gelegenheit gegeben, alles zu erklären. Hätte sie ihm zugehört, dann hätte sie sicher verstanden, dann hätte sie auch verzeihen können! Sie musste erfahren, wie die Sache wirklich abgelaufen war. Sie würdensich nicht mehr davon abhalten lassen! Sie würden sich einmischen! Manchmal mussten Eltern sich einfach einmischen, wenn es um das Glück ihres Kindes ging.

„Und wenn sie ihn liebt?" fragte Felix leise.
„Das tut sie nicht! Nicht so wie dich! Sie erzählt dauernd davon, wie gut er für sie ist, aber ihre Stimme singt nicht wie bei dir."

Felix schöpfte ein wenig Hoffnung. Eltern kannten ihre Kinder meistens gut.
Er ging zu seinem Spind, holte den riesigen Stapel Briefe heraus. „Bringt ihr die!" bat er mit Tränen in den Augen. „Vielleicht versteht sie!"

Die Eltern von Calsow nahmen den Stoß an sich, drückten Felix, den Sohn ihres Herzens, an sich und verabschiedeten sich.
In dieser und den nächsten Nächten machte Felix kaum ein Auge zu. Hoffnung keimte in ihm, rasende Sehnsucht quälte ihn, panische Angst machte ihn atemlos.


Der Hass wird nicht siegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt