3 - Täuschung in den eigenen Reihen

50 6 0
                                    

Evangeline POV

Es sind zwei Wochen vergangen. In den ersten Tagen verbrachte ich erstaunlich viel Zeit mit Sebastian und dem Privatunterricht, welchen er abseits der Klasse von mir bekam. Unverhofft war er sehr gelassen und offen mir gegenüber. Zumindest in Bezug auf den Unterricht. Von Anne's Brief erzählte ich ihm noch nichts. Ich wollte erst einmal für mich selbst in Erfahrung bringen, ob er nur so nett ist, um einfach seine Prüfung ablegen zu können oder ob es noch die Chance gibt, dass er und ich wieder zueinander finden. Wie damals. Als Freunde. Mehr wollte ich mir nicht ausmalen. Noch nicht.

Ich saß im großen Vorplatz von Hogwarts auf einer Bank und beobachtete bei diesem herrlichen Spätsommerwetter die Erstklässler bei ihrer ersten Flugstunde. Wie wundervoll tollpatschig sich einige anstellten. Mir huschte immer mal ein Lächeln über die Lippen, als ich mich erinnerte, wie es bei mir damals war. Zwar gehorchte der Besen bereits beim ersten Rufen, aber das Fliegen selbst war eine Katastrophe. Heute hingegen war ich ein Teil der Quidditch-Mannschaft, was ich natürlich auch meiner damaligen Mitschülerin Imelda Reyes zu verdanken hatte. Soweit ich wusste, hatte sie es geschafft, als Co-Trainerin für die Nationalmannschaft von England zu arbeiten. Da ich noch nicht offiziell als Lehrerin fungierte, durfte ich Gryffindor in Hogwarts weiterhin unterstützen. Aber wirklich viel Spaß machte es mir nicht mehr. Sicher würde ich auch im Rahmen meiner Arbeit rund um und mit Sebastian kaum noch Zeit für Quidditch finden.

„Hallo Sweetheart!", ich sah wie Ominis mit seinem Zauberstab zu mir kam und setzte sich neben mir auf die Bank, „Schönes Wetter heute, oder?" Ich sah ihn an. Er trug ein weißes Hemd, mit einer grünen Krawatte, alles perfekt und akkurat gerade gebunden. Die grüne Krawatte erinnerte mich an seine damalige Schuluniform. Dazu eine schwarze Anzughose und einen dunklen Umhang. Die weißblonden Haare trug er schon immer nach hinten gekämmt. Er sah so verdammt gut aus. Ich fragte mich immer, warum nie jemand auf ihn aufmerksam wurde. Also, abgesehen von den pubertierenden Mädchen. Sie sahen ja nur den erwachsenen Ominis. Aber damals, als wir unsere letzten Schuljahre hier absolvierten, schien sich kaum eine Dame ernsthaft für ihn zu interessieren. Ich liebte ihn zwar nicht so, wie er mich, aber ich liebte ihn rein auf einer platonischer Art und Weise einfach bedingungslos. Wie einen Bruder, für den ich jederzeit in die Flammen springen würde. Da ich eine Waise war und nie einen Bruder hatte, war die Freundschaft zu Ominis ein großes Highlight in meinem Leben. Ich lächelte: „Es ist wunderbar.", legte den Kopf in den Nacken und ließ die Sonne auf meinem Gesicht tanzen.
„Wo ist dein Schützling?", versuchte er mich zu necken. Ich vernahm natürlich diesen äußerst unterschwelligen Ton.
„Nennst du ihn bitte nicht so? Das hört sich einfach falsch an. Ich meine, wir sind gleich alt."
„Das mag ja sein, aber rein rhetorisch betrachtet, seid ihr aktuell nun einmal Lehrerin und Schüler. Ist doch lustig. Sebastian musss ich dir beugen. Ich frag mich nur, ob er das je tun wird.", er musste über seine eigenen Worte lachen und konnte sich gar nicht mehr beruhigen als ich auch noch auf seine Neckerei ansprang: „Ominis!" Ich zwickte ihn in den Oberarm. Ominis lachte einfach weiter. Es machte ihm Spaß, mich so in Verlegenheit zu bringen. Er kannte mich zu gut und wusste genau, dass ich niemanden auch nur ein Haar rupfen könnte und auch immer die Bedürfnisse des anderen über meine eigenen stellte. Er hielt mir schließlich eine Blume hin: „Die habe ich vorhin im Schlossgarten entdeckt. Allein ihr Duft hat mich zu ihr geführt. Sie ist so schön wie du." Ich sah diese wunderschöne, rote Rose an, die noch nicht vollständig geöffnet war, nahm sie an und roch kurz daran. Dieser himmlische Duft beruhigte mein Gemüt nach seiner Stichelei wieder: „Danke, Ominis. Das ist sehr lieb von dir." Ich legte meinen Kopf an seine Schulter und war froh, dass ich so einen tollen Mann zum Freund hatte.
„Für dich immer, Sweetheart." Er lächelte zufrieden und streckte den Kopf zum Himmel.


„Sweetheart und Rosen? Ominis, du gibst auch nie auf, was?", eine tiefe, aber vertraute Stimme ertönte hinter uns. Ich sah wie Ominis provokant herauslachte und erwiderte: „Du musst doch wissen, dass deine Konkurrenz nicht schläft." Die beiden Männer sahen sich herausfordernd an. Ich blickte von einem zum anderen und meine Mundwinkel zuckten leicht zu einem Lächeln. Es war wie früher als wir in der fünften Klasse waren. Beide buhlten um meine Aufmerksamkeit. Damals dachte ich anfangs, dass dies einfach nur ein typisches „Jungsding" repräsentierte, wenn ein Mädchen anwesend war. Später aber wurde mir bewusst, dass die beiden wirklich um mich kämpften. Ja, auch ich war eine Zeit lang blind für solche Avancen.
„Naja, mit dir als Konkurrenten kann ich leben." Er grinste selbstsicher. Ominis tat es ihm gleich, holte jedoch zum unerwarteten Gegenschlag aus: „Dann erzähle ich dir mal lieber nicht, dass Amit und Eva -"
„OMINIS!", schrie ich, „Lass das sofort!" Das wollte er jetzt nicht ernsthaft sagen? Sebastian drehte seinen Kopf langsam zu mir um, so als ob er erschrocken über diese Information war. „Was war denn mit Amit?" fragte er fordernd.
„N... Nichts, was von Bedeutung wäre.", ich wurde wirklich rot im Gesicht. Dabei gab es da eigentlich nichts, was mich aus der Fassung bringen sollte. Ich merkte seinen stechenden Blick auf mir. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass sich seine Augenfarbe kurzzeitig wieder schwarz färbte. Dachte er, dass ich keinen anderen Mann mehr anschauen würde? Ernsthaft? Er ging damals wortlos und ließ mich zurück.
Ich versuchte die Situation etwas zu lockern, wollte natürlich von dieser unnötigen Thematik ablenken und fragte, ob beide mich nach Hogsmeade begleiten wollten. Diesen tollen Herbsttag konnte ich für einen Spaziergang nutzen und da ich für heute keinen Unterricht mehr hatte, war die Zeit für einen Spaziergang perfekt. Natürlich ließen sich Ominis und Sebastian nicht zwei Mal fragen. Ich hakte mich bei Ominis ein und gemeinsam mit Sebastian, der immer noch argwöhnisch zu uns blickte, setzten wir den Weg nach Hogsmeade an. Ich wusste, dass es ihm ein Dorn im Auge war, dass ich mit Ominis so vertraut war. Aber das war mir grundlegend egal. Niemand würde sich je zwischen mir und meinen nicht blutsverwandten Bruder werfen. Auch kein Sebastian Sallow.

Shadows of SallowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt