Alte und neue Traditionen

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Den ersten Weihnachtstag startete Henning gegen Mittag. Da er nach seiner Nachtschicht erst gegen acht Uhr morgens ins Bett gekommen war, hatte er schließlich erst einmal ein paar Stunden Schlaf nötig.
Um fünfzehn Uhr war er bei einer Nachbarin eingeladen, bei der er seit vier Jahren zu Weihnachten mit ihren zwei Kindern Kekse backte. Als kleiner Junge hatte seine Mutter immer an einen den Weihnachtsfeiertage mit ihm zusammen Kekse gebacken und Henning hatte diese Tradition geliebt. Vor fünf Jahren hatte seine Nachbarin sich gerade vom Vater ihrer Kinder getrennt und war mit der Situation derart überfordert, dass sie Henning um Hilfe bitten musste. Er hatte einige Tage auf die beiden Kinder, die damals noch vier und sechs Jahre alt gewesen waren aufgepasst. Dabei hatte sich sowohl mit den beiden Kindern wie auch mit seiner Nachbarin Ilona, eine gute Freundschaft entwickelt.
Da er Weihnachten die letzten Jahre immer alleine gewesen war, hatte Ilona ihn eingeladen einen der Feiertage mit ihr und den Kindern zu verbringen. Daraus hatte sich eine kleine Tradition entwickelt und jedes Jahr am ersten Weihnachtsfeiertag war Henning mit Ilona und ihren beiden Kindern zum Kekse backen verabredet.
Svenja hatte sich über diese Termine von Henning immer furchtbar aufgeregt. Sie war zwar eh nicht zuhause gewesen, sondern hatte stattdessen Hennings Geld im Wellnessurlaub verprasst. Doch das ihr Lebensgefährte sich um fremde Kinder kümmerte und mit ihnen Kekse backte, fand sie trotzdem absolut nicht in Ordnung.
Als es in den letzten Monaten vermehrt zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen kam, hatte sie ihm sogar vorgeworfen das er ein pädophiler Perverser sei. Eine Beleidigung die Henning ganz klar verletzte und eigentlich hätte er schon damals einen Schlussstrich unter diese Beziehung setzten sollen. Aber er hatte sich eingeredet, dass sie diese Anschuldigung nur im Zorn vorgebracht und gar nicht so gemeint hatte. Im Endeffekt wusste er schon damals, das sie ihn nur derart beleidigt hatte um ihn zu verletzten. Sie hatte ein Problem damit das er am ersten Weihnachtsfeiertag mit seiner Nachbarin und deren Kinder, eine solch schöne Tradition pflegte und dabei Spaß hatte. Wenn er so dadrüber nachdachte hatte sie eigentlich stets versucht ihm ein schlechtes Gewissen einzureden, wenn er sich mit Freunden getroffen und dabei Spaß gehabt hatte. Im Anschluss hatte sie ihm zuhause oft eine Szene gemacht und ihn so dazu gebracht, sich nicht mehr so häufig mit seinen Freunden und Bekannten zu treffen.
Eigentlich hätte er viel früher erkennen müssen was für ein falsches Spiel diese Frau mit ihm spielte, aber er hatte die Zweisamkeit und die schönen Stunden zwischen ihnen genossen. Daher hatte er immer gezögert die Beziehung zu beenden und das obwohl Svenja ihn oft genug beleidigt und verletzt hatte.
Doch nun war er zum Glück wieder frei von diesen Sorgen. Auch wenn es ihm zuhause jetzt ein wenig einsam vorkam, fühlte er sich auch befreit und kam endlich wieder mit einem guten Gefühl nach Hause.

Henning versuchte die negativen Gedanken an seine Exfreundin zu verdrängen und trank seinen Kaffee aus. Er räumte den Küchentisch ab, an dem er soeben ein kleines Frühstück zu sich genommen hatte, dann machte er sich fertig um zur verabredeten Zeit bei Ilona und den Kindern zu klingeln. Er zog den weihnachtlichen Pullover an, den Ilona ihm vor zwei Jahren geschenkt hatte, schnappte sich die drei Geschenke die er vor einigen Tagen noch besorgt hatte und verließ das Haus. Als er an der Haustür auf der anderen Straßenseite klingelte, hörte er bald wildes Fußgetrappel die Treppe herunter eilen, bevor auch schon die Tür aufgerissen wurde. Der neunjährige Tobi sah ihn mit aufgeregter Miene an.

„Henning!"

Begrüßte der Junge ihn überschwänglich und zog ihn an der Hand ins Haus hinein.

„Henning ist da!"

Rief Tobi laut und sofort konnte man ein weiteres Paar wilder Fußgetrappel auf der Treppe hören. Die elfjährige Alice tauchte ebenfalls am Fuß der Treppe auf und begrüßte Henning gut gelaunt.

„Wir haben schon heute morgen alles vorbereitet. Mama war vor den Feiertagen alles einkaufen, wir haben uns fünf Sorten ausgesucht."

Erklärte Alice fröhlich und sprang vor ihnen in Richtung Küche.

Schicksalhafte BegegnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt