Kapitel 22

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Verschlafen blinzelte ich, während meine Hängematte mich sanft hin und her wog. Ich hörte das tiefe Atmen meiner Freunde, die noch seelenruhig schliefen. Ein paar Sonnenstrahlen drangen schüchtern in unser Lager und kündigten den Morgen an. Vorsichtig stand ich auf, zog mich schnell um und schlich auf Zehenspitzen zum Ausgang unserer Unterkunft. Draußen empfing mich ein erfrischender Wind, der harmonisch über meine Haut strich, und die Luft roch nach Tannenzapfen und Sonnenaufgang. Außer Vogelgezwitscher und das Rauschen des Waldes war es friedlich und still in Ragnarök. Es wirkte beinahe verlassen. Ich setzte mich an den Rand der Festung und schloss entspannt die Augen. Ein Knarren unterbrach die Stille und nun konnte ich auch Schritte auf dem Holzboden wahrnehmen. Als ich erschrocken um mich blickte entdeckte ich Erik, der langsam auf mich zukam. Lächelnd setzte er sich neben mich: „Na, gefällt es dir hier?“ Ich nickte: „Ja, ich liebe die Atmosphäre und die Natur um uns herum.“ Eine Weile saßen wir schweigend da, doch dann erinnerte ich mich an Leons und Eriks geheimes Gespräch. „Was hast du eigentlich mit Leon besprochen? Er wirkte so bedrückt, nachdem er gestern wiederkam.“, fragte ich deswegen zögerlich, doch der Junge neben mir seufzte nur: „Nichts worüber du dir Gedanken machen solltest. Aber ich bitte dich trotzdem aufzupassen. Ich will nicht, dass du in Gefahr gerätst. Dein Bruder würde mich umbringen.“ Den letzten Satz ergänzte er mit einem Grinsen und endlich fiel mir ein, woher ich Erik kannte. Er war in der Grundschule Andriks bester Freund gewesen, bis die beiden auf verschiedene Schulen gegangen waren und sich aus den Augen verloren hatten. Obwohl mich die Worte des Anführers beunruhigten fühlte ich mich plötzlich doch sicher in seiner Nähe, da ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte.

Aufgeregt stellte ich mich zu meiner Mannschaft, die den Wölfen gegenüberstand. Marlon grinste: „Hey Erik, wie du siehst sind wir da.“ „Und wir werden euch schlagen. Egal, wie viel Nebel vor Ragnarök steht.“, ergänzte sein Bruder. Wir schmunzelten, doch unser Lachen blieb uns im Halse stecken, denn das Tor der Festung öffnete sich. Und darin stand nun eine vermummte Person auf einem Motorrad. Plötzlich richteten die Wölfe ihre Waffen auf sie und begaben sich in Kampfstellung. Erschrocken blickte ich um mich und trat ein paar Schritte zurück. Das fremde Mädchen fuhr vor und sah Erik an: „Wovor habt ihr Angst? Ich bin allein gekommen.“ Die Wölfe senkten ihre Waffen und die Fremde stieg elegant von ihrem Gefährt ab. Daraufhin ging sie an uns vorbei und sah uns der Reihe nach mit ihren glänzenden braunen Augen an. Marlon blieb hypnotisiert an ihnen hängen: „Leon, wer ist das?“ Doch als sein Bruder nicht antwortete richtete er die Frage an Erik. Das Mädchen nahm das Tuch vor ihrem Gesicht ab und wandte sich an den Anführer der Wölfe: „Hast du deine Zunge verschluckt? Ich bin extra gekommen, um einen Wettkampf zu sehen und jetzt stehen hier nur lauter sprachlose Jungs.“ „Ich frage dich noch einmal Leon.“, fand Erik nun seine Stimme wieder, „Kämpft ihr oder fahrt ihr nach Hause?“ Wir alle sahen zu unserem Anführer, der kurz überlegte, aber schließlich antwortete: „Du kennst meine Antwort doch schon. Ich bin so wie du.“ Wir wussten nicht was genau das bedeuten sollte, doch wir vertrauten Leon in dem was er tat.

Kojote Karl Heinz begann zu sprechen. Ihre Stimme schallte durch die Festung und kündigte den Freestyle-Soccer-Contest an. Der Gewinn würde ein goldener Pokal sein, der im Sonnenlicht schimmerte. Doch wir alle wussten, dass es hier um weitaus mehr ging. Zuerst trat Nerv gegen Klette im Seitfall-Volley-Zielschießen an. Er hatte 15 Sekunden Zeit, um so viele Zielscheiben wie möglich zu treffen. Die erste tauchte neben dem Stamm eines Baumes auf. Der Junge schoss, doch der Ball flog nur gegen die Wand der Festung. „Leon!“, rief Nerv hilfesuchend und sein Anführer sprach: „Das schaffst du.“ „Du bist doch mein Bruder.“, munterte Maxi ihn auf und rannte zum einem Behälter, in dem einige Bälle lagen. Der blonde Junge wurde mutiger: „Genau, und ob ich das bin. Habt ihr das gehört? Ich bin Maxis Bruder. Der Bruder von dem Kerl mit dem härtesten Bumms auf der Welt.“ „Tippkick“ warf Nerv die Bälle zu und nun traf dieser auch die Zielscheiben. Er war sich sicher, dass Klette seinen Rekord von vier Treffern nicht überbieten konnte. Doch das jüngste Mitglied der Wölfe schaffte das mit links und unsere Siegessicherheit verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Damit hatten unsere Gegner schon zwei Punkte. Doch nun setzten wir all unsere Hoffnung auf Maxi, der als nächstes antrat. Sein Rivale legte mit seiner Schusskraft ein hohes Maß vor. „Tippkick“ ging langsam auf seinen Platz und legte den Ball nieder. Wieder erklang Nervs hilflose Stimme: „Maxi!“ „Das ist nur ein Spiel.“, beruhigte ihn sein Bruder lächelnd, „Das darf man verlieren.“ Er trat zurück, nahm Anlauf und schoss. Der Ball flog auf das Messgerät zu und prallte mit ihm zusammen. Der Anzeigepfeil schnellte in die Höhe und wir alle hielten den Atem an. Schließlich überschritt er den Wert des Gegners und machte selbst vor dem Ende des Messgerätes nicht Halt. Damit hatte „Tippkick“ seinen Rivalen definitiv besiegt und grinste stolz: „Aber Gewinnen macht mehr Spaß!“ Endlich hatten wir den Vorsprung der Wölfe ausgeglichen. Jetzt folgte das Revolvermänner-Elfmeter-Duell, in dem Markus antrat. Siegessicher machte er sich bereit, während wir in anfeuerten und als weltbester Torwart gewann er natürlich. Unsere gute Laune stieg ins Unendliche und wir konnten den Sieg bereits vor uns sehen. Doch nun trat Vanessa gegen Freja an. Die beiden mussten den Schleimbeutel-Pendel-Slalomparkour so schnell wie möglich überwinden ohne von dem schwingenden Schleim getroffen oder den gespannten Fäden gestoppt zu werden. Der Wettkampf begann vielversprechend und schließlich lag Vanessa leicht in Führung. Doch mit jeder Sekunde wurde sie unsicherer. Wir feuerten sie an, doch kurz vor dem Ziel blieb sie einfach stehen. Wir konnten unseren Augen nicht trauen, als ein Schleimbeutel sie traf und sie damit absichtlich verlor. Ungläubig und verletzt sah Leon sie an, als sein Bruder ihm auf die Schulter klopfte: „Komm, wir gehen.“ Wir folgten unserem Anführer enttäuscht und verwirrt, während wir Vanessa allein auf dem Spielfeld zurückließen.

~Meine Beine, meine Seele~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt