Kapitel neunundsiebzig

36 6 1
                                    

Ich rannte los. Ich musste es zu meinem Auto schaffen bevor sie mitbekamen das ich mich nicht mehr im Krankenhaus befand. Obwohl... eigentlich könnte ich mich jetzt auch einfach hier hinsetzen und warten, bis sie mich fanden und töteten. Vielleicht würde ich dann wieder bei Harry sein.

Warme Wasserfälle aus Tränen flossen über mein Gesicht und ließen meine Sicht verschwimmen. Meine Augen waren schon fast zugeschwollen, vom ganzen weinen und ich war mir nicht ganz sicher ob ich so noch Autofahren sollte. Alles in meinem Körper sagte einfach ,Bleib stehen und lass dich einfach fallen.' , aber mir war klar das Harry das sicher nicht für mich gewollt hätte. Schließlich hatte er alles daran gesetzt mich hier raus zu bekommen. Sich sogar dafür geopfert, so Film-Dramatisch das jetzt auch klingt. Er war dort geblieben, hat die Männer abgelenkt und hat dadurch wahrscheinlich sein leben verloren.

Und wessen beschissene Schuld ist das jetzt?

Meine. Ich alleine bin schuld an dem Tod der Liebe meines bisherigen Lebens und ich werde diese schuld für immer mit mir rumschleppen.

Ich rannte weiter. Auch wenn ich am liebsten wirklich einfach stehen geblieben wäre. Aber ich rannte weiter. Der Parkplatz war nicht mehr weit weg und ich erkannte sogar schon mein Auto in der Sonne glitzern. Also nehm ich all meine letzte Kraft und rannte weiter.

Bei meinem Auto angekommen öffnete ich es schnell und stieg ein. Ich setzte mich auf den Fahrersitz und schloss sofort die Tür. Ich lehnte mich im Sitz zurück und schloss meine brennenden Augen. Mein Atem ging zitternd und ungleichmäßig. Schluchzer verließen immer wieder meinen Mund, meine Augen begannen wieder ihren Job als Wasserkraftwerk und meine Hände tasteten sich langsam zum Lenkrad vor. Mit Sicherheit sollte ich bei diesem Zustand nicht fahren, doch was sollte ich den machen? Ich musste hier weg und zwar schnellstmöglich.

Harry war tot. Das erste Mal schaffte es dieser Gedanke, dieses Ereignis an die Oberfläche. Ich könnte gerade alles tun. Weinen, schreien, lachen, etwas zerstören, oder einfach nur traurig sein. Alles wurde gerade zu viel. Und jetzt hatte ich niemanden mehr an den ich mich festhalten konnte. Harry war in solchen Situationen alles für mich. Mein Fels in der Brandung, wenn man so wollte. Er hatte mich immer wieder aufgebaut, mich hochgezogen und gezwungen weiter zu machen. Und jetzt ist er weg. Für immer. Ich werde ihn mein ganzes verdammtes Leben nicht mehr lachen hören. Nie mehr sein grünen Augen sehen. Nie mehr seine Stimme hören. Und ihn nie wieder berühren können.

Und alleine diese Gedanken zeigen, was ich für ein schlechter Mensch bin. Ich vermisste Harry, ja, aber ich bin nicht tot. Ich hätte nicht noch mein ganzes Leben vor mir gehabt. Hätte nicht noch President, oder weiß ich nicht was werden können. Er war Tot. Und ich machte mir nur Gedanken darum, das ich ihn vermisste. Reiner Egoismus.

Ich umgriff das Lenkrad fester und fester, bis meine Knöchel weiß hervortraten. Meine Tränen wurden stärker und mehr von der Wut angetrieben. Wut auf alle die den Tot von Harry beeinflusst haben. Alex, Dylan und ganz besonders Ich. Schließlich hätte er nie im leben, Kontakt mit diesen Menschen gehabt wenn ich nicht gewesen wäre. Nie hätte er mich beschützen müssen. Nie hätte er die selben Erfahrungen machen müssen wie ich. Und nie wäre er...

„FUCK!!!!!" schrie ich und prügelte auf das Lenkrad ein. Mein Gesicht war wutverzerrt und dir tränen waren nicht mehr zu stoppen.

Immer wieder schlug ich auf das Lenkrad und schrie einfach weiter. So dumm das jetzt vielleicht auch war, ich hatte das Gefühl erdrückt zu werden. Jemand war wegen mir gestorben. Gestorben, verdammt nochmal. Harry ist gestorben. Er ist TOT.

*

Langsam, aber notwendig erholte ich mich. Keine Ahnung wie lange ich in diesen Auto saß und einfach nur weinte und in meinen Schulgefühlen ertrank, aber so lange konnte es nicht gewesen sein, denn als ich aufblickte kam in diesem Moment die Kavallerie aus der Tür. Ich erkannte nicht viel, aber es waren mit Sicherheit viele. Alle in schwarz oder dunkelgrau gekleidet und alle mit Waffen ausgestattet. Manche nur ein Messer, andere größere und gefährlichere Werkzeuge.

Ich beobachtete sie kurz und wollte gerade losfahren, als erneut jemand die Tür durchtrat. Augenblicklich blieb ich in meiner Bewegung stehen und beobachtete den Mann der mit jemanden über der Schulter das Haus verließ. Ich erkannte wie gesagt nicht viel, aber diese braunen Locken würde ich überall erkennen. Ich wischte mir um sicherzugehen noch einmal über die Augen, doch dann war ich mir sicher: sie nahmen Harry mit. Aber warum wollten sie einen Toten mitnehmen?

Er sollte nicht mit ihnen gehen. Er sollte ein gerechtes und schönes Grab erhalten. Hier. Bei uns. Auch wenn daran nichts gerecht war.

Am liebsten wäre ich sofort losgestürmt und hätte ihnen Harry weggenommen. Meine Hand schwebte schon über dem Öffner, doch dann erinnerte ich mich an Harrys Worte.

„Geh sofort zur Polizei und drehe dich nicht um."

Er hatte recht. Das ich nie zur Polizei gegangen war, lag nicht an praktischen Gründen, sondern einfach nur daran das ich feige war. Die Polizei konnte in diesem Moment viel mehr aussetzen als ich. Schon viel früher hätte ich ihn anklagen lassen sollen. Job hin oder her. Harry sagte mir es wäre besser ein glückliches Leben zu führen, als eines in ständiger Gefahr. Und Gott... er hatte verdammt noch mal recht.

Ich legte meine Hände bestimmt zurück auf das Lenkrad und schaltete dann den Wagen an. Mir war klar das sie mich sehen würden. Ich musste schnell sein, um sie nicht zu verlieren. Zu meinem Glück kannte ich das Kennzeichen ihrer Fluchtwagen, da sie die selben auch zum Ausliefern benutzen und ich merkte mir Kennzeichen fast immer.

Ich fuhr los ohne den Blick von ihnen abzuwenden, da der Parkplatz so gut wie leer war. Bisher hatten sie mich noch nicht bemerkt und ließen gerade selbst zu ihren Autos. Harrys Körper hang leblos über der Schulter des einen Mannes und ich musste mich zusammenreißen nicht erneut in Tränen auszubrechen.

Um den Parkplatz zu verlassen musste ich an ihnen vorbei fahren und spätestens da hätten sie mich bemerkt. Ich trat kräftig aufs Gas und fuhr dann mit knappen 50 km/h an ihnen vorbei. Sie erkannten meinen Wagen sofort, doch ich hoffte einfach das sie nicht schnell genug waren zu schießen.

Mein Puls war erhöht und das Adrenalin schoss nur so durch meinen Körper, als ich auf die Straße abbog und einen Moment lang konnte ich mal durchatmen. Das hielt jedoch nicht lange an, da ich bereits die schwarzen Autos hinter mir erkannte.

Mein Plan ging auf. 

————————————

Für alle die dachten das ich dem wirklich so ein Ende setzen würde: ich kann euch beruhigen. Die Story ist noch nicht zu Ende und wird dies auch in den nächsten 5 Kapiteln voraussichtlich nicht finden. Ich wollte nur mal auch so einen kleinen Schock hervorrufen wie es die Autor*innen der Bücher getan haben die ich gelesen habe. Aber nein, so schnell lasse ich euch nicht in frieden.
💚💙
M

Why? {L.S.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt