Ina hatte den Karton jetzt schon zum dritten Mal durchwühlt und immer noch keinen Mutterpass zu ihrem Geburtsdatum gefunden. Nein, Nataschas war der einzige, der hier in der Kiste schlummerte. „Wollen wir die Kiste nicht einfach mit runternehmen?" Linus hielt ihre Hand fest, die schon wieder zu kramen begann. „Nein, dieser Mutterpass muss hier doch irgendwo sein." Sie fing wieder an in dem Karton zu wühlen. „Vielleicht ist er einfach abhanden gekommen", schlug Linus vor. So verbissen wie Ina die Sachen durchwühlte, gefiel ihm das gar nicht. Bestimmt gab es tausend Gründe, warum der Pass nicht dort war. Den offensichtlichsten versuchte er erst einmal nicht anzusprechen. Vielleicht gab es gar keinen. Das würde auch die nicht passende Blutgruppe erklären. Er mochte gar nicht daran denken, wie Ina in dem Fall reagierte. Sie war ja jetzt schon kurz vor dem Durchdrehen. Andererseits war das doch totaler Blödsinn. Warum hätte man ihr das nicht schon längst sagen sollen. Diesen Gedanken verdrängte er deshalb sofort wieder. „Meine Mutter war die ordentlichste Person, die ich kenne. Sie hat nie etwas verloren." Nee, das war doch absoluter Blödsinn. So wie sie ihre Mutter kannte, hatte sie sogar eine Kopie für den Fall der Fälle angefertigt. Wieder hielt Linus ihre Hand fest. „Trotzdem ist es hier oben fast schon dunkel. Da kann man leicht etwas übersehen." Okay, da hatte er recht, denn das Licht hier auf dem Dachboden durch die kleinen Dachluken war wirklich bescheiden. Ina stemmte sich vom Boden hoch und griff nach der Kiste, in der sie bereits gewühlte hatte, als ihr Blick auf eine weiteren Karton fiel, der beschriftet war. Wichtige Unterlagen stand dort in der sauberen Schrift ihrer Mutter. Ja, in der Schrift ihrer Mutter. Das hieß, dass ihre Mutter ihn selbst angelegt hatte und nicht nur ihr Vater nach dem Tod ihrer Mutter die Unterlagen dort von der Haushälterin verstauen lassen hatte. „Da.....da ist noch ein Karton." Ina deutete mit ihrem Finger darauf. „Dann lass uns die beiden Kisten nach unten tragen und in Ruhe durchsuchen." Linus schloss den Deckel des Kartons, in dem Ina herum gewühlt hatte und stellte den anderen, den sie gerade entdeckt hatte oben drauf. „Soll ich die Zeitschriften auch noch mitnehmen?" Sein Blick ging zu dem verstreuten Haufen auf dem Boden. Ina schüttelte sofort den Kopf und schaute ihn empört an. „Nein, es gibt gerade etwas Wichtigeres als diese Zeitungen." Was dachte er denn? Vielleicht, dass sie nach irgendeinem blöden Foto oder Bericht von Genia suchte, wenn es hier um ihre eigene Vergangenheit ging? Ina schloss die schwere Metalltür zum Dachboden wieder ab und folgte Linus die steile Treppe hinunter. Im Wohnzimmer angekommen stellte Linus die beiden Kartons auf der Erde ab und schnaufte kurz. Es war unglaublich, wie schwer Papier wog. Hoffentlich fanden sie dort endlich diesen dämlichen Mutterpass, damit Ina wieder zur Ruhe kam. Linus hatte nämlich das Gefühl, dass sie von Minute zu Minute hibbeliger wurde. Wenn sie das blöde Teil nicht bald fand, ging sie wahrscheinlich demnächst die Wände hoch. Sein Blick wanderte zu dem großen Familiengemälde, das über dem Kamin hing. Ina stach dort mit ihrem hellen blonden Haar heraus und sie schaute genauso ernst wie ihr Vater, während Natascha breit grinste und ihre Mutter lächelte. Warum hatte er bloss diesen blöden Mutterpass vorhin in der Kiste gefunden? Hätte er nicht einfach eines der Tagebücher herausgreifen können? Dann würde Ina nicht gerade so durchdrehen. Er suchte nach einem schlüssigen Argument, um die Suche zu beenden. Leider fiel ihm keines ein. Gleichzeitig war ihm aber auch bewusst, dass er seine Freundin sowieso nicht davon abhalten könnte, weiter zu suchen. Wenn sie sich etwas vorgenommen hatte, dann verbiss sie sich darin wie ein Bluthund in einem Knochen. „Na dann lass uns mal schauen, ob der Mutterpass hier ist." Ina schob Linus beiseite, damit sie an die Kartons kam. Ihr Puls beschleunigte sich, als sie den Deckel öffnete. Bestimmt fand sie darin das, was sie suchte. Da war sie sich ganz sicher. Sie griff ein in Leder gebundenes Buch heraus und strich über den Einband. In die Vorderseite war die Jahreszahl in goldenen Zahlen eingepresst. Sofort erinnerte sie sich an diese Art von Buch. Ihre Mutter hatte jedes Jahr so ein neues Buch begonnen. Ja, es war eines ihrer Tagebücher. Ina schlug es vorsichtig auf und blickte auf die ordentliche Handschrift ihrer Mutter. Sie strich einmal sanft mit ihrem Zeigefinger über eine Zeile und fühlte sich ihrer Mutter so nahe, dass sie schlucken musste. Nein, sie würde darin jetzt nicht lesen. Schnell schlug sie das Buch wieder zu. Tagebücher enthielten die Gedanken der Person, die sie geschrieben hatte....und so sollte es auch bleiben. Sie waren etwas überaus Persönliches, das keinen anderen etwas anging. Ina musste schmunzeln. Wie oft hatte ihre Mutter an dem alten Sekretär gesessen und dort in ihr Buch geschrieben. Und wie oft hatte sie Ina auch so ein Buch geschenkt. Trotzdem hatte sie Ina nie davon überzeugen können ihre Gedanken niederzuschreiben. Nein, das war nicht ihrs. Sie war da einfach verkopfter, so wie ihr Vater. Ina legte das Buch neben sich auf das Sofa und griff auch die weiteren Tagebücher heraus. Vielleicht sollte sie sie einfach in das Regal im Büro stellen bevor sie auf dem Dachboden noch muffig wurden. Ja, das war eine gute Idee. Das würde sie gleich machen, wenn sie den Karton durchgesehen und das gefunden hatte, was sie suchte. Ina entdeckte einen dicken Ordner. Nein, in so einem dicken Ordner befand sich mit Sicherheit nicht der Mutterpass, schließlich war es nur ein kleines Heft, das ihre Mutter mit Sicherheit nicht gelocht hatte. Andererseits liebte ihre Mutter Dokumentenhüllen. Vielleicht sollte sie doch in den Ordner schauen. Gerade als sie ihn griff, fiel ihr Blick auf einen grünen Papierhefter auf dem Boden des Kartons. Adoptionsunterlagen, sprang ihr die Handschrift ihrer Mutter in die Augen.
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Schuss und Treffer - in der zweiten Mannschaft ✔️ Teil 13
RomanceLinus und Ina sind schon seit zwei Jahren ein Paar. Gemeinsam führen sie das Bauunternehmen von Inas Vater, der seit seinem Herzinfarkt ein Pflegefall ist. Für Ina war der Weg in die Firma schon von kleinauf vorgezeichnet. Linus hatte sich sein Lebe...