Kapitel 18

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„Was...." Linus und Genia setzten sich fast gleichzeitig in Bewegung und rannten zum Geburtstagstisch, wo der spitze Aufschrei herkam. Ein metallisches Klimpern folgte, während Ina sich ihre Hände vor den Mund schlug. „Oh mein Gott, oh mein Gott", stammelte sie nur vor sich hin. „Kümmere du dich um sie. Ich kümmere mich um das Mädel!", gab Genia ihm eine kurze Anweisung. Okay. Er drehte sich zu Ina, die wie erstarrt vor ihm stand. Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen und ihr Anblick macht Linus Angst. Er griff um ihre Taille und zog sie an sich. Scheinbar genau im richtigen Moment, denn Inas Körper erschlaffte und sank in seine Arme. Verflucht! Er griff mit seiner einen Hand in ihre Kniekehlen und trug sie zum großen Sofa. „Hallo, Pepincito. Aufwachen!" Vorsichtig streichelte er ihre Wange, aber nichts geschah. Nicht einmal ein leichtes Lidflattern. In Linus Magen bildete sich ein Knoten. Nein dieses hilflose Gefühl gefiel ihm gar nicht. Es erinnerte ihn an einen der schlimmsten Tage in seinem Leben. Damals hatte er wie üblich an seinem Schreibtisch in der Agentur gesessen. Alles war perfekt gewesen. Er hatte gerade ein mehr als erfolgreiches Telefonat mit einem ihrer Kunden geführt, der so begeistert von seiner Arbeit war, dass er ihm einen Folgeauftrag anbot. Dieser Auftrag könnte sein absoluter Durchbruch sein. Ganz abgesehen von der Menge Kohle, die er auf sein Konto spülen würde, würde ihm dieser Auftrag den Weg in den Marketing Firmament ebnen. Wenn er es richtig anstellte, dann würden sich ihm durch diesen Auftrag alleine schon alle Wege ebnen und er konnte sich überlegen, ob er hier in der Agentur weitermachte oder zu einer der ganz großen wechselte. Man würde ihn garantiert mit Kusshand nehmen. Da war er sich sicher. Okay, dieser Auftrag würde noch einmal richtig zeitintensiv und mit Sicherheit seine ganzen Ressourcen, sowohl körperlich als mental fordern, aber er war ja noch jung. Da kam es nicht darauf an, ob man genug Schlaf bekam oder ausreichend Ausgleich hatte. Nee, jetzt kam es erst einmal darauf an, dass er seine Position stärkte. Für den Rest hatte er dann Zeit, wenn er erfolgreich an der Spitze stand. Und da sein Privatleben sowieso schon den Bach hinuntergegangen war, hatte er mehr als genug Zeit, die er in seinen Job investieren konnte. Ihm war zwar immer noch nicht klar, warum sein nun Ex-Freundin keinerlei Verständnis dafür gehabt hatte, dass er so viel Zeit in der Firma verbrachte, aber wenn sie der Meinung war ihre Koffer deshalb zu packen und einfach nur einen Zettel für ihn dazulassen, auf dem sie ihm erklärte, dass sie keinen Bock mehr hatte, dann war sie sowieso nicht die Richtige für ihn. Genaugenommen konnte er ihr sogar dankbar sein. So hatte er wenigstens ohne schlechtes Gewissen noch mehr Zeit. Ja, die würde er auch gleich nutzen und schon einmal ein paar bahnbrechende Ideen für den Auftrag sammeln. Und dann war da dieses polternde Geräusch, das er wohl niemals vergessen würde. Dieses Geräusch eines umkippenden Bürostuhls verbunden mit dem Aufschlag eines Körpers auf dem Boden. Linus war damals aufgesprungen und zu seinem Kollegen gerannt, der im anderen Teil des Raums neben seinem Schreibtisch lag, sich die Brust hielt und nach Luft japste. Als er bei ihm angekommen war, war er genauso ohne Bewusstsein gewesen, wie jetzt gerade seine Pepincito. Panik machte sich in Linus breit. Er hatte damals nicht helfen können. Sein Kollege war einfach vor seinen Augen gestorben. Das durfte nicht wieder passieren. Nicht seiner Pepincito. Nein, das würde er nicht verkraften. Er liebte diese Frau da vor sich. Das war ihm in diesem Augenblick noch viel klarer. „Pepincito aufwachen!" Panisch gab er ihr Klapse auf die Wangen - so wie sie es immer in den Filmen taten - während er sich selbst verfluchte, dass er immer noch keinen Erste-Hilfe-Kurs absolviert hatte, obwohl er sich damals geschworen hatte niemals mehr so hilflos sein zu wollen. Wieso konnte er immer noch keine Herzdruckmassage? „Meen Jung, nu hör doch mal auf das Mädel zu ohrfeigen." Seine Mutter hielt seine Hand fest und drückte ihm einen feuchten kühlen Lappen in die Hand. „Leg ihr den ins Genick und ich packe noch ein paar Kissen unter ihre Beine, dann ist sie gleich wieder bei uns." Linus hatte da seine Zweifel. Sein Kollege war auch nie wieder aufgewacht. Nein, er hatte einfach da vor ihm seinen Arsch zugekniffen. „Meen Jung, das ist kein Herzinfarkt, nur eine kleine Ohnmacht." Seine Mutter strich ihm beruhigend über den Rücken. Scheinbar hatte sie seine Gedanken wohl erraten. „So blass wie du um die Nase bist, kippst du mir hier aber nicht auch noch aus den Pantinen." Er schüttelte den Kopf. Nein, das würde er nicht. Das war er nicht einmal damals, als der Notarzt nur noch den Tod festgestellt hatte. „Dann is man gut, meen Jung." Sein Blick lag auf Inas Gesicht, das immer noch leichenblass war. Ihre blonden Haare umrahmten es. Und seine Hand schob eine Strähne hinter ihr Ohr, die sich ihren Weg in ihr Gesicht gebahnt hatte. „Komm schon! Mach die Augen auf, Pepincito!", kam es leise, aber eindringlich aus seinem Mund. Wie auf Befehl fingen ihre Augenlieder zu flattern. „Na, Dornröschen scheint ausgeschlafen zu haben." Seine Mutter zwinkerte ihm zu, während sich ein unglaublich erleichterndes Gefühl in ihm ausbreitete als er in die wunderschönen blauen Augen seiner Freundin schaute, die ihn leichtverwirrt anstarrten. „Was....was...?" Ina hatte das Gefühl ihre Zunge klebte am Gaumen fest und ihr Körper wäre aus Wackelpudding. Sie ließ ihre Blicke wandern und blieb an den Blumengirlanden über ihr hängen. In dem Moment war alles wieder da. Das Messer, ihre Schwester und das Blut. Schlagartig rappelte sie sich auf. „Bleib noch einen Moment liegen!" Linus drückte sie sanft wieder zurück auf das Sofa. „Natascha!" Er musste doch wohl verstehen, dass sie aufstehen musste. Sie musste sofort zu Schischi.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt