Kapitel 101 - Nicola

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Nicola packte ihren letzten Koffer, den, den sie mit dem Flugzeug mitnehmen wollte. Ihre restlichen Sachen waren schon vorausgeschickt worden, müssten schon in der Einliegerwohnung bei ihren Eltern eingetroffen sein.

Verdammt! Da hatte sie ja überhaupt keinen Bock drauf, wieder bei Mama und Papa unterzuschlüpfen.
Aber hier in Amerika war es dumm gelaufen! Sie hatte es verbockt! Alles in den Sand gesetzt!
Mit 24 war sie hier angekommen, die begabte ITlerin, mit einem Superabschluss in der Tasche. Sie hatte eine Stelle in einem aufstrebenden Unternehmen sicher, mit einem Gehalt, von dem sie in Deutschland nur träumen konnte.

Am meisten froh war sie darüber, ihrem despotischen Vater und ihrer ihm hörigen Mutter zu entkommen.
Mit dem Vater hatte es harte Kämpfe gegeben, als er von ihren Plänen erfuhr. Letztendlich hatte ihn das Geld, das sie verdienen würde, überzeugt.

Sie hatte bald einen noch besseren Job in einem großen Betrieb bekommen, in dem sie rasant aufgestiegen war.
Gut, wenn sie ehrlich war, hatte sie sich nach oben geschlafen! Sie war hübsch, sie war jung und sie war willig!
Weil sie schnell begriff, dass sie zwar gut war bei ihrer Arbeit, aber nicht so genial, wie sie es für einen Aufstieg in dieser Geschwindigkeit sein müsste, hatte sie ihre Reize gezielt eingesetzt, mit Erfolg.
Mit 30 allerdings hatte sie die Riege der Männer durch, die ihr behilflich sein konnten, und der BigBoss legte ihr nach ein paar Nächten nahe, sich einen anderen Arbeitgeber zu suchen.

Sie brüllte und zeterte, drohte und heulte, es half nichts. Wenigstens schrieb er ihr ein gutes Zeugnis.

Ein halbes Jahr lebte sie von ihren Ersparnissen, dann brauchte sie dringend eine neue Arbeit. Sie fand einen schlechtbezahlten Job bei einem Start-Up. Doch dort lernte sie unheimlich viel, auch nicht so ganz legale Tricks.
Der Besitzer gab ihr bald zu verstehen, dass sie mit mehr Gehalt rechnen konnte, wenn sie ihm hin und wieder außerdienstlich zur Verfügung stehen würde. Er war ein langhaariger, übergewichtiger, bärtiger Nerd, doch mit genügend Alkohol im Blut brachte sie diese sowieso immer nur kurzen Verpflichtungen hinter sich.

Dann kam Mike! Er hatte einen ziemlichen Batzen an Dollars von seinen Eltern geerbt, den er in Charlies Unternehmen investierte. Er sah umwerfend aus, und Nicola verliebte sich sofort in ihn. Sie baggerte ihn nach allen Regeln der Kunst an, doch er schien nicht interessiert daran zu sein, das Liebchen des Chefs in sein Bett zu bekommen.

Sie war mittlerweile 34, kleidete sich wie eine Zwanzigjährige, sah aus wie 40.
Sie investierte ihr gesamtes Geld in ein paar Eingriffe, nach denen sie etwas jünger zu sein schien.

Da merkte sie, dass Mikes Widerstand schwand, hatte aber keine Ahnung, dass Charlie dem Teilhaber sein Okay gegeben hatte, ein wenig Spaß mit ihr zu haben.
Als er sie zum ersten Mal vögelte, war sie im siebten Himmel. Sie machte Zukunftspläne, träumte von Haus und Kindern.
Zwei Jahre ging das so, sie schlief mit beiden Männern, dachte immer noch, einer wüsste nichts vom anderen.
Charlie nahm sie aus, aber der hatte nichts dagegen, so sparte er sich die anstrengen Besuche im Puff.
Mike nutzte den Service, dass sie alles machte, was er von ihr verlangte, und auch noch kostenlos!

Dann brachte Mike eines Tages ein Mädchen mit in die Firma, das er als seine Verlobte vorstellte. Da drehte Nicola durch. Wie eine Furie ging sie auf die Frau los, warf einen Aschenbecher nach Mike, zerlegte ihren Computer.
Charlie druckte wortlos ihre Papiere aus, knallte sie vor ihr auf den Tisch.
„Hau ab!" sagte er nur und ließ sie stehen.
Das Zeugnis war miserabel, den letzten Lohn behielt er für das zerstörte Gerät ein.
So stand sie nahezu mittellos vor den Scherben ihres Lebens, das sie so zuversichtlich begonnen hatte.

Ihre Eltern begrüßten sie zurückhaltend, waren entsetzt, was aus ihrer hübschen Tochter geworden war. Sie war zwar einige Male zu Hause gewesen in den Jahren, aber sie konnten kaum glauben, wie alt sie geworden war.

Nicola suchte im Internet nach Stellenangeboten. Sie hatte das Glück, dass in Deutschland der Markt ziemlich gierig nach Arbeitskräften war, weil die besten Köpfe abwanderten in Länder, in denen sie besser bezahlt wurden.
Doch ihr Zeugnis würde ihr nicht gerade weiterhelfen! Doch das sollte für eine Informatikerin kein Problem sein.

Sie scannte das Dokument ein, spielte ein wenig herum, konnte gewissen Formulierungen aufhübschen, machte sich auch gleich noch ein paar Jahre jünger, druckte alles aus.
Die anderen Zeugnisse konnte sie so lassen, musste nur auch das Alter anpassen.

Dann sah sie die Angebote noch einmal durch, suchte die Homepages der Firmen im Internet, las interessiert die Profile, sah konzentriert die Fotos der Mitarbeiter durch.
Schließlich entschied sie sich für eine kleinere Firma in Regensburg. Bayern! Das wäre weit genug von ihren Eltern weg! Außerdem war der Chef ein ausgenommen hübscher Kerl, da machte es doch Spaß, zur Arbeit zu gehen. Sie hatte sich zwar vorgenommen, nichts mehr am Arbeitsplatz mit Typen anzufangen, aber ein bisschen spielen konnte man ja!

Sie schrieb ihre Online-Bewerbung, schickte sie auch gleich ab.


Der Hass wird nicht siegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt