2. Kapitel

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„Hey.", sagte Ben. Er lächelte sie mit seinem unschuldigsten Ben-Lächeln an. „Alles okay bei dir?"

„Oh, hey Benni. Tut mir leid, dass ihr beiden das alles miterleben musstet.", sagte Mila.
Ihre Stimme klang fest aber ihr Blick sprach Bände. Man konnte ihr ansehen, dass sie alles mit angehört hatte. Jedes einzelne Wort. Mist. Sie blickte mich verletzt an und ich blickte schnell auf den Boden.

„Was ist passiert?", fragte Ben.
Mila trat von einem Fuß auf den anderen. „Juli und dieses Mädchen... Jenny... haben ein paar Pillen geschluckt und so ein Zeug. Aber die werden wieder."
„Willst du nicht deinen Eltern Bescheid geben oder sowas?", fragte Ben.
Mila schüttelte den Kopf. „Ähm, würde ich ja. Aber meine Schwester hat gesagt, wenn ich das mache, dann sagt sie denen, dass es nicht ihre Pillen waren."

Ben ging langsam auf sie zu. Er strich Mila durch die langen dunkelbraunen Haare. „Also waren es deine? Schatz, du weißt, dass Drogen..." Mila machte große Augen. „Nein, die gehören mir nicht. Aber Juli denkt, dass es meine sind."
Mila zog eine kleine kreisrunde Metallschatulle aus ihrer Hosentasche. Auf der Dose stand in verschlungenen roten Buchstaben Poldis Pfefferminz Pastillen. Darunter war ein Braunbär in Lederhosen abgedruckt, der einen Daumen hoch zeigte. Der Bär hatte einen Schnauzer und trug eine Hornbrille.

Ben blickte Mila bestürzt an. „Schatz, das ist kein Spaß. Woher hast du das Zeug?" Zwischen seiner Frage und ihrer Antwort vergingen nur Bruchteile von Sekunden, aber ich konnte in ihrem Blick lesen, wie ihre Antwort lauten würde. „Von Io." Mila blickte mich gehässig an.

„Was? Also- Nein!" Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

„Ich kann es nicht glauben." Ben sah mich enttäuscht an. „Das... also das hätte ich niemals von dir gedacht. Richtig uncool von dir." Fast hätte ich ihm an den Kopf geworfen, dass ich niemals so uncool wäre, eine Pfefferminzpastillendose mit einem derart bescheuerten Braunbären zu besitzen, aber sein Gesichtsausdruck sagte mir, dass es jetzt besser war zu schweigen.

Er wollte Mila die Dose abnehmen, aber sie hielt ihn zurück.

„Hier, die kannst du zurückhaben. Damit du dich für immer daran erinnern kannst, was du damit angerichtet hast." Sie hielt mir die Dose hin. Stille. Ich starrte Mila an. „Du- du weißt aber schon, dass-"
Doch sie ließ nicht nach. Ihr Blick war flackernd und ich sah Angst. Aber noch mehr sah ich Wut, und die war so groß, dass ich so schnell wie möglich aus diesem Haus musste.
Ich nahm die Dose mit zitternder Hand entgegen, drehte mich um und rannte in den Flur, wo ich fast über Milas Schuhe stolperte, die noch immer auf dem Boden lagen. Ich schlüpfte halb in meine Sneaker. Die Jacke zog ich mir in der Eile verkehrt herum an. Sie war immerhin schon fast wieder trocken. Ich knallte die Tür so laut zu wie ich konnte. Mindestens zwei Bilder fielen von der Wand auf den harten Holzboden. Ich hörte Glas splittern.

Die Sonne war gerade am Untergehen. Sie leuchtete dunkelorange. Die ganze Straße war in ein goldenes Licht getaucht. Es hätte schön sein können, wäre nicht alles so schrecklich gewesen. Ich atmete tief ein und aus, um nicht loszuheulen.
Es war noch nicht so spät, aber ich konnte mich schon mal auf den Weg zu Melissas Party machen. Da hätte ich wenigstens ein bisschen Ablenkung davon, dass meine beste Freundin gerade sowas wie den Laufpass gegeben hatte.

Noch nie in meinem Leben hatte ich diese verdammte Dose gesehen.
Ich verstand nicht, warum diese blöde Kuh die ganze Schuld an mir abgeladen hatte.
Immerhin hatte Ben ihr unsere Beziehung auch verheimlicht. Aber anscheinend war sie nur sauer auf mich und nicht auf ihren Benni-Schatz.
Ich öffnete die Dose. Sie war bis zum Rand gefüllt mit rostroten Pillen. Juli und ihre komische Freundin konnten nicht mehr als vielleicht fünf Pillen genommen haben, so voll war die Dose.
Ich hielt meine Nase näher ran und roch. Das waren eindeutig keine Pfefferminzpastillen.

Mila hatte mir ja auch verheimlicht, dass sie anscheinend ein kleines Drogenproblem hatte. Lag wahrscheinlich in der Familie. Das Zeug hatte sie mir doch auch nur gegeben, um vor Ben gut dazustehen.

Die 200 Euro lagen noch immer eingeweicht in meiner Jackentasche. Ich wollte Mila eigentlich sagen, dass ich Ben nur verarscht hatte und das Geld selbst eingesteckt hatte. Als Ben so sauer geworden war und uns zur Polizei geschleppt hatte war ich kurz davor gewesen, das ganze aufzulösen. Aber irgendwas hatte mich zurückgehalten.
Wahrscheinlich hätte Mila gesagt, dass ich Ben das Geld zurückgeben soll. Aber vielleicht hätte sie das auch nicht gesagt und dann hätten wir richtig fett shoppen gehen können. Manchmal war sie ja doch für eine Überraschung gut.
Aber das konnte ich mir jetzt sparen. Mila würde das Geld nie im Leben sehen. Und Ben schon gar nicht.

Wenigstens ging ich heute zu Melissas Party. Melissa war meine große Schwester. Sie war vor drei Jahren in ihre eigene Wohnung gezogen und hatte mich mit meinen Eltern alleingelassen. Heute feierte sie ihren zwanzigsten. Ich war zwar nicht eingeladen, würde ihr aber trotzdem einen Besuch abstatten.

Melissa wohnte in der Nähe von Mila. Während ich an den Vorgärten vorbeilief, gingen die Laternen an. Ich ging durch einen Park, den man eher als Wiese mit Trampelpfad bezeichnen konnte. Dahinter begannen die Häuser mit mehr als zwei Stockwerken.

Das Haus in dem Melissa wohnte hatte fünf Stockwerke und meine Schwester wohnte im vierten. Ohne Fahrstuhl. Schon als ich die Eingangstür öffnete hörte ich das Stimmengewühl und die Musik. Ich ging das dunkle Treppenhaus nach oben und fragte mich, wie Melissa es aushielt, da immer hoch und runterzulaufen. Als ich im vierten Stock ankam sah ich, dass dort schon ein Junge stand. Er hatte blaues schulterlanges Haar. Er trug ein ausgeleiertes pinkes T-Shirt und eine graue Jogginghose. „Da macht niemand auf.", sagte er. Seine Stimme war tiefer als ich erwartet hatte.


„Hast du schon probiert, einfach die Türklinke runterzudrücken.", sagte ich.
„Die Tür ist offen. Aber ist das nicht Einbruch?", sagte der Junge.
Ich konnte nicht anders, als ihn auszulachen.
„Ähm, nein, das ist eine Party? Außerdem bin ich Melissas Schwester, ich darf einbrechen." 

Der Junge blickte mich verwirrt an. „Wer ist Melissa?"
„Die, die die Party schmeißt? Bist du vielleicht wirklich ein Einbrecher?"
„Ach so nein, ich bin hier zu Besuch und mein Onkel will, dass ich denen sage, dass die zu laut sind." 

„Sag deinen Onkel doch, dass er zu leise ist." Ich öffnete die Tür, nahm ihn an der Hand und zog ihn hinein. 

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⏰ Last updated: Dec 04, 2022 ⏰

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Liebe mal dreiWhere stories live. Discover now