Chapter 1

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Regen prasselte auf die Straßen und tauchte die große Stadt in einen Schleier aus grauen Farben. Wie Tränen fielen die Tropfen von Dächern, ließen das Plätschern von Wasser auf den gepflasterten Wegen lauter wirken.

An diesem Tag war es nicht nur nass, sondern auch kalt und windig, sodass die Haare des Mädchens verrückt spielten. Doch nicht das beanspruchte ihre Aufmerksamkeit, es war das majestätische Schloss, das selbst im Nebel prunkvoll wirkte. Schon aus der Ferne sah man Lichter brennen, welche die Ländereien vor der Burg beleuchteten.

Briseis hätte nun dort drin sein müssen. Und vor 2 Tagen war sie es auch gewesen, bevor Feinde aus dem Norden ihr Land überfallen hatten.

Feige, wie sie waren, waren sie nachts eingedrungen. Hatten Wachen abgeschlachtet, Frauen und Kinder aus den Betten gerissen und Männer im eigenen Haus verbrennen lassen. Verzweifelt hatte sie es aus ihrem Turm beobachtet. Wissend, dass ihr Reich dem Untergang geweiht war.

Müde richtete die junge Frau ihren Blick durch den Regen auf das riesige Geländer vor ihr, versuchend, das Gejammer der jungen Mädchen vor ihr nicht zu beachten.

Wie Tiere waren sie alle in Ketten gelegt, an den Handgelenken an den Neben angebunden. Sie rangen hysterisch um die Oberhand in diesem Chaos aus Händen, Armen und Beinen.

Bloß Briseis blieb ruhig. Wagte es nicht in einem Gefühlschaos auszubrechen wie die Frauen um sie. Sie musste es lediglich schaffen, nicht auf die Leichen um sich zu blicken, bloß auf das Schloss, das bald wieder ihr gehören würde.

Bald. Denn nun musste sie sich darauf konzentrieren, zu überleben. Der kalte Regen fiel auf ihre Haut, doch da ihr Körper keine Wärme mehr hatte, konnte er ihr diese auch nicht nehmen. Die eisige Kälte machte ihr zu schaffen und sie zitterte am ganzen Leibe, ohne dass sie es verhindern konnte.

Nicht ganz bei Bewusstsein bemerkte die unterkühlte Frau zunächst nicht, wie man das Seil, an dem sie gebunden waren, nach vorne zog. Erst als einer der Wärter gelangweilt: »Los jetzt« rief, setzte sie sich in Bewegung.

Sie alle wurden durch den Regen getrieben und niemand achtete besonders auf sie. Sie ging in der Menge unter. Fiel in dem dünnen Leinenkleid, das dem einer Bettlerin glich, nicht auf.

Bloß ihre reine, gepflegte Haut unterschied sie von den anderen, doch auch dieser war geschadet worden, als man sie zum Vergnügen mit Schlamm und Essensresten beworfen hatte.

Die junge Frau wusste nicht, wie ihr geschehen war. Sie war doch eine Adelige. Teil dieser Gesellschaft und ihren Eltern hatte das Land, was sie umgab, gehört. Sie blinzelte die Tränen, die bei diesen Gedanken wagten auszubrechen schnell weg.

Sie wusste, dass ihre Familie noch hier war. Und sie hoffte, sie würde sie in einem guten Zustand sehen. Auch wenn es realistischer war, ihre Leichen zu erwarten.

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Ihre Glieder schmerzten, als sie die Tore passierten und dazu gezwungen waren mehrere Treppenstufen zu überwinden, um an ihr Ziel zu kommen.

Ihr Körper schrie nach Ruhe und Nahrung, Wärme und Schlaf, doch sie hatte bereits gelernt ihren Geist die Oberhand zu überlassen, der sie zum Weiterlaufen zwang.
Die Gruppe von Frauen wurde in einen Raum gezerrt. Selbst durch ihren verschleierten Blick konnte sie erkennen, um welchen Raum es sich handelte.

Es war der Thronsaal, der Mittelpunkt des goldenen Reiches. Den Ort, in den noch kein Feind einen Schritt setzten, konnte, bis heute.

In diesem Moment fiel das Land in die Hände der Barbaren. Angehörige eines fremden Volkes, völlig ungebildete Menschen, mit einem unheilvollem Weltbild.
Briseis vertrieb mit einem Kopfschütteln ihre düsteren Gedanken.

Doch auch das war nicht allzu einfach, sie konnte sich auf nichts anderes als ihr bevorstehendes Leiden fokussieren.

Schließlich wurde ihnen auf dem Weg dorthin das Sprachen untersagt worden, sie hörten somit bloß den Schauerregen und das lautstarke Lachen der Wachen, die bereits Pläne schmiedeten, wie es mit ihnen weitergehen könnte.

Schöne Frauen waren unter ihnen und Briseis war sich nahezu sicher, dass einige in der Gunst des Feindes Dienste leisten müssten. Sie wollte nicht einmal glauben, dass sie ein solches Unglück treffen könnte. Undenklich, sich mit dem selbst gekrönten Herrscher ein Bett zu teilen.

Doch das waren nicht die einzigen Sorgen, die sie quälen sollten. Denn als sich die Türen des Saales öffneten, sah sie ihre Familie in Ketten gelegt.

𝐐𝐮𝐞𝐞𝐧 𝐰𝐢𝐭𝐡𝐨𝐮𝐭 𝐚 𝐓𝐡𝐫𝐨𝐧𝐞 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt