Schwammige Erinnerungen

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Die Nacht schlich sich dahin und Audrey saß einen Großteil der Zeit auf der Steinbank im Schlossgarten und hatte den intensiven Duft der wunderschönen Rosen genossen und die Blumen betrachtet. 


Auch nach 90 Jahren war die Blondine nach wie vor beeindruckt darüber, wie scharf gestochen die Farben ihrer Umgebung doch waren und das sie die kleinen Details sehen konnte. Bis sie mehr als einen Moment zu dem Gegenstand, den sie betrachtete, benötigt hat es Jahrzehnte gebraucht und auch jetzt brauchte die Vampirin eine Weile, um die volle Schönheit der Rosen in aller Ruhe zu betrachten und jene Informationen, die sie dank ihres verbesserten Sehvermögens erhielt.

Es störte Audrey nicht und sie lies sich in dieser Nacht auch nicht hetzten. Niemand erwartete etwas von ihr und es war eine schöne Abwechslung sich nicht ihrem Zimmer, oder in den Gemächern ihres Vaters aufzuhalten, sondern die Luft in der Nacht genießen zu können und den Geräuschen der Natur lauschen zu dürfen.


Es war eben etwas besonderes wenn sie die letzten Jahrzehnte im Schloss verbracht hatte. Zu ihren Zeiten als Mensch war Audrey zwar kein Naturmensch gewesen, aber wenn sie einmal aus der Wohnung ihres Vater kam, um sich die Beine vertreten zu können - hatte die Blondine diese Chance ergriffen. Wenn man die Erlaubnis bekommt, etwas lang entferntes endlich wieder tun zu dürfen, sollte man es sich nicht zweimal überlegen.


"Darf ich mich setzten Audrey?"


Die Blondine blickte von den hübschen Blumen fort und gab Heidi ein zustimmendes Nicken auf diese Frage, anstatt eine verbale Antwort zu geben. Ob die Touristen Führerin noch wütend auf Felix war, weil er ihre Qualitäten betreffend einer Führung durch das alte Schloss in Frage gestellt hatte?


"Meister Aro meinte, du würdest uns unsere Fragen beantworten. Nun, ich hätte eine Frage Audrey", sagte Heidi nachdem sie auf der Steinbank platz genommen hatte und die Aufmerksamkeit der jüngeren Vampirin bekam. Es ist zwar ein paar Tage her, seit Heidi die jüngere zu Gesicht bekommen hatte, doch sie erinnerte sich noch gut daran, wie Aro doch betont hatte, dass Audrey durchaus gewillt war die Fragen die ihr gestellt werden, beantworten zu wollen. War nicht sonderlich einfach, wenn Meister Caius sie unter Verschluss hielt. 


Gerne hätte Heidi ihr diese Frage bei der ersten Begegnung gestellt, doch dazu hatte die Vampirin, die für das Essen zuständig war nicht die Gelegenheit erhalten.

"Was ist Heidis Frage?", lautete Audreys Antwort und Heidi überlegte einen Moment wie sie ihre Frage am besten vorbringen sollte.


"Wie hat Meister Caius dich damals gefunden? Es wurden nur grobe Details genannt, dass du dich bereits im Verwandlungsprozess befandest und eben etwas Goldregen in deiner Blutbahn war? Kannst du dich an irgendwas erinnern Audrey?"


Es interessierte Heidi sehr ob Audrey sich an diesen Punkt ihres Lebens erinnern konnte. Kaum ein Vampir konnte den höllischen Schmerz vergessen, der bei der Verwandlung über Tage anhält. Die Erinnerung an das menschliche Leben verblasst nach einer Weile und wird nichts als eine entferne, schwammige Erinnerung. 


Aber 90 Jahre als Vampir waren kaum etwas, dass man als 'Alter' bezeichnen konnte. Heidi hatte sich öfters gefragt, wie genau der Goldregen in Audreys Blutbahn gekommen war und warum Caius ausgerechnet in diesem Viertel unterwegs gewesen war und warum kein Elternteil bei Audrey gewesen war. Das 19.Jahrhundert hatte immerhin eine strenge Rollenaufteilung gehabt.

Audrey blickte von Heidi fort und schien zu überlegen, wie sie diese Frage beantworten sollte. Die Erinnerung an ihren menschlichen Vater und an den Schmerz und die Krankenhausaufenthalte die sie dank ihm immer nur knapp überlebt hatten lange - für menschliche Verhältnisse lange zurück - aber ihr kam es immer noch so vor, als wäre es erst gestern gewesen, wo er ihr erneut eine Injektion mit der giftigen Pflanze gegeben hatte und sie zum sterben in der Wohnung zurückließ. 


Was hatte ihr Daddy ihr immer erzählt? Er ist auf sie aufmerksam geworden, weil er sie seit längerem beobachtet hat und als sich diese seltsame Mischung aus dem Vampirgift und dem Goldregen in ihrem Körper verbreitet hat, kam er um sie zu retten.

"Daddy hat Audrey länger beobachtet. Er wusste was Audreys Vater ihr angetan hat. So oft hat sie Injektionen mit Goldregen bekommen...ihr war so schlecht und sie hat die Krankenhäuser gehasst - einmal war die Dosierung viel zu hoch....dann hat Audreys Vater sie zum sterben in der Wohnung zurückgelassen, ist verschwunden - dann war der furchtbare Schmerz dort und irgendwann hat sie das Gesicht von Daddy gesehen - er hat sie gerettet und mit nach Volterra genommen.....Audreys Vater.....mein Vater war ein böser Mensch", brachte die Blondine hervor und so schwammig die Erinnerung an ihren menschlichen Vater doch war, so stark vorhanden war der Hass den sie auf ihn hatte. 


Warum er das getan hatte war Audrey immer noch ein Rätzel, sie hat alles erdenklich getan was eine gute Tochter tun sollte....doch in den Augen ihres Vaters war es nie wirklich gut genug gewesen.

"Menschen sind widerliche Wesen - was ist mit deiner Mutter passiert? Es muss doch eine Frau gegeben, die dich zur Welt gebracht hat?", forschte Heidi weiter nach,da nun die Frage wie der Goldregen in ihren Kreislauf kam beantwortet wurde. Aber wo war ihre Mutter in all dem gewesen, wenn ihr Vater ihr solche Schmerzen bereitet hat?


"Vater hat immer erzählt, dass Mommy gestorben ist....kurz nach der Geburt", brachte Audrey mit einer nachdenklichen Stimme hervor. Sie hatte nie eine Mutter in ihrem Leben gehabt, sie konnte sich nach daran erinnern was mütterliche Wärme und Zuneigung ist und kannte nur das Leben bei ihrem Vater - von dem sie froh war, dass es von Tag zu Tag zu einer immer schwammiger werdenden Erinnerung verblassen würde.

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