Ich habe was ich will

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POV Inéz: 


„Ahhhhh!" Ein verdammtes Reh hüpft aus einem Gebüsch und rennt an mir vorbei. Wow. Wieso bin ich bloß so paranoid? Mein Vater hat wohl Erfolg mit seiner Gehirnwäsche. Erst heute Morgen versuchte er mich zu erniedrigen und meinen weißen Fetzen als schlampig zu betiteln. Wegen ihm denke ich mittlerweile, dass alles und jeder mir was antun möchte. Ich fühle mich nirgendwo mehr sicher. Ich dachte mich würde jemand verfolgen und vergewaltigen wollen und dann stellt sich heraus, dass es nur ein harmloses Reh war. Vielleicht bin ich Schuld, wenn ich alleine herumlaufe, obwohl es hier nicht ganz ungefährlich ist, aber zu Hause ist es nicht sicherer für mich. Eigentlich ist es nirgendwo sicher.

Ich laufe weiter bis zum Ende des Waldes und den kleinen Berg hinunter in die Stadt. Es ist mittlerweile stockdunkel. Von hier aus kann ich schon Jacks kleine Wohnung sehen, es brennt Licht! Erleichterung ziert meine Mundwinkel, mein Herz erwärmt sich. Ich freue mich so sehr, dass er wieder da ist und bin fast schockiert, dass es vom Timing her so perfekt passt. Verdächtig gut passt sogar.

Als es erneut hinter mir zu rascheln beginnt und ich dumpfe Schritte vernehme, renne ich geradewegs auf Jacks Wohnung zu. Egal ob es wieder nur ein Reh ist, mir ist arschkalt und ich bin totmüde. Ich möchte jetzt einfach nur noch Jack in meine Arme schließen und mich wenigstens für eine Nacht nach all den Jahren in Angst, geborgen fühlen. „Wer auch immer da ist, ich hab einen schwarzen Gürtel und mein Vater ist Geheimagent, der mich direkt orten und rächen kann. Wollte es nur einmal gesagt haben." Keuche ich und frage mich gleichzeitig, ob ich eine schlechte Lügnerin bin. 

Unten an der Veranda angekommen, setzt mein Herz aus, als die Türe aufschwingt und ein großer, braunhaariger und schlanker Junge zum Vorschein kommt.


POV Jack


Ich bin seit wenigen Tagen zurück aus diesem Drecksloch. Ich war dort für eine geraume Zeit, um meine „Stimmungsschwankungen und Persönlichkeitsstörungen" in den Griff zu bekommen. Ich würde nicht sagen, dass es sich verbessert hat, aber zumindest abgemildert. Ich hatte dort das Gefühl zu ersticken, nicht nur, weil es ein Gefängnis war, sondern auch weil ich mein Mädchen so unglaublich vermisst habe. Meine zierliche, kleine Inéz. 

Ich wurde beinahe verrückt bei dem Gedanken so lange von ihr getrennt zu sein und sie nicht beschützen zu können. Mittlerweile muss sie schon 18 Jahre alt sein und sieht sicherlich noch viel perfekter aus als damals, obwohl das schwer zu übertreffen ist.

Ich hielt es nicht mehr aus von ihr getrennt zu sein, ich möchte ihren Duft endlich wieder einatmen können. Das wäre zumindest eine Ablenkung zu dem stechenden Gestank in dieser nervenaufreibenden Anstalt.

Die letzten Tage konnte ich sie nicht besuchen, da ich erstmal alles wieder in den Griff bekommen musste. Ich versuche ab jetzt eine Struktur in meinen Alltag zu bekommen. Aufräumen, so gut ich kann putzen, meine Sinne ordnen, Rechnungen bezahlen. Ich werde das alles nicht mehr hinausschieben, ich werde mir diesmal Mühe geben. Für Inéz und keinen anderen sonst.


Ich werde ihr keine Sorgen mehr bereiten. Mir wird schlecht bei dem Gedanken, dass sie mir immer aufhelfen musste und ich nicht einmal richtig bei Sinnen war.
Ich war zu dumm, um sie zu meiner Freundin zu machen, obwohl ich schon immer auf sie stand. Ihre Augen, so leuchtend braun und doch unsicher wie die eines verwundeten Rehs.
Ihre dunklen, langen, vollen Haare. Die mich an eine Sternennacht erinnern.
Ihre zarte Haut. So weich wie Seide und so unberührt. Meine Gedanken werden so unanständig bei ihr, dass ich mich schon fast dafür schäme, aber nur fast.
Nicht zu vergessen, ihre unschuldige Haltung und ihr herzliches Lachen. Gott, habe ich ihr Lachen vermisst und diese Umarmungen, die einen verrückt nach ihr machen.

Bring mich nicht in VersuchungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt