19. Kapitel

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I saw a shadow flying high ~ Lost Boy (Ruth B.)

Wir waren bestimmt schon fünfzehn Minuten gelaufen, als Marie plötzlich stehen blieb und ein paar Zweige zur Seite schob. Ich trat hinter ihr auf eine Lichtung, die ungefähr die Größe eines Fußballfeldes hatte. In der Mitte warteten Benjamin und Sophia.
„Hi", begrüßte ich sie und lief auf sie zu.

Als ich zwei Meter vor ihnen zum Stehen kam, sagte Benjamin: „Wir fangen am besten sofort an. Das erste, das du lernen musst, ist das Fliegen. Ohne fliegen zu können, hast du in einem Kampf auf Leben und Tod in Konzulesian keine Chance. Ich bin der beste Flieger, deshalb bringe ich es dir bei, währenddessen versuchen die anderen beiden das Rätsel zu entschlüsseln."

Ich nickte perplex. Das war ein Plan. „Gut, dann stell dich neben mich", wies er mich an. Ich tat, was er gesagt hatte. „Jetzt schau zu." Er setzte sich einen Helm auf und breitete die Arme aus. Dann sprang er ab. Ich traute meinen Augen nicht. Er flog tatsächlich! Ich verfolgte ihn mit meinem Blick, als er einmal über mir im Kreis flog und schließlich wieder landete. Man hätte eigentlich meinen können, dass mich nach den letzten Ereignissen nichts mehr so leicht aus der Bahn werfen konnte, aber meine Reaktion bewies das Gegenteil.

Ich starrte ihn an. Ich sah zwar, dass
sich seine Lippen bewegten und er irgendetwas sagte, aber ich hörte ihn nicht. Das war doch nicht zu glauben! Ich musste mich zusammenreißen, wenn ich überleben wollte! Entschlossen konzentrierte ich mich auf meine Umwelt und dann hörte ich ihn auch wieder. „... damit dir nichts passiert, wenn du abstürzt. Jetzt versuch es mal.", hörte ich gerade noch. Ich nahm zögernd den Helm, den der Prinz mir entgegenstreckte und setzte ihn mir langsam auf.

Wie zuvor er, breitete ich meine Arme aus und sprang ab. Es passierte rein  gar nichts. Ich versuchte es noch ein paar Mal, aber es wollte einfach nicht funktionieren. „Du musst dich konzentrieren", riet Benjamin mir. Ich verdrehte die Augen. Als ob ich das nicht wusste. Nichtsdestotrotz schloss ich meine Lider und konzentrierte mich auf mich selbst. Mir kam eine Idee. Ich stellte mir vor, dass meine Arme Flügel waren. Ich sprang ab. Und landete nicht.

Überrascht öffnete ich die Augen und sah nach unten. Ich schwebte einen Meter über dem Boden! Ein Grinsen huschte über mein Gesicht, das aber sofort wieder verschwand, als ich im nächsten Augenblick abstürzte. Ich schlug mir das Knie auf und biss die Zähne zusammen. Es brannte höllisch.

Ich stand auf und blickte Benjamin stolz an. Doch dieser schüttelte nur den
Kopf. „Nochmal." Ich seufzte und stellte mich in Position. Eins, zwei und drei! Ich sprang ab und wieder schaffte ich es, für einige Momente in der Luft zu bleiben, bis ich auf den Boden fiel. Wieder sah ich zu ihm, doch er hatte die Augenbrauen hochgezogen und schaute mich skeptisch an. Ich sprang nochmal ab und wieder knallte ich auf den Waldboden.

Dieses Mal blickte ich erst gar nicht zu ihm. Ich hatte verstanden, dass ich besser sein musste um Anerkennung zu
bekommen oder, blieben wir mal realistisch, zumindest einen netteren Blick. Immer wieder sprang ich ab und fiel auf den Boden. Nach fünf Stunden erklangen endlich die erlösenden Worte.

„Das war's für heute. Morgen machen wir weiter." Ich legte mich erleichtert auf den Rücken ins Gras und schloss die Augen. Mein gesamter Körper tat weh und ich wollte lieber gar nicht wissen, wie viele blaue Flecken ich morgen haben würde. Vom Muskelkater ganz zu schweigen.

„Aufstehen“", befahl der Prinz herrisch. „Für dein Schönheitsschläfchen hast du später immer noch Zeit, Emmi." Wie hatte ich annehmen können, nach der Sache mit dem Feuer wäre er netter zu mir? Er war immer noch genauso fies. Ich warf ihm einen bösen Blick zu und stand auf. Wenn ich das ab jetzt jeden Tag machen musste, würde ich das nicht überleben. Ich würde noch vor dem Kampf zusammenbrechen.

Auf dem Rückweg erkundigte ich mich bei Marie, ob sie etwas herausgefunden hatten. „Leider nicht. Das ist wie verflucht! Jedes Mal, wenn wir glaubten, etwas gefunden zu haben, hat uns das Rätsel einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und wie lief das Training bei dir? Nicht so gut, soweit ich das erkennen konnte, oder?"

Ich seufzte. „Nee. Ich komme zwar vom Boden und kann einige Sekunden schweben, aber wenn es darum geht zu fliegen, stürze ich ab und bekomme einen weiteren blauen Fleck." „Das wird bestimmt noch. Ich habe auch drei Tage gebraucht, bis ich problemlos fliegen konnte." Drei Tage nur? Das war unmöglich zu schaffen! Ich war mir sicher, dass ich mindestens einen Monat brauchen würde. Wenn nicht sogar noch länger.

„Beeilt euch mal!", schrie uns Benjamin von vorne zu. "Ja-ha!", rief ich genervt zurück. „Mann, dieser Typ ist echt immer schlecht gelaunt", murmelte
ich leise vor mich hin. Marie hörte es trotzdem und entgegnete: „So schlimm ist er gar nicht. Ich kenne ihn schon seit vielen Jahren. Er ist eigentlich echt lieb und er kümmert sich immer ganz toll um seine Schwester. Das ist doch nett, oder?"

Ich verdrehte die Augen. „Zu seiner Schwester muss er ja auch nett sein. Er hat keine andere Wahl. Aber ich verstehe nicht, warum er so arrogant ist. Vor allem zu mir. Was mache ich denn falsch? Bei dem Feuer vorhin hatte ich gedacht ..." Ich verstummte. „Dass er nicht mehr so fies zu dir ist?", beendete Marie meinen Satz. Ich nickte.

„Ja. Er hat versucht, mir zu sagen, dass alles gut werden würde. Und danach, also nachdem das Feuer aus war, hat er mich in den Arm genommen." Ich zuckte mit den Schultern.

„Hallo?! Spreche ich Chinesisch oder so?" Der Prinz schien echt wütend zu sein. Schnell schlossen Marie und ich zu ihm und Sophia auf.

„Alles geklärt." Benjamin kam mit erhobenem Daumen in die Küche. Ich runzelte die Stirn.
„Was ist geklärt?", fragte ich. „Lass dir das von deiner Freundin erzählen. Ich bin weg", sagte er und verschwand wieder. Ich drehte mich zu Marie. „Was meint er damit?"

„Er hat Sophia und mich für die nächsten zwei Tage krankgemeldet. Du hast sogar vier Tage frei bekommen, weil du neu bist", erfuhr ich von ihr. „Warum das denn?"
„Damit wir dich trainieren und dem Rätsel auf die Spur gehen können natürlich."
„Und wie habt ihr das abgemacht? Ich war doch die ganze Zeit bei euch. Wie konntet ihr miteinander sprechen, ohne dass ich es gemerkt habe?", fragte ich irritiert.

„Also, das geht so. Wenn man hier einen Monat arbeitet und sich als vertrauenswürdig erwiesen hat, richtet man im Kopf eine … sagen wir Sammlung aus Klappen auf. Jede Klappe steht für einen Aniral und wenn du eine dieser Klappen öffnest, kannst du dich in Gedanken mit dieser Person, der die Klappe gehört, unterhalten. Man kann auch mit mehreren gleichzeitig glinken." Ich musste gar nicht fragen, was glinken bedeutete. Ich nahm an, dass es das Wort für in-den-Köpfen-kommunizieren war.

„Ah", war alles, was ich sagte. Ich versuchte mir vorzustellen, wie Marie das meinte, konnte mir jedoch kein richtiges Bild machen. Nachdenklich stand ich auf und trug meinen Teller in die Spülmaschine. Marie folgte mir mit ihrem. Als das Wasser über die Teller lief, kam mir ein Gedanke. „Wo ist eigentlich das Bad?", fragte ich unsicher. Marie fing an zu lachen. „Ich habe mich schon gefragt, wann du danach fragen würdest. Komm mit."

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