Ja, so hatten sich Ina und ihre Mutter das immer ausgemalt. Im Wasser der Seine spiegelten sich die vielen Lichter und in nicht allzu großer Ferne sah man den beleuchteten Eiffelturm. Ina war sich sicher, dass ihre Mutter sich für sie freute, dass sie endlich ihren Traum erfüllte. In Inas Kopf tauchten wieder die Bilder von der Dior Schau auf. Alleine bei dem Gedanken beschleunigte sich ihr Herzschlag wieder. Sie hatte dort wirklich am Laufsteg gesessen. Okay, nicht wie bei Louise Grandmenor in der ersten Reihe, aber das war auch nicht nötig gewesen, denn die Models liefen über einen erhöhten Laufsteg, so dass man sie und ihre Kreationen von jedem Platz aus gut sehen konnte. Das waren schon andere Sachen, die dort vorgeführt wurden als die, die man normalerweise in den Boutiquen fand. Glücklicherweise, dachte Ina, denn so einiges war davon im realen Leben nicht wirklich tragbar. Nach der Show hatte sie eigentlich noch einen Abstecher in die Boutiquen am Champs Élysée machen wollen. Ja, sie hatte sich ja zu Hause schon die Strecke herausgesucht, die sie laufen musste, um in kürzester Zeit möglichst viele zu erreichen. Und viel erreichen bedeutete in dem Fall reichlich Beute zu machen. Es war doch ganz etwas anderes, wenn sie die Sachen in Paris gekauft hatte, als auf der Kö in Düsseldorf. Inas Blick ging zu der kleinen Papiertüte in ihrer Hand, in der sich ein Seidenschal für sie und ein Gürtel für Linus befand. Genia hatte ihren ganzen Plan durchkreuzt. Sie hatten den Champs Élysée nur kurz geschrammt. Aber wenigstens an der Stelle, wo Hermès seine Boutique hatte. „Du weißt schon, dass man für das Geld von dem Zeug, das du gekauft hast, einen ganzen Monat gut leben kann?" Genia hatte wohl ihren Blick auf die edle Papiertüte bemerkt. „Kann man, muss ich aber nicht. Ich kann mir das leisten." Okay Inas Antwort klang ziemlich schnippisch und überheblich. Wohl auch in Genias Ohren, denn sie verzog ihr Gesicht. „Das ist schön für dich. Es gibt aber genug Leute, die das nicht können. Vielleicht solltest du auch mal an die denken. Empathie hat noch niemandem geschadet und sie ist sogar komplett kostenlos." Aha, daher wehte der Wind. „Keine Angst, ich spende trotzdem für deine Stiftung." Ina war zwar nicht davon überzeugt, dass minderjährige Mütter unterstützt werden müssten, schließlich hatte sie ja keiner gezwungen so jung schon Sex zu haben und dann auch noch zu dumm für die Verhütung zu sein, aber das war ja egal. Das Geld, dass sie für die Stiftung spendete konnte sie von der Steuer absetzen und das war das einzig Wichtige. „Darum geht es mir gar nicht, obwohl ich mich natürlich freue, wenn du meine Stiftung unterstützt." Genia machte eine kurze Pause, ehe sie weiterredete. „Man sollte halt nur auch über den Tellerrand hinausschauen. Manchmal merkt man erst wie wenig man zum Leben braucht, wenn man nicht mehr hat. Und ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, dass das, was man wirklich braucht, um glücklich zu sein, in keiner Luxus Boutique verkauft wird. Genaugenommen ist es überhaupt nicht käuflich zu erwerben, sondern man bekommt es vom Leben gratis, wenn man Glück hat." So wie sie beim letzten Satz strahlte, war sogar Ina klar, dass sie wohl ihre kleine Tochter und Luca meinte. „Alles ist Karma!" Ina musste schlucken. Ja, sie hatte Linus auch einfach so bekommen und würde ihn gegen keinen Luxusartikel der Welt eintauschen wollen. Ihre Gedanken wanderten weiter zu ihrem Vater. Er hatte immer den Luxus und das Streben danach an erste Stelle gesetzt. Wenn sie ehrlich war, hatten ihre Mutter, ihre Schwester und sie selbst immer dahinter zurückstecken müssen. War es also gleich bedeutend, dass er deshalb vom Glück verlassen in einem Pflegeheim dahin vegetierte? Ina schüttelte kurz ihren Kopf, um diese abwegigen Gedanken zu vertreiben. So ein Quatsch. Karma war doch absoluter Blödsinn! Ihr Blick wanderte wieder zur Seine und der wunderschön stuckverzierten Brücke, die in nicht allzu großer Entfernung vor ihnen lag. Ihre Mutter hätte sie garantiert mit ihr zusammen bewundert. „Die Pont Neuf ist ein echtes Prachtstück." Genia deutete mit ihrer Hand zu genau der Brücke, die Ina gerade bewundert hatte. Das war also die Pont Neuf. „Warst du viel in Paris?", brach sich Inas Neugier Bahn. Genia nickte. „Eine zeitlang sehr oft, dann weniger." An der Art ihrer Antwort spürte Ina, dass sie nicht wirklich darüber reden wollte. Trotzdem hakte sie nach. „Das muss doch unglaublich gewesen sein, wenn du dort auf den Laufstegen unterwegs warst." Genia verzog ihren Mund. „Unglaublich anstrengend, ja....aber mehr auch nicht. Glaube mir, das ist wie mit den ganzen Designerklamotten auf den Laufstegen. Nach außen sieht alles ganz toll aus, aber mehr auch nicht. Man zahlt einen viel zu hohen Preis für das, was man dann bekommt." Ina schaute sie irritiert an, unterließ aber weitere Nachfragen. „Das ist wie mit dem armen Mädel beim Ballett", redete Genia dann doch weiter. „Sie hat sich seit ihrer frühesten Jugend garantiert abgeplackt beim Training und jetzt...." Ja, das war wirklich unschön gewesen. Bei dem Ballett, dass sie sich angeschaut hatten, war die Primaballerina nach einem Sprung mit schmerzverzogenem Gesicht auf der Bühne zusammengesackt und dann heruntergetragen worden. „Jetzt ist sie verletzt, aber das heilt doch wieder und dann kann sie weiter machen." Wenn man wirklich für etwas einstand, dann hielt ein so eine läppische Verletzung doch nicht ab. Genia schüttelte ihren Kopf. „Ich denke nicht. In dem Geschäft ist es nicht anders als beim Modeln, wenn du einmal versagt hast, bist du weg vom Fenster." „Aber sie hat doch nicht versagt, sondern sich verletzt", widersprach Ina. „Das ist in dem Fall das Gleiche." Ina zweifelte zwar daran, aber noch etwas interessierte sie. „Wie kommt es eigentlich, dass wir ins Ballett gegangen sind?" Genia schaute sie irritiert an. „Wie meinst du das?" Ina biss sich auf ihre Lippe. Wie sollte sie das jetzt am besten formulieren, ohne dabei verletzend zu wirken? „Na ja ich dachte, du stehst mehr....." Genia fing an zu lachen. „Du dachtest ich wäre eine Chaotin und mag keine Klassik." Ja, so in etwa hatte Ina gedacht. „Ich liebe Klassik und am allermeisten die Oper Carmen." Bei diesen Worten trat ein sehnsuchtsvoller Ausdruck in ihren Blick. Vielleicht sollte Ina sich bei ihrer Rückkehr nach Düsseldorf über das Opernprogramm schlau machen. Sie liebte auch Opern.....und besonders Carmen, genau wie ihre Mutter. Das wäre doch eine schöne Idee, um sich bei Genia für die Karten in Paris zu revanchieren. Ja, das würde sie am Montag gleich in Angriff nehmen. „Komm, jetzt muss ich mich aber noch von einem der Künstler da malen lassen. Ich habe Espie versprochen ihr so ein Bild mitzubringen. Und dann gehen wir etwas essen bevor wir zurück ins Hotel fahren. Ich kenne da ein niedliches kleines Bistro gleich am Louvre." Ina nickte begeistert. Ja, sie würde sich auch malen lassen, sowie sie es mit ihrer Mutter geplant hatte. Das Bild würde sie zum Grab ihrer Mutter als kleines Mitbringsel mitnehmen. Man, hatte sie ihr bei ihrem nächsten Besuch auf dem Friedhof viel zu erzählen.
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Schuss und Treffer - in der zweiten Mannschaft ✔️ Teil 13
RomanceLinus und Ina sind schon seit zwei Jahren ein Paar. Gemeinsam führen sie das Bauunternehmen von Inas Vater, der seit seinem Herzinfarkt ein Pflegefall ist. Für Ina war der Weg in die Firma schon von kleinauf vorgezeichnet. Linus hatte sich sein Lebe...