Wolke 7.1

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Vor 2 1/2 Jahren habe ich vielleicht die Liebe meines Lebens getroffen. 

Und unser Kennenlernen war so kitschig, dass ich es selbst kaum glauben konnte und immer noch nicht kann. 
Ich wohnte zu diesem Zeitpunkt in einer 12er WG, wir hatten ein Haus mit Saal mitten in der Stadt. Nachmittags war ein heftiger Sturm vorhergesagt. Dieser traf auch ein. Wir schauten fasziniert aus dem Fenster und unserer Terassentür und als wir die Tür kurz öffneten um vielleicht raus in den Regen zu laufen und zu tanzen brach ein Ast ab und fiel direkt vor uns. So beschlossen wir das Haus nicht zu verlassen, bis auf drei meiner Mitbewohner. Sie rannten raus, um die herumliegenden Äste drum rum, die Treppe hoch zur U-Bahnhaltestelle. Ich verzog mich mit den übriggebliebenen nach einer warmen Dusche in unseren Saal und begann zu lesen, während draußen das Unwetter tobte. 
Irgendwann kamen die Drei auch wieder rein und berichteten was sie draußen erlebten, unter anderem dass sie ein Auto vorm ertrinken retteten und unseren Nachbarn in Badehose kennenlernten. Vielleicht ahnt ihr es jetzt schon beim lesen, ja es ist besagter Nachbar. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung Ich dachte mir nur: "Bin ich froh dass ich hier drinnen im Warmen war und nicht da draußen baden"  Sie luden den Nachbarn, nennen wir ihn M, zu uns ein, nachdem sich jeder etwas Trockenes anzog. Ich war gar nicht begeistert und wollte eigentlich nur lesen. Sie verzogen sich in die Küche und ich blieb unten mit dem Rest. Dann klingelte es nochmal an der Tür, diesmal eine befreundete WG, also doch noch Party heute... Ich war mittel motiviert und die Tatsache dass ich ein Auge auf unseren (neuen) Nachbarn haben sollte hat das nicht gerade verbessert. Aber wir kamen ins Gespräch, wenn ich ehrlich bin, nur wegen seiner Jacke eines bekannten Autoherstellers, ich hatte die Hoffnung auf ein Praktikum und spielten sogar zusammen Billard auf unserem richtig schlechten, schiefen Tisch. Er war betrunken und wenn wir ehrlich sind das Gegenteil von gut. Dafür erklärte er mir bestimmt 10 Mal, dass wir nur gewonnen haben, weil ich so gut gespielt habe. Ich weiß gar nicht mehr ob wir überhaupt gewonnen haben, aber ich war überrascht, dass es, trotz so wenig Motivation meinerseits, ein echt schöner Abend war. Bevor ich dann in mein Zimmer ging, fragte ich M ob er die Nummer einer meiner Mitbewohner hat, ich glaube er wusste es nicht ganz, ich bot ihm eine meiner Visitenkarten an. Ja, ich habe Visitenkarten und meine Quote damit erfolgreich zu Flirten liegt bei 100% 


Er schrieb gleich am nächsten Morgen mit den Worten "Guten Morgen, ich hoffe schwer dass dein Handy dich nicht weckt, sonst hätt ich n ganz schlechtes Gewissen. Wollt nochmal sagen dass es mich sehr gefreut hat deine Bekanntschaft gemacht zu haben. War ein angenehmes Gespräch gestern. Hoffe du hast einen guten Tag." Ich kann mich nicht mehr an das Gefühl erinnern, das ich beim lesen dieser Nachricht hatte, aber diese Nachricht war wohl offiziell der Anfang von allen was noch kommen sollte. Am selben Tag fragte er mich noch nach einem Date, 2 Tage später. All meine 11 Mitbewohner fieberten mit mir im Treppenhaus bis er mich abholte und was soll ich sagen? Es war perfekt, außer vielleicht die Tatsache dass er nicht mit Stäbchen essen kann und mich zum Japaner eingeladen hat, darüber konnte ich aber hinwegsehen. Ab diesem Zeitpunkt haben wir uns fast täglich gesehen, anfangs mit ganz fadenscheinigen Begründungen, weshalb man sich über den Weg laufen könnte, wie ich war gerade in der Gegend oder ich habe etwas vergessen. Vier Tage später, die Nachricht die mich ahnen lies in welche Richtung das alles führen wird: "sorry, verbringe einfach sehr gern Zeit mit dir." Ich glaube das war der Moment in dem ich mein Herz verloren habe.
Mein allerliebstes Date mit ihm war nicht mal eine Woche nachdem wir uns kennenlernten. Wir schrieben bis nachts um 2 Uhr und ich erwähnte, dass ich am nächsten Morgen um 7.30 Uhr aufstehen muss und schlug ihm aus Spaß vor, aus Solidarität das selbe zu tun. Die Antwort: "Deal, soll ich zum Frühstück rüberkommen?" Und er kam, sonntags morgens um 8 Uhr, mit Müsli und Milch in der Hand. Wir setzten uns hoch auf unser Dach mit dem schönsten Ausblick über die Stadt, während in den Bäumen unseres Gartens die Eichhörnchen tobten. 
Und so ging es hin und her, zwischen schreiben bis tief in die Nacht, sahen wir uns trotzdem noch fast täglich, einer der Vorteile, wenn man seinen Nachbarn datet.


2 Wochen später, nachdem ich den Haken immer noch nicht gefunden hatte, kam er dann doch noch. In 2-3 Jahren möchte er als Ingenieur in seiner Firma nach Berlin. Uff, eine Stadt, die für mich eigentlich nie in Frage kam. Aber 2-3 Jahre sind lang, bis dahin kann viel passieren und vielleicht ändert sich meine Meinung bis dahin. Davon abgesehen kam diese Information sowieso viel zu spät um mich zu schützen. Also lautete meine Antwort: "2-3 Jahre sind noch lang, bis dahin wissen wir ob es sich zu kämpfen lohnt und ob eine Fernbeziehung auf Zeit Sinn macht. Außerdem kommt diese Information sowieso zu spät" Im Nachgang schob ich dazu noch eine Nachricht hinterher: "Wegen Berlin noch, ich war etwas verwirrt von der Nachricht weil ich nicht weiß was ich mit dieser Info machen soll. Ich bin aber die aller letzte die das nicht versteht, für meinen Traumjob würde ich auch bis ans Ende der Welt ziehen. Wollte dir nur sagen wir sollten vielleicht erst einen Schritt nach dem anderen machen und wenn es soweit ist können wir uns immer noch Gedanken machen. Deswegen bekommst du mich nicht los, wenn du das nicht möchtest." 

Ein paar Tage später fragte er mich offiziell ob ich seine Freundin sein möchte, wenn wir ehrlich sind war das nur noch eine Formalie. Man hat uns sowieso schon nicht mehr auseinander bekommen. Das schönste, wenn man Nachbarn ist? Man kann sich jeden Tag sehen, man muss nie schauen, wie man sich Zeit freischaufeln kann, um sich ein Wochenende zu sehen. Das größte Privileg ist es einfach nur zusammen ins Bett zu gehen, über seinen Tag reden zu können, während man kuschelt und zu wissen auch beim Aufstehen nicht alleine zu sein. Hätte ich damals nur gewusst was das für ein Privileg ist...

Vielleicht merkt ihr es langsam, diese Geschichte hat kein Happy End. Sie endet nicht mit einer Hochzeit bei Regen und Sturm, endet nicht mit kleinen perfekten Kindern.
Sie endet mit zwei Menschen, die gut zusammen gepasst haben, vielleicht sogar perfekt, aber ihre Karriere und ihren Traum mehr lieben, als sie sich einander lieben konnten. 
Das war schmerzhaft und es tut immer noch im Herzen weh, auch wenn dieses Eingeständnis schon ein Jahr zurückliegt. Wir sind beide glücklich mit unserem Traum, den wir immer noch jeden Tag verfolgen, ein bisschen Wehmut ist allerdings immer noch mit dabei und das ist okay so. Schließlich war dies unsere Märchengeschichte wenn auch ohne Happy End.

Berlin kam früher als 2-3 Jahre, um genau zu sein, nach 6 Monaten. Ich half ihm seine Bewerbung zu schreiben, motivierte ihn für seinen Traum zu kämpfen, während ich wusste, dass unsere Geschichte damit vielleicht enden könnte. Ich tat es, weil ich wusste, das ist sein großer Traum, das war alles was er tun wollte. Und ich hätte auch erwartet, dass mich mein Partner bei meinem Traum unterstützt, selbst wenn das vielleicht zur Folge hätte, dass es nicht mehr funktionieren kann.
Nach 6 Monaten zog er weg, 600km in den Norden. Wir hielten noch 3 Monate durch mit pendeln, bis ich meine eigene, persönliche Reißleine zog. Ich konnte nicht mehr. Das eine Beziehung in der man jeden Morgen zusammen aufwacht zu einer Beziehung in der man sich alle zwei/drei Wochen für 2 Tage sieht wird, hat mein kleines Herz nicht mitgemacht. Ich habe gemerkt, wie ich ganz oft sagte: "Komm doch wieder nach Hause." Das war nicht fair, denn sein Zuhause war nicht mehr bei mir. 
Er ging auf in seiner Arbeit, er liebte sie und liebt sie noch immer und bei jedem: "Wow, es ist so toll hier, ich wünschte du wärst dabei!" spürte ich wie ich ihn ein wenig mehr verlor. Genauso wie er an diesen Ort gehört, gehöre ich dorthin wo ich war und immer noch bin. Und trotzdem hat es lange gedauert mein Herz wieder zusammen zu bauen und es langsam zu kitten. 

Ich habe für das was ich jetzt tue viel gekämpft und viel geopfert, vielleicht sogar die Liebe meines Lebens, aber ich würde es wieder tun. Habe es wieder getan.

Mein Weg hier rausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt