The scarf

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Alhaitham hatte jeden Tag inständig gehofft, sich in der Seuchenhölle nicht anzustecken. Und wie durch ein Wunder hatte er es offenbar geschafft, gesund zu bleiben. Kaveh war inzwischen auch auf dem Weg der Besserung. Trotzdem fand Alhaitham, als er sich nach einem langen Tag an der Uni einfach nur noch auf der Couch ausruhen wollte, seinen Mitbewohner dort schlafend vor.

Mit einem Seufzen nahm er eine Decke, die dort lag und deckte Kaveh zu. Es wurde Zeit, dass er endlich mal wieder gesund würde, langsam nervte es echt. Für einen Moment schaute er ihn an. Das verwuschelte blonde Haar, das mal in einer ordentlichen Frisur mit Haarspangen hochgesteckt war, machte nun, was es wollte und einzelne blonde Strähnen fielen heraus und Kaveh übers Gesicht. Er hatte die Augen geschlossen und atmete mit halb offenem Mund, wahrscheinlich weil seine Nase zu war. Trotzdem sah er friedlich aus und in sein Gesicht war halbwegs wieder Farbe zurückgekehrt.

Im nächsten Moment konnte Alhaitham beobachten, wie der Blonde die Decke umarmte und sich wegdrehte, nun gerollt wie ein Burrito. "Haicham...", murmelte er und es klang leicht schmollend. Einen kleinen Moment brauchte der Grauhaarige, um zu realisieren, dass er gerade seinen Namen gesagt hatte, oder es zumindest versuchte. Süß, kam ihm unverhofft ein Gedanke – und er konnte es nicht vermeiden, ein bisschen rot anzulaufen.

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Als Kaveh später aufwachte, bemerkte er die Decke über sich. Verwirrt setzte er sich auf. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, wie er sich hier mit einer Decke schlafen gelegt hatte. Eigentlich hatte er doch einfach nur auf der Couch gesessen und –. Er konnte es sich einfach nicht erklären. Erschöpft fuhr er sich durchs Haar und erinnerte sich an seinen Traum. Er hatte geträumt, dass Alhaitham sein ganzes Essen im Kühlschrank weggegessen hatte.

Entsprechend schnell stand der Blonde auf und eilte in die Küche, um zu checken, ob das wirklich der Fall war. Nach einem Blick in den Kühlschrank atmete er erleichtert auf. Nur ein blöder Traum. Und Alhaitham war sicher auch gar nicht zuhause, und wenn, lernte er bestimmt nur in seinem Zimmer, wie der Nerd und Langweiler, der er eben war.

Nach dem Nickerchen fühlte Kaveh sich am ersten Tag wieder besser, und so beschloss er, seinen Kumpel anzurufen. Er schnappte sich einen kleinen Snack und rief Kaeya an.

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Von nebenan hörte Alhaitham Kavehs Stimme. Er hatte ein sehr lautes Organ, vor allem wenn er telefonierte. Dass er hier drüben jedes Wort hören konnte, da sie Wand an Wand schliefen, wusste der Blonde wohl nicht. Aber auch wenn er genervt davon war, war er im Moment irgendwie mehr glücklich, dass Kaveh sich auf dem Weg der Besserung befand. Und er konnte gar nicht einordnen, warum... es verwirrte ihn. Normal kümmerte er sich nicht so sehr um andere Menschen. Aber Kaveh – fragil, emotional und nun auch noch krank – schrie irgendwie danach, dass man sich um ihn kümmerte. Wie so ein Babytier. Es war wahrscheinlich normal, redete Alhaitham es klein.

Er setzte sich seine Kopfhörer auf und machte Musik an. Erstens aus dem Grund, dass er seine Ruhe haben wollte, zweitens aus Diskretion. Was Kaveh mit seinem "Sweetie Kaeya" zu besprechen hatte, ging ihn schließlich nichts an. Trotzdem hatte er den Anfang des Gesprächs belauscht. Wenn er das richtig mitbekommen hatte, waren dieser Kaeya und Kaveh beste Freunde. Sicher war er sich jedoch nicht. War ja auch egal. Mit einem Seufzen setzte er sich an seine Unterlagen. Aber eigentlich prokrastinierte er nur und genoss die Musik. Wenn man busy wirkte, indem man seine Uni-Sachen immer wieder mal zwischendurch zwei Minuten anstarrte, hatte man schließlich auch schon etwas erreicht, oder?

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Kaveh war überglücklich, als er Kaeyas Stimme hörte. Endlich konnte er mal mit jemand normalem sprechen, nachdem er hier tagelang im Krankenlager gelegen hatte und niemanden draußen getroffen hatte. Auch sein Freund schien ihn sehr vermisst zu haben. Sie lachten und scherzten am Telefon.

"Was anderes... Fühlst du dich eigentlich inzwischen wieder gut genug, um heute Abend mit mir ins Angels zu gehen?", fragte Kaeya ihn schließlich.

"Das Angels...", erwiderte Kaveh nachdenklich. Irgendwie kam ihm der Name bekannt vor. "AAAHH!!", rief er plötzlich laut aus. "Da war ich schon mal. Neulich, als ich mich ausgesperrt hatte, das hatte ich dir ja erzählt... Das ist doch eine Bar. Okay? Warum willst du gerade in die? Ich meine, die ist okay... aber- Es gibt doch bessere hier..."

"Klar. Ich liebe die Cocktails im Kitties, aber ich verrat dir ein Geheimnis... ich steh auf den einen Kellner im Angels. Der mit den roten Haaren – ich sag dir Babe, der ist so heiß...", schwärmte Kaeya.

"Ohhh... äh, der. Ja, ich weiß, wen du meinst...", erinnerte Kaveh sich und erinnerte sich daran, dass er ihm an jenem Tag versucht hatte, zu helfen.

"Kennst du ihn?", fragte Kaeya nun aufgedreht.

"Kennen wäre zu viel gesagt. Ich habe den halt da gesehen. Ja... sah schon... nett aus", murmelte er schließlich, doch Kaeya schien das nicht zu gefallen.

"Für dich gibt's aber nur Drinks mein Lieber, er ist meiner. Also, bist du trotzdem dabei?", fragte er neugierig.

"Hmmmmjaaahh okay. Ich komm mit. Ich hab's satt, Tag ein Tag aus hier zu sitzen...", sagte Kaveh zu und drehte eine seiner Haarsträhnen um den Finger. Ein, zwei Drinks würden schon nicht schaden. Aber irgendwie ließ ihn der Gedanke, dass Kaeya einen Crush hatte, leer zurück. Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, musste er sich mal fertig machen. Es war nicht mehr allzu viel Zeit. Und wenn er schon ausging, wollte er top-notch aussehen.

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Irgendwann später am Abend hörte Alhaitham wieder Geräusche, als er zu Abend essen wollte. Kaveh war anscheinend wieder aktiv. Er wusste nicht, wie das so schnell möglich sein konnte und wünschte sich fast den verschlafenen, kranken Kaveh zurück.

Er war gerade beim Abendessen, als Kaveh in die Küche stürmte. Er trug ein ziemlich weit ausgeschnittenes helles Hemd mit weiten Ärmeln über einer engen, schwarzen highwaist Hose mit einem Gürtel, der wie eine Art Korsett aussah. Alhaitham verschluckte sich leicht an dem Bissen, den er gerade essen wollte und musste erstmal Wasser trinken.

"Hey, uhm, ich wollte dir nur Bescheid sagen, ich geh noch aus, es wird wahrscheinlich später. Meinen Schlüssel hab ich aber dieses Mal wirklich mit!", sagte Kaveh entschlossen und wedelte demonstrativ mit seinem Schlüssel.

Alhaitham schaute ihn einfach nur geschockt an. Er sah so heftig aufgebrezelt aus. Hochgesteckte Haare auch – und ... war das Make Up? Ihm blieb fast die Luft weg – aber wahrscheinlich auch sämtlichen Leuten, die Kaveh heute Abend sahen. Der Gedanke gefiel ihm irgendwie gar nicht. Außerdem war Kaveh erst krank gewesen...

"Warte", murmelte Alhaitham und ging in sein Zimmer. Normalerweise hätte er nicht seine Mahlzeit unterbrochen, aber das war wichtig. Er holte einen seiner Schals, die er normal nur im Winter trug. Seine verstorbene Oma hatte ihm diese gestrickt und eigentlich wollte er Kaveh so etwas nicht ausleihen, aber einen anderen, gekauften fand er gerade nicht. Und so kam er mit dem dunkelgrünen Schal wieder und legte ihn Kaveh im Flur ungefragt um den Hals und leicht über den Ausschnitt.

"Zieh dir bitte etwas mehr an", sagte er ernst. Kaveh starrte ihn nur mit großen Augen an und griff irritiert an den Schal.

"Aber... also... der passt doch gar nicht zum Outfit", stammelte er, offenbar verwirrt.

"Das ist mir egal. Du warst erst krank, du Blödmann!!", entgegnete Alhaitham angesäuert. Eigentlich klang das ziemlich mies. Aber all das gefiel ihm überhaupt nicht und er konnte nicht mal sagen, was los war.

"Hmpf. Schönen Abend noch", murmelte Kaveh eingeschnappt. Dann verließ er die Wohnung ohne ein weiteres Wort und Alhaitham sah ihm schweigend hinterher. Verlier ihn bitte nicht, wollte er noch sagen, doch die Worte steckten irgendwo in seiner Kehle fest. Und dann war Kaveh bereits fort.


Roomrivals - or I wish we never metWo Geschichten leben. Entdecke jetzt