Verblasste Erinnerungen

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Zeitnah hatten die Vampire Großbritannien erreicht und der Überquerung des Ozeans stand nichts mehr im Wege. Für die geübten Mitglieder der Garde war es etwas selbstverständlich in übernatürlicher Geschwindigkeit über das Wasser zu rennen ohne dabei nass zu werden oder der Gefahr ins Augen sehen zu müssen, im Wasser zu versinken. 


Nun standen die Vampire an einer Klippe und würden jeden Momenten springen um die Überquerung des Ozeans innerhalb einiger Stunden hinter sich gelassen zu haben. Das Durchqueren von Amerika würde aufgrund der Größe des Landes eine längere Zeit in Anspruch nehmen und wenn Jane mit ihrer Zeitrechnung richtig liegt, würden sie Seattle am Abend des nächsten Tages erreicht haben.


Während Alec, Demetri und Jane schon von der Klippe gesprungen sind und die ersten Meter auf der Wasseroberfläche hinter sich gelassen hatten, kam Audrey nicht drum herum etwas skeptisch über den Rand der Klippe zu blicken. Sie war weder Wasserscheu noch hatte sie große Angst vor Höhen, aber der menschliche Gedanke beim auftreten auf die Wasseroberfläche wie ein Stein nach unten gezogen zu werden war etwas, dass der Blondine nicht behagte. Bei den anderen sah es so einfach aus und elegant noch dazu. Was würde passieren wenn sie es nicht schaffen würde?


"Wasserscheu Audrey?", kam es amüsiert von Felix und er folgte ihrem Blick über die Klippe. Das einzige was Vampire eventuell zu fürchten hatten war das Feuer, denn dieses würde das unsterbliche Leben innerhalb weniger Sekunden beenden. Felix nahm war, wie die jüngere Vampir nur den Kopf schüttelte und anschließend den Mut zusammen nahm, Anlauf zu nehmen und von der Klippe herunter zu springen. Felix folgte ihr nur Sekunden später - was sich als richtige Entscheidung heraus stellen sollte.

Die Sekunden die sie beim freien Fall verbrachte hörte Audrey nur das Rauschen der Luft in ihren Ohren und als sie versuchte auf dem Wasser zu landen und loszulaufen, so wie sie es bei Alec beobachtet hatte - spürte die äußerlich 13 Jährige, wie sie nach unten in die Tiefen des Ozeans sank und das letzte was sie mit ihren Augen wahrnahm war, wie das Mondlicht auf der Wasseroberfläche immer schwacher wurde.




"Es ist deine Schuld, dass deine Mutter in die Klauen des Todes gerissen wurde Audrey! Du hast nichts besseres verdient!"

Das junge Mädchen wurde unsanft am Handgelenk gepackt und in die Badewanne gesetzte, die sich von Sekunden zu Sekunden mehr mit eiskaltem Wasser füllte. Voller Schreck blickte Audrey in die Augen ihres Vaters und die Welle des starken Alkoholkonsums der sich mittlerweile im Sprachzentrum des Mannes gefestigt hatte. Es kam nicht selten vor, dass Audrey ihren Vater betrunken sah. Oft schrie er sie an, machte sie mehrmals für den Tod ihrer Mutter verantwortlich und betonte wie sehr er sie nicht ausstehen konnte, dass sie nie an einen Mann verheiratet werden würde etc.


Doch die Handgreiflichkeiten und das Injizieren des Goldregens, welchen ihr Vater in kleinen Spritzen im Medizinschrank der Wohnung gelagert hatte waren angestiegen. Die Sache mit der Badewanne und dem kalten Wasser war neu und es machte Audrey Angst. Die Kälte des Wasser kroch in ihren Körper und sie wollte sich wehren, sich von der starken Hand ihres Vaters losreißen - doch sie war zu schwach. Vielleicht hätte sie an diesem Abend länger bei ihrer Schulfreundin bleiben sollen - sie hatten so viel Spaß beim verkleiden spielen gehabt und Audrey war überzeugt davon gewesen, dass ihr Vater an diesem Abend nicht früh nach Hause kommen würde,so hatte er doch davon geprahlt, wie sehr er seine Arbeitskollegen mit der neuen Liebschaft die er sich angelacht hatte, beeindrucken wollte.

Diese 'Liebschaft' war eine Frau die Audrey einmal gesehen hatte. Flüchtig als sie auf dem Weg zur Schule gewesen war. Die besagte Dame hatte die Wohnung verlassen und ihrem Vater so - seltsame Blicke wie sie Erwachsene manchmal haben - zugeworfen. Von Audrey hatte die Frau kaum Notiz genommen. Auf Hilfe in irgendeiner Art konnte das junge Mädchen kaum hoffen. Aber vielleicht hatte sie ja die Möglichkeit ihren Vater zu beeinflussen, denn Audrey wollte sich in ihrer steigenden Angst gar nicht ausmalen wie diese 'Strafe' enden könnte. Ihr Vater war wenn er zuviel getrunken hatte unberechenbar.

"Bitte Vater...ich wollte dich nicht wütend machen", brachte Audrey hervor und nachdem das kalte Wasser ihre bereits durchnässten Klamotten vollständig bedeckt hatte. Sie musterte das wütende Gesicht ihres Vaters und glaubte in kindlicher Naivität erst dass ihre Worte etwas bewirkt hatten, als ihr Vater den Wasserhahn zudrehte. Doch sie sollte sich erneut täuschen.

"Es tut dir Leid ja?! Das bringt deine Mutter auch nicht zurück! Du hättest sterben sollen damit sie weiter leben kann! Du bist eine Enttäuschung und jeder wäre besser ohne dich dran Audrey!"

Bevor Audrey eine weitere Entschuldigung hervorbringen konnte, umfasste ihr Vater plötzlich mit der Hand die noch zuvor ihr Handgelenk umklammert hat - auf einmal ihre Kehle und drückte sie unter das Wasser. Augenblicklich breitete sich Panik in dem Kind aus und sie versuchte gegen die Kraft des Erwachsenen anzukommen - doch nach einigen Sekunden musste sie einsehen dass sie viel zu schwach war - gerade noch rechtzeitig lockerte lies ihr Vater ihre Kehle los und nach Luft schnappend klammerte Audrey sich an den Rand der Badewanne , nur um noch zu sehen wie ihr Vater das Badezimmer voller Wut verließ und die Tür hinter sich krachend ins Schloss fallen ließ....


"Das nächste mal solltest du versuchen, wieder aus dem Wasser aufzutauchen Audrey. Ich bin zwar kein Rettungsschwimmer, aber du bist gesunken wie ein Stein"

Es dauerte einen Moment bis Audrey sich bewusst wurde, dass diese verblasste Erinnerung aus ihrer Kindheit durch den Kontakt mit dem Wasser des Ozeans und das hinunter sinken wohl ausgelöst worden war und sie aus diesem Grund nicht wieder versucht hatte, an die Wasseroberfläche zu gelangen. Etwas irritiert blickte die Blondine auf ihre durchnässten Anziehsachen und der schwarzen - für Volturi typischen - Umhang der sich schwerer anfühlte, wegen des Wassers. Felix muss sie wieder an die Oberfläche gezogen haben und trug sie nun. War sie wirklich so lange in dieser Erinnerung gefangen gewesen?

"Wir haben Amerika bald erreicht. Bis dahin sollten deine Anziehsachen auch wieder getrocknet sein. Alles gut? Die siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen?"

Das Mädchen war froh darüber, dass Felix sie - nicht wie ihr Vater in dem kalten Alptraum zurückgelassen hat sondern sich damit begnügt hatte, sie rauszufischen und dann, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren oder sich von ihrem ungewollten Aussetzten ausbremsen zu lassen.

"Danke Felix", bedankte Audrey sich und schenkte dem älteren Vampir ein dankbares Lächeln und berichtete ihm dann stückweise von der Erinnerung die sie festgehalten hatte. Das Rauschen des Meeres und das Kreischen der Möwen wurde immer intensiver und sie glaubte auch in der Ferne das Festland entdecken zu können. Nachdem sie von der verblassten Erinnerung die sich zeitgleich so intensiv real angefühlt hatte zu Ende berichtet hatte, bekam sie von Felix einen sehr hilfreichen Tipp.

"Manchmal holen uns Erinnerungen aus unserer menschlichen Vergangenheit ein und können uns 'festhalten' - du musst dir dann immer deutlich machen, dass es nur eine Erinnerung ist und die kann dir als Vampir nichts anhaben"

Einige Stunden später hatten die Vampire Amerika erreicht und Jane erklärte wie sie weiter vorgehen würde. Ihr nächstes Ziel würde Seattle sein - der Ort wie das Chaos begonnen hat und wo es, wenn sie Glück haben würden noch aktiv vorhanden ist.
"Wir müssen nur dem Pfad der Zerstörung und des Chaos folgen", sprach die kühle Blondine und die Wache der Volturi setze sich anschließend in Bewegung um hoffentlich beim Einbruch der Nacht die Großstadt Seattle zu erreichen.

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