7.

33 4 0
                                    

Tief im Wald wandte sich Tia vom Rudelhaus ab.
Den Blick zum aufgehenden Mond gerichtet, nickte sie zufrieden.
„Der Mond ist fast voll, Joran. Das heißt, wir werden die nächsten Tage Ruhe vor den Vampiren haben."
Joran blickte seine Freundin skeptisch an. „Was hast du vor, Tia?"
Das Mädchen grinste. „Einfach ein bisschen herum schnüffeln. Was soll schon groß passieren? Die Blutsauger trauen sich jetzt ohnehin nicht mehr aus ihrer Burg heraus."
Während sie bereits über die Lichtung schritt, wandte sie sich zu dem anderen Halbwüchsigen um.
„Kommst du mit oder bist du zu feige?" forderte sie ihn heraus, genau wissend, dass Joran eine solche Herausforderung nie ausschlagen würde.

Wie erwartet, stand er mit wenigen Schritten neben Tia.
„Sollten wir vielleicht nicht sicherheitshalber jemandem Bescheid sagen, wo wir hingehen?"
„Damit sie uns davon abhalten?" Tia verdrehte die Augen.
„Wenn du Angst hast, kannst du gerne hier bleiben. Dann mach ich das alleine."
Joran knurrte. „Ich habe keine Angst. Nicht vor den Blutsaugern."
Tia grinste. Joran war so leicht zu beeinflussen. Sie schaffte es einfach immer wieder, ihn da hin zu lenken, wo sie ihn haben wollte.
Mit einem leisen Seufzen schloss Joran zu Tia auf.

Im gleichen Moment, in dem die beiden die Lichtung verließen, erhob sich von der Spitze der höchsten Tanne ein Rabe und ließ ein lautes Krächzen erklingen.
Unten am Boden erschauderten die Jugendlichen und hoben den Blick zu dem schwarzen Tier, doch sie konnten lediglich noch einen dunklen Schemen erkennen, der über die Wipfel der Bäume hinweg davon flog.
Joran schüttelte sich. „Das war gruselig..."
Auch Tia hatte für einen Moment inne gehalten, doch nun schüttelte sie sich leicht.
„Ach was...das war doch nur eine Krähe ...Komm jetzt."

Kaum, dass die Zwei die ersten Bäume hinter sich gelassen hatten, stellte sich ihnen ein Wolf in den Weg und knurrte sie warnend an.
Die junge Frau seufzte frustriert auf.
„Was ist los, Yagon?"
Es dauerte nur wenige Sekunden bis der Wolf sich gewandelt hatte und in seiner menschlichen Gestalt vor Tia und Joran stand.  Der Krieger war im gleichen Alter wie ihr Vater, wenn auch deutlich kleiner als dieser. 
„Wo wollt ihr zwei hin? Ihr wisst, dass der Alpha es den Kindern und Halbwüchsigen untersagt hat, die Lichtung alleine zu verlassen. Es ist zu gefährlich."
Tia legte den Kopf schief und blickte den Mann vor ihr aus großen, unschuldigen Augen an.
„Wir wollten einfach nur ein bisschen spazieren gehen. Es ist so schön heute Abend. Außerdem ist fast Vollmond. Kein Blutsauger wird sich in der Nähe herumtreiben. Du kannst uns ja begleiten. Dann sind wir nicht mehr alleine..."

Der Krieger lächelte. „Wie könnte ich dir deine Bitte ausschlagen, wenn du mich SO ansiehst, Tia?"
Triumphierend blickte das junge Mädchen zu ihrem Freund, bevor sie Yagon erneut unschuldig lächelnd ansah.
„Meine Schicht ist ohnehin zu Ende. Wir können also gleich los." Fragend blickte er zu den beiden Halbwüchsigen, während er sich ein Bündel Kleidung hinter einem Baum hervor holte und sich anzog.
„Also: Wo genau wollt ihr lang?"

Erneut blinzelte das Mädchen den Werwolf an. „Wie wäre es mit dem Waldrand? Ich würde zu gerne einmal einen Blick auf die Burg der Blutsauger werfen."
Sofort wurde der Blick des Mannes ernst und er schüttelte vehement den Kopf.
„Nein. Nicht der Waldrand. Wenn ich das tue, reißt mir dein Vater persönlich den Kopf ab. Außerdem ist es viel zu weit für euch beide."
Tia knurrte unwillig. „Ja ja...ich weiß schon. Zu weit, weil wir uns noch nicht wandeln können."
Yagon wandte sich seufzend an Joran. „Du bist der Vernünftigere von euch beiden. Was habt ihr wirklich vor?"

Einen Wimpernschlag lang machte sich Unwohlsein in dem jungen Werwolf breit, doch dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Immerhin war es nicht das erste Mal, dass Tia ihn zu irgendwelchem Unsinn anstiftete und er hatte inzwischen Übung darin, sich nichts anmerken zu lassen.
„Wir wollen einfach nur mal etwas erleben. Es ist so langweilig hier, immer nur auf der Lichtung.
Und hast du nicht selbst gestern im Training noch gesagt: Kenne deinen Feind?"
Der ältere Werwolf schmunzelte. „Touché. Ja das habe ich gesagt. Aber ich habe bestimmt nicht gemeint, dass ihr euch den Vampiren  auf dem Silbertablett servieren sollt."
Einen Augenblick schien der Mann zu überlegen. Fast wirkte es, als ob er stumm Rücksprache halten würde. Schließlich nickte er zu sich selbst.

„In Ordnung. In vier Wochen dürft ihr beiden ohnehin an den Kämpfen teilnehmen. Daher ist der Alpha einverstanden, dass ich euch bereits jetzt die Burg der Vampire zeige - allerdings nur aus der Ferne."
Tia und Joran stöhnten leise, was Yagon ein Grinsen entlockte.
„Danach werdet ihr euch allerdings den Fragen deines Vaters stellen müssen. Und er wird sich bestimmt nicht so schnell zufrieden geben wie ich."

„War das wirklich nötig?", schmollte Tia.
„Ja, das war es", erwiderte der Werwolf bestimmt. „Und jetzt kommt. In drei Stunden erwartet der Alpha uns zurück. Und du weißt selbst, dass man ihn besser nicht warten lässt."
Leicht unwohl sahen die beiden Jugendlichen sich an. SO hatten sie sich das nicht vorgestellt. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte Tias Vater nicht einmal etwas von ihren Nachforschungen erfahren sollen und jetzt würden sie ihm Rede und Antwort stehen müssen.

Yagon war unterdessen am Eingang zur geheimen Höhle angekommen und blickte ungeduldig zu den beiden Halbwüchsigen.
„Was ist jetzt, ihr zwei? Oder habt ihr es euch anders überlegt?"
Rasch schlossen Tia und Joran zu Yagon auf.
„Damit wir uns gleich richtig verstehen: Der Alpha gestattet euch diesen...Ausflug...nur in meiner Begleitung. Ihr werdet nicht alleine auf den Berg steigen. Verstanden?"
Gehorsam nickten die Jugendlichen.
„Gut. Dann kommt."
Geschickt begann Yagon, den Fels empor zu klettern. Immer wieder wies er die beiden Freunde darauf hin, wo sie am Besten ihre Füße platzieren konnten oder wo der beste Griff für die Hände war.
Und obwohl sowohl Tia, als auch Joran regelmäßig trainierten und zu den Besten ihrer Altersgruppe gehörten, waren sie schon bald außer Atem, so dass Yagon eine Pause einlegen musste.
„Ich glaube, ich sollte mit dem Alpha darüber reden, das hier in das Training  unseres Nachwuchses mit aufzunehmen."

Er grinste seine beiden Begleiter an, die schwer nach Luft schnappten. Er selbst war nicht einmal ansatzweise außer Atem.
Kaum, dass die beiden Kinder wieder zu Atem gekommen waren, nickte er ihnen zu. „Und weiter geht's..."
Joran brummte unzufrieden. „Du nimmst doch mit Absicht den schwersten Weg, oder? Warum können wir nicht rechts rum gehen? Dort ist es lange nicht so steil..."
Fast schon väterlich klopfte Yagon dem Jungen auf die Schulter.
„Der Weg, der dir vorschwebt, mag zwar für den Augenblick leichter aussehen, aber spätestens nach der zweiten Wegbiegung wird er noch steiler. Wenn du allerdings darauf bestehst..."
Joran hob abwehrend die Hände. „Nein...schon in Ordnung."

Yagon lachte leise. „Aber ja, es hätte einen leichteren Weg gegeben. Doch der Alpha hat gemeint, dass euch etwas zusätzliches Training bestimmt nicht schaden wird."
Tia fluchte. „Das ist ja mal wieder typisch mein Vater. Der will uns doch nur in Zukunft von solchen Ideen abhalten."
Yagon zuckte die Schultern. „Kommt jetzt...sonst werden wir nie oben ankommen."

Die Julius Chroniken - Teil 1: Die ProphezeiungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt