The key

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Es war draußen viel zu warm. Vielleicht könnte ihn jemand aufwecken, wenn der September endlich vorbei war. Alhaitham verbrachte deswegen gerne seine Nachmittage in der klimatisierten Bibliothek. Noch gab es zu Beginn des Semesters nicht allzu viel zu tun. Aber wie man das als fleißiger Student eben so macht, bereitete er seine Vorlesung nach. Und schaute über seine Protokolle. Als Protokollant besuchte er zusätzlich Vorlesungen, die nicht zu seinem Studiengang gehörten und half, Skripte anzufertigen. Nur deswegen konnte er sich so eine schöne Wohnung leisten. An Geld hatte es ihm nicht gefehlt, aber er hatte in einer Laune kurzweilige Gesellschaft gewollt und deshalb nach einem Mitbewohner gesucht. Doch inzwischen bereute er es. Zunächst schien es viel versprechend, Architekturstudenten waren oft beschäftigt und er hatte gehofft, dass es ideal wäre, sich effizient Putzplan und weiteres aufteilen zu können und sonst aneinander vorbei zu leben. Aber mit Kaveh war alles noch schlimmer als vorher! Sein Mitbewohner war ein reines Durcheinander.

Jeden zweiten Tag ging etwas kaputt, Zeug brannte an und dass er noch nicht die Wohnung angezündet und komplett unter Wasser gesetzt hatte, war alles. Und das ständig begleitet von einem lauten Geschrei. Alhaitham konnte erst aufatmen, wenn Kaveh schlief. Und das war selten vor Mitternacht der Fall. Für seine Beautyroutine plante er bisweilen mindestens drei Stunden ein und für den Putzplan nicht mal eine halbe. Entsprechend sah es aus. Zum Glück war ihm das alles ziemlich egal. Doch heute morgen hatte es ihm gereicht. Kaveh hatte für Stunden das Bad blockiert, dabei musste er schnell los. Wütend hatte er gegen die Tür gehämmert, doch zurück kam nur ein "Geht's noch? Ich bin nackt". Alhaitham hatte die Augen verdreht, während ihm ein "Na schön" über die Lippen gekommen war. Dann hatte er den Schlüssel vom Küchentisch genommen und war gegangen.

Eigentlich hatte er nur noch Zähne putzen wollen, egal, jetzt halfen eben Minzbonbons. Mit einem aufmerksamen Blick ging er nochmal über die Skripte bevor er seinen Laptop zuklappte. Zeit, nach Hause zu gehen. Er packte sein Zeug ein und kramte in der Tasche nach einem weiteren Minzbonbon und seinen Kopfhören, als er dort seinen Schlüssel fand. Verwundert blickte er darauf. Eigentlich hatte er diesen in die Hosentasche gesteckt... er schaute nach. Zu seiner Verwunderung hatte er plötzlich zwei Schlüssel in der Hand. Warte...was?

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Zum zwanzigsten Mal wählte er nun schon Alhaithams Nummer. Aber sein Mitbewohner war einfach nicht erreichbar. Er hatte ihm auch tagsüber mehrfach geschrieben, nichts. Kaveh war am Nachmittag eine Weile vor dem Haus gesessen, bis er aufgegeben hatte. Irgendwann waren sein Ziel die Stadt, Geschäfte und letztlich eine Bar gewesen. Doch obwohl nun sein zweiter Drink vor ihm stand, fühlte er sich nicht besser. Wie sollte er sich auch fühlen, hier, allein in einer Stadt, wo er keine Möglichkeit hatte, nach Hause zu gehen und das am Abend. Was sollten die Leute bitte von ihm denken? Erneut versuchte er, seinen Mitbewohner anzurufen, jedoch ohne Erfolg.

"Blödes Arschloch", quetschte er zwischen seinen Zähnen hervor und war versucht, sein Handy in die nächste Ecke zu schleudern. Resignierend verbarg er sein Gesicht hinter den Händen und war den Tränen nahe. Wo würde er schlafen? Vielleicht sollte er es gleich nochmal versuchen, ob Alhaitham inzwischen zu Hause war, aber er war zu fertig, sich zu bewegen.

Plötzlich kam der Kellner zu ihm und räumte eines seiner Gläser ab. Kaveh merkte, dass er ihn betrachtete und schaute schmollend auf, um nicht wie das letzte Häufchen Elend zu wirken.

"Alles in Ordnung?", fragte ihn der Kellner knapp. Er schien ihm helfen zu wollen, aber auch mehr aus Höflichkeit. Kaveh wusste nicht, ob er dem Fremden mit dem langen roten Haar vor ihm sein Herz ausschütten sollte. Doch um nicht zu lügen, schüttelte er nur den Kopf.

"Trink nicht so viel. Das ist eine verflossene Liebe oder ähnliches nicht wert", sagte der Rothaarige schließlich und wollte gehen. Kaveh schaute ihn jedoch mit großen Augen an.

"Was!!? Nein! Das ist es nicht! Es geht... um meinen Mitbewohner", erklärte er und es war ihm nun schrecklich peinlich. Wie pathetisch musste das nun bitte klingen?

"Was ist passiert?", fragte der Kellner etwas überrascht. Offenbar hatte er mit dieser Antwort nicht gerechnet.

"Mein Schlüssel ist weg und ich erreiche ihn einfach nicht...", erklärte Kaveh. Sobald er sprach, kam ihm das Problem gar nicht mehr so schlimm vor. Warum fühlte er sich dann so schrecklich?

"Warum rufst du dann nicht einfach den Schlüsseldienst?", schlug der Kellner vor und zog eine Augenbraue hoch.

"Das kann ich nicht bezahlen", entgegnete Kaveh dramatisch und fühlte sich so, als ob niemand nachvollziehen konnte, wie schlimm er sich gerade fühlte. Es war ihm alles irgendwie echt peinlich.

"Hey, das wird schon", meinte der Kellner nämlich nur und verschwand dann wieder hinter die Bar. Wieso fühlte er sich nur von allem und jedem verlassen? Er atmete tief durch und nahm nochmal einen Schluck von seinem Drink, während er versuchte, sich zu beruhigen. Doch plötzlich leuchtete sein Handy auf. Alhaitham.

Schnell nahm er ab, doch bevor er seinen Mitbewohner auch nur zu Wort kommen ließ, schrie er ihn an.

"EY, ICH VERSUCHE SEIT STUNDEN DICH ANZURUFEN?!! WARUM GEHST DU NICHT RAN!!?", regte er sich auf und klammerte sich am Glas fest.

"Ich war in der Bibliothek. Da kann man nicht telefonieren", antwortete Alhaitham, leicht gereizt.

"Ich hab dir auch geschrieben! Ich habe stundenlang vor dem Haus gewartet!", sagte Kaveh nun etwas leiser, aber trotzdem sehr vorwurfsvoll.

"Komm nach Hause. Jetzt bin ich da", entgegnete Alhaitham knapp.

"Okay... a-aber der Schlüssel ist weg. Ich bin mir sicher, dass ich ihn hingelegt hab, aber als ich ihn einpacken wollte, war er weg. Da dachte ich, ich hätte ihn schon mitgenommen. Aber er ist nirgends!!", regte Kaveh sich auf. Wahrscheinlich würde sein Mitbewohner nun auch ausrasten.

Doch nichts dergleichen geschah. "Ich habe deinen Schlüssel... gefunden", murmelte Alhaitham nur.

"Hä? Wo?", fragte Kaveh überrascht. Damit hätte er nicht gerechnet.

"Ich geb ihn dir wieder. Bis gleich", beendete sein Mitbewohner dann jedoch abrupt das Gespräch. Kaveh war... verwirrt. Trotz allem trank er seinen Drink schnell aus, bezahlte, und machte sich auf den Heimweg.


Roomrivals - or I wish we never metWo Geschichten leben. Entdecke jetzt