Anders

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Es war schwer.

Schwer, der Schwächste zu sein.

Schwer, der Kleinste zu sein.

Schwer, unterlegen zu sein.

Doch vor Allem war es schwer, anders zu sein.

„Als Hausaufgabe fertigt ihr eine Präsentation über die Stärken und Schwächen eurer Tiergestalt an", rief Mr Grey uns hinterher, als alle mit dem Läuten zur Tür hinausrannten. Na toll. Mir fielen jetzt schon keine Stärken ein. Schwächen konnte ich mehr als genug aufzählen.

„Easy. Nachher noch eine Runde Tauchen im See?" Das war Jay, ein Mitglied des Wasserhauses. Was würde ich dafür geben, in seiner Haut zu stecken! Er konnte sich in einen Seeotter verwandeln und gehörte, wie bereits gesagt, zum Element des Wassers. Wir gingen auf die Elementary Transformation School, eine Schule für Elementaristen.

Jeder Elementarist konnte sein Element beherrschen und sich in ein Tier seines Elements verwandeln – Erde, Wasser, Luft und Feuer. Moment – Feuer? Die Kinder des Feuers konnten sich in ein Fabelwesen verwandeln. Als ich das erfahren hatte, war mir für mindestens 3 Tage der Mund vor Staunen nicht mehr zugegangen. (Okay – vielleicht 3 Minuten.) Ich meine, die Mitglieder des Feuerhauses sind Einhörner, Drachen, Phönixe, Trolle! Wie krass ist das bitte?!

„Elliot? Kann ich abschließen?" Mr Grey schaute mich verwirrt an. „Äh – ja. Sorry..." Schnell stopfte ich mein Unterrichtsmaterial in meinen Rucksack und verließ eilig den Klassenraum. Na ja – eilig. Was für mich eben schnell war. Ich war nicht gerade bekannt dafür, wie flink ich war. Was möglicherweise auf meine Tiergestalt zurückzuführen war. Ihr ahnt es... ich war eine Schnecke. Eine gottverdammte Schnecke. Mal ehrlich – so ungefähr das langweiligste Tier, das es gab.

Warum ich? Warum immer ich? Eine Schnecke aus dem Erdreich. Ich könnte, neben der Verwandlungsfähigkeit in eine Schnecke, immerhin die Erde beherrschen und steuern. Ich könnte. Ich könnte, wenn ich könnte. Ergab das irgendwie Sinn?

Dass ich eine Schnecke war, war nämlich nicht das Schlimmste. Ich war ein Halbelementarist. Meine Mutter war ein normaler Mensch und mein Vater ein Elementarist. Ich konnte mich nur verwandeln. Kein Element steuern.

Klar – ich könnte froh sein, mich immerhin verwandeln zu können. Aber es war einfach hart – ich ging auf die Elementary Transformation School und sah, wie alle anderen um mich lernten, ein Element zu kontrollieren – Wirbelstürme erzeugten, es regnen ließen, Berge bildeten, den Kamin mit einer einfachen Geste zum Brennen brachten... Die Hälfte der Zeit, in der andere lernten, ihr Element zu beherrschen, war ich ein einfacher Junge ohne Fähigkeiten. Der einzige Halbelementarist an der ganzen Schule.

Ich saß am See und schaute wehmütig auf die Wasseroberfläche. Alle paar Sekunden ragte ein Teil eines Süßwassertiers durch den glatten Wasserspiegel. Wie gerne wäre ich so wie sie. Genau so und nicht anders. Vielleicht Jay, der Seeotter. Clarky, der fröhliche Frosch. Vielleicht sogar Fabi, die nette Ente!

Aber nein. Ich war natürlich eine Schnecke. Eine eklige, schwache Schnecke, die nicht einmal ein Element kontrollieren konnte!

„Elliot? Kann ich mit dir reden?" Neben mir stand Mr Grey und sah mich nachdenklich an.

„Klar. Was gibt's?" Was war es wohl diesmal? Mangelnde Aufmerksamkeit im Unterricht? Eine verpatzte Klassenarbeit oder ein Test? Ich störte mit meiner Anwesenheit?

„Du wirkst in letzter Zeit so abwesend. Als würde dich etwas bedrücken. Willst du darüber sprechen?"

Damit hatte ich nicht gerechnet. „Alles gut bei mir. Kein Problem."

„Elliot, ich spüre doch, dass es dir nicht gut geht! Ich mache mir Sorgen um dich. Ist es-"

„Mr Grey, ich möchte nicht darüber sprechen."

„Das musst du auch nicht, Elliot – nur eins muss dir gesagt sein. Jeder ist besonders, so, wie er ist. Du bist nicht so wie die anderen. Aber sei froh mit dem, was du hast! Du kannst dich verwandeln. Du gehst auf die Elementary Transformation School. Sei stolz auf dich. Sei stolz auf deine Art, darauf, dass du so bist wie du bist!"

„Danke, Mr Grey. Sonst noch etwas?"

Mr Grey sah etwas geknickt aus: „Nein... Denk mal darüber nach." Er lief zurück ins Schulgebäude, ein wild bewuchertes Schloss mit großem Aquarientrakt.

Alles, was Mr Grey gesagt hatte, waren nur leere Phrasen. Garantiert hatte er in Google nach „aufmunternde Sprüche" gesucht, den Text auswendig gelernt und es mir vorgetragen. Ich war nicht froh darüber, weniger Gaben als die anderen zu haben. Warum auch? Sollte ich aufstehen, Mr Grey in bedenklich langsamen Tempo hinterherrennen, ihn umarmen und rufen „O mein Gott, ich liebe es so, dass ich eine Schnecke ohne Talente und Kräfte bin! Danke, danke! Mein Selbstbewusstsein geht bis zum Mond und wieder zurück"?!

Das würde ich sicher nicht sagen.

Meine Schulter pochte. Ich öffnete meine Augen und sah ... nichts. Allmählich gewöhnten sich meine (an sich nicht wirklich guten, da ich als Schnecke nur hell und dunkel unterscheiden konnte) Augen an die Dunkelheit. Der See kam in mein Blickfeld. Ups. Ich war wohl beim Lernen eingeschlafen. Konnte vorkommen.

Erinnerungen strömten auf mich ein. Mr Grey... Google-Zitate... Sachen wie: „Sei froh mit dem, was du hast ... jeder ist besonders ... sei stolz auf dich..." Irgendwie hatte Mr Grey ja recht. Meiner Mutter, die keine einzige Elementar-Kraft hatte, würde ich ja auch nicht erzählen, dass sie langweilig und unnütz war, weil sie ein „normaler" Mensch war.

Meine Mutter war glücklich mit dem, was sie hatte. Meine Mutter war besonders. Meine Mutter war stolz auf sich. Und sie war stolz auf mich. Warum sollte ich das nicht sein?

Es war ein tolles Gefühl, glücklich mit sich selbst zu sein. Ich hatte nicht die Gabe, Elemente zu beherrschen, aber ich konnte doch trotzdem guter Dinge sein!

Musste ich mein Leben lang dem nachtrauern? Nein, eben nicht.

Man konnte keine Äpfel mit Birnen vergleichen. Man konnte es theoretisch tun – aber es machte keinen Sinn.

Ich war aber, wenn ich schon Obst war, der Apfel. Ich hasste Birnen. Was nicht heißt, dass ich meine Mitschüler hasste. Man konnte schließlich nicht Birnen mit meinen Mitschülern vergleichen! Versteht ihr? Ach, den Abschnitt vergessen wir einfach.

„Elliot? Elliot? Deine Präsentation ist an der Reihe!" Mr Grey schaute mich besorgt an. „Bin unterwegs!" Ich stand auf. Ich hätte nie gedacht, dass es physisch möglich war, mit einem Lächeln an die Tafel zu gehen.

„Hey liebe Klasse, ich bin Elliot und ich werde euch jetzt etwas über ein Tier vorstellen, von dem ihr bestimmt nicht wusstet, wie cool es eigentlich ist!"

~~~

Ich hoffe mal das war jetzt ganz ok.. ich persönlich finde solche  "Moralgeschichten" jetzt nicht so cool, aber die Elementary Transformation school hat mich dann gerettet, dass die Geschichte doch noch ganz okay geworden ist<3

Vielleicht schreib ich bald mal wieder was (diesmal spannendes) an der schule?

We'll see<3

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