35 - Papa, Gott und der Himmel

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Am nächsten Morgen war Michael schon um kurz nach 7 wach, aber nicht, weil er ausgeschlafen war, sondern weil die Blase drückte. Schlecht gelaunt stand er auf, zog sich die Hose und den Pulli vom Vortag über und ging rüber ins Gäste-WC. Kurz überlegte er, wach zu bleiben, doch sein innerer Schweinehund entschied sich schnell dazu, gleich wieder zurück ins Bett zu gehen und noch ein paar Stunden zu schlafen.

Auf dem Weg zurück ins Gästezimmer blieb er in Flur stehen. Hatte er da gerade Elisa im Wohnzimmer leise plappern hören? Leise schlich er zur angelehnten Wohnzimmertüre und lugte hinein.
Tatsächlich! Elisa saß auf dem Teppich, mit dem Rücken ans Sofa gelehnt und Bruce's Kopf lag in ihrem Schoß. Scheinbar erzählte sie ihm gerade von ihrem Krankenhausaufenthalt, vermutete Michael. Genau hören konnte er das zwar nicht, aber durch die Gesprächsfetzten 'Dokor Max' und 'Röhre für den Kopf' war er sich ziemlich sicher. Sollte er zu Elisa gehen? Oder war das Gina nicht recht, wenn er einfach so zu ihrer Tochter ging, ohne, dass sie dabei war. Schließlich war er ja nicht Peter, den Gina und Elisa schon jahrelang kannten.
Einige Sekunden haderte er, entschloss sich dann aber dazu, an der Tür zu klopfen, um Elisa zumindest einen guten Morgen zu wünschen, bevor er sich wieder ins Bett legen wollte.

"Ja? Mama?", erklang Elisas zarte Stimme, nachdem Michael an der Tür geklopft hatte.

"Guten Morgen Elisa!", antwortete Michael und kam sich im gleichen Moment total dumm vor. Elisa musste doch jetzt völlig verwirrt sein, dass er in ihrem Haus war.
"Wir wollten dich und Bruce gestern nicht wecken, deshalb bin ich noch hier.", fügte er hinzu.

"Warst du in der Nacht hier?", fragte Elisa zögerlich und schaute Michael mit unsicheren Augen an.

"Ähm...ja, das war ich." Michael konnte Elisas Reaktion nicht einschätzen und blieb lieber an der Türe stehen. Er wollte sie nicht verunsichern oder ihr gar Angst machen, was aber sein hätte können, wenn er jetzt einfach so zu ihr ins Zimmer kam.

"Hast du bei Mama geschlafen?", wollte Elisa nun weiter wissen.

Langsam wurde Michael bewusst, was Elisa gerade denken musste. Ein Mann der abends, als sie mit Gina vom Krankenhaus heimgekommen war, schon im Haus war und auch jetzt am Morgen bei ihr Zuhause war...musste ja bei ihrer Mama gewesen sein.
"Nein, Elisa. Ich habe im Gästezimmer übernachtet.", klärte er auf.

"Ah, achso.", gab Elisa nun gelangweilt von sich. Das Thema war für sie scheinbar geklärt.

"Du Michi? Wo ist denn die Mama jetzt?" Mit fragenden Augen sah Elisa nun Michael an.

"Die schläft bestimmt noch. Es ist erst 7 Uhr, also noch viel zu früh fürs Aufstehen am Wochenende. Magst du sie wecken, damit sie bei dir ist?"

"Ne, das ist schon ok so. Mama schläft in letzter Zeit eh nicht gut...und...egal." Elisa brach ihren Satz ab.

Nun war Michaels Aufmerksamkeit geweckt. Plötzlich wirkte Elisa traurig und schaute zu Bruce's Kopf, den sie streichelte. Auch wenn er selbst keine Kinder hatte, merkte er sofort, dass Elisa etwas bedrückte. Dass sie innerhalb von Sekunden so traurig war, musste mit Gina zusammenhängen.

"Magst du mir erzählen, was dich so traurig macht?", fragte er vorsichtig nach.

Zaghaft nickte Elisa. "Kannst du dich da irgendwo auf den Teppich setzten? Weil ich muss flüstern, ich will nicht, dass Mama das hört.", bat sie Michael, der daraufhin nickte, ims Wohnzimmer ging und sich ein Stück von Elisa entfernt auf den Teppich setzte.

"Also...", begann Elisa zu erzählen. "Ich wache in der Nacht manchmal auf und dann höre ich Mama manchmal weinen. Und sie ist glaub ich auch oft wach in der Nacht, weil sie dann manchmal aufs Klo geht und ich habe ja meine Türe von meinem Kinderzimmer nachts noch nicht ganz zu, da höre ich das dann. Darum will ich die Mama heute mal ausschlafen lassen und noch nicht aufwecken.", flüsterte Elisa traurig.

Der Anblick zerbrach Michael fast das Herz. Er konnte Menschen eh nicht weinen sehen aber bei Kindern war es noch schlimmer. Zu gut konnte er sich daran erinnern, als Maite's älteste Tochter zum ersten Mal bei ihrem 'Onkel Paddy' übernachten durfte und dann in der Nacht tränenüberströmt vor seinem Bett stand, weil sie Heimweh hatte.

"Das kann ich gut verstehen, dass dich das traurig macht, Elisa. Dann lassen wir deine Mama schlafen, bis sie von alleine aufwacht, in Ordnung?"

Zustimmend nickte Elisa und streichelte wieder durch Bruce's Fell. Elisa schwieg und auch Michael wusste nicht so recht, was er sagen oder tun sollte.

"Ich glaube die Mama ist einfach so traurig seit der Papa im Himmel ist und weint, weil sie ihn so vermisst", begann Elisa und suchte nun doch wieder das Gespräch.

Überrascht über Elisa's Einfühlungsermögen nickte Michael und wusste wieder einmal nicht so recht, was er antworten sollte.
"Das kann ich mir gut vorstellen, dass da deine Mama noch sehr traurig drüber ist. Aber Elisa, wie geht es denn dir damit? Ich meine, du hast ja deinen Papa verloren, da bist du doch auch bestimmt traurig oder?"

"Mhm, ja schon. Und ich weine auch manchmal, wenn mich die Mama nicht sieht. Aber der Papa ist ein Superheld, der hat andere gerettet und ist jetzt bestimmt im Himmel, weil er so stark und mutig ist. Und im Himmel geht es allen gut, hat die Oma mal gesagt. Und der schaut mir bestimmt zu und passt auf mich auf, auch wenn er jetzt im Himmel ist. Der Papa ist ja nicht weg, er ist nur wo anders. Ich vermisse ihn schon oft! Aber ich hab ihn ja nicht so oft gesehen und er war ja ein Jahr lang nicht mehr da, da war er schon im Himmel aber ich wusste das noch nicht, weil mir Mama das nicht sagen wollte."

Michael standen die Tränen in den Augen. Schnell wischte er sich die Tränen von der Wange weg. Mit welcher Liebe Elisa über ihren Vater sprach und wie sie über die Vorstellung sprach, dass er im Himmel war, rühre ihn sehr.

"Warum musst du jetzt weinen, Michi? Bist du auch traurig, weil jemand in den Himmel gekommen ist?", wollte Elisa nun von ihm wissen.

Michael konnte nur den Kopf schütteln, auch wenn es nicht ganz stimmte und versuchte sich zu sammeln. "Manchmal weint man nicht weil man traurig ist oder etwas so lustig ist. Manchmal kann man auch weinen, weil jemand etwas ganz schönes gesagt hat."

Ein Strahlen legte sich nun auf Elisas Gesicht. "Wegen mir? Echt? Hab ich so etwas schönes gesagt?"

"Ja, hast du. Weißt, du, Elisa, wir Erwachsenen denken oft viel zu kompliziert. Und ihr Kinder seht manche Sachen einfach viel einfacher und schöner. Die Erwachsenen sind oft nur traurig, wenn ein Mensch stirbt und in den Himmel kommt. Aber du hast total Recht. Das ist zwar traurig, aber die Menschen sind ja nicht weg, sondern schauen vom Himmel aus auf uns. Und ich bin mir sicher, wenn du mal traurig bist, weil du den Papa vermisst, dann hört er dir zu, wenn du mit ihm reden möchtest, auch wenn er dir nicht antworten kann."

"Das haben wir in der Schule schon mal gemacht, glaube ich. Da haben wir mit Gott geredet und ihm gesagt, dass wir hoffen, dass wir alle eine schöne Woche haben und alle gesund bleiben. Dann muss ich zum lieben Gott beten, oder?"

"Müssen tust du das nicht. Aber du kannst das machen, wenn du magst. Da gibt es kein richtig oder falsch. Du kannst richtig beten wie in der Schule oder in der Kirche der auch einfach nur an Gott denken oder an deinen Papa. Oder du erzählst deinem Papa, was dich traurig macht. Weißt du, die Menschen im Himmel sind immer für dich da und hören dir zu. Da bist du nie allein. Ich bin auch manchmal traurig, dann rede ich auch manchmal zu Gott und denke an Menschen, die aus meiner Familie im Himmel sind."

"Echt? Das machst du noch, auch wenn du kein Kind mehr bist, sondern schon groß? Hast du auch einen Papa, der schon im Himmel ist?". Elisas Neugierde war nun geweckt und sie blickte in Michael's Augen. Die Traurigkeit, die sich noch zuvor in ihren Augen widerspiegelte, war wieder verschwunden.

Michael nickte nur, setzte sich bequemer hin und begann zu erzählen.

Have faith in the dark - MPKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt