21 - Wiedersehen

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In Ferywood Manor wurde Samantha von einem erstaunten Philipp Latimer, seiner Frau und Robin empfangen. Viv hatte sie in den Salon gebracht, wo die drei bei einer Tasse Kaffee beieinandersaßen. Samantha hatte kaum eine Begrüßung gemurmelt, als Viv schon eine Geschichte erfand, derzufolge Samantha kurzfristig für das Reenactment angereist wäre. Ihr Gepäck verloren hätte und weil sie niemanden erreicht hatte, in ihrer Verzweiflung im Museum angerufen hätte.

„Das ist ja mal dumm gelaufen", stellte Robin fest, der Samantha scharf musterte. Sie spürte seinen Blick förmlich und er erinnerte sie an den durchdringenden Blick eines Mannes, der Robin verblüffend ähnlichgesehen hatte und der seit langem tot war. Victor Whiteshaw. Beide waren von schlanker Statur und rothaarig. Auch von den Gesichtszüge her, lebhafte Augen, eine gerade Nase und einen etwas breiten Mund, waren sie einander sehr ähnlich

Allein der Gedanke an Richards Feind jagte Samantha einen unbehaglichen Schauer über den Rücken. Dabei saß doch Robin vor ihr, ihr bester Freund, der sie einst geliebt hatte. Sie hatten einander seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Seit sie wieder einmal spurlos aus seinem Leben verschwunden war, nachdem sie ihm und sich selbst eingestanden hatte, dass es mit ihnen beiden nichts werden konnte. Im Gegensatz zu Viv und Philipp Latimer, dem gegenwärtigen Lord Velton, wussten weder Robin noch Lady Velton, dass Samantha eine Zeitreisende war. Ihr zerrissenes Kleid mit hoher Taille im Regency-Stil, die Kletten, kleinen Zweige, Grashalme und Rindenstückchen, die sich im bestickten Tüll verfangen hatten, ihr wirres Haar, fielen ihm natürlich auf. Doch auch wenn Robin viele Fragen ins Gesicht geschrieben standen, kamen sie nicht über seine Lippen. Stattdessen erkundigte er sich, ob sich die Fluggesellschaft um die Widerbeschaffung des Gepäcks kümmere.

„Ja", brachte Samantha heraus. Sie hatte einen Kloß im Hals, weil es so viel Unausgesprochenes zwischen ihr und Robin gab. Vielleicht hätte sie ihm damals, bei ihrer letzten Begegnung, die ganze Wahrheit sagen sollen, so unwahrscheinlich und phantastisch sie auch war.

„Bist du alleine angereist?", fragte er weiter, was ihr verriet, dass er ebenfalls an ihre letzte Begegnung dachte.

„Ja, Richard ist zuhause bei unserem Sohn." Sie sprach es leichthin aus, und Robin konnte nicht ahnen, dass sie innerlich betete, dass es so war.

„Ein Kind?! Oh Samantha! Wie alt ist der Kleine? Hast du ein Foto?", warf Lady Velton ein. Sie hatte eine etwas schrille Stimme und schminkte sich zu stark, war aber gutmütig und sehr glücklich mit Philipp verheiratet, der über zehn Jahre älter war als sie.

„Mein Handy ist zusammen mit dem Gepäck abhandengekommen", log sie die Lady an. „Arthur ist fast drei."

„Arthur! Ein schöner traditioneller Name! Die alten Vornamen sind ja wieder so in Mode, nicht wahr?!"

„Er ist nach seinem Patenonkel benannt", sagte Samantha und bis sich gleich darauf auf die Zunge, weil sie unmöglich preisgeben konnte, dass kein anderer als Arthur Wellesley, der Duke of Wellington, Arthurs Patenonkel war.

„Herzlichen Glückwunsch", sagte Robin. Er gab sich sichtlich Mühe, aufrichtig zu klingen, aber es gelang ihm nicht ganz und Samantha kam kurz der Gedanke, dass er noch immer Gefühle für sie hatte, aber als sie einen Blickwechsel zwischen ihm und Viv, die ans Fensterbrett gelehnt dastand, beobachtete, erkannte sie, dass Robin nur enttäuscht war.

Es versetzte Samantha einen leichten Stich, auch wenn sie ihn verstand. „Danke, Robin. Hast du noch mit Lucy Kontakt?"

„Sie war deine beste Freundin, zu der du den Kontakt einfach abgebrochen hast. Wieder einmal! Wie zu mir übrigens auch." Jetzt war ein deutlicher Vorwurf in seiner Stimme zu hören.

Samantha senkte den Blick. „Es tut mir leid", sagte sie leise.

„Und ja, ich habe noch Kontakt mit Lucy. Sie hat jetzt einen Freund. Er ist Arzt in der Praxis, in der sie arbeitet. Du erinnerst dich vielleicht."

Die Schatten von FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt