Ina war Doktor Spengler wie eine Schlafwandlerin ins Wohnzimmer der Villa gefolgt. Seit sie das Pflegeheim verlassen hatten, hatte sie noch nicht ein Wort von sich gegeben. Genaugenommen nicht einmal einen Ton oder ein Räuspern. In ihrem Kopf flogen so viele Gedanken hin und her, dass sie sich wie gelähmt vorkam. „Geht es Ina gut?" Frau Senger hatte ihnen die Tür geöffnet, weil Ina vorhin in der Aufregung ganz vergessen hatte, ihren Haustürschlüssel mitzunehmen. Die Haushälterin bedachte sie mit einem besorgten Blick. „Soll ich einen Tee kochen?" Doktor Spengler nickte. „Ein Tee wäre gut. Ich habe mit Ina ein wichtiges Gespräch zu führen. Es wäre schön, wenn Sie dann auch dafür sorgen könnten, dass wir nicht gestört werden." Die ältere Dame nickte nur und verschwand mit schnellen Schritten. „So Mädchen, jetzt setz dich erst einmal." Ina nickte nur und ließ sich auf dem großen Sofa nieder. Doktor Spengler setzte sich neben sie und griff nach ihrer Hand. Ihr Blick schoss hoch, genau in seine gütigen Augen. Das waren aber die Augen von Doktor Spengler und nicht die von ihrem Vater. Er sollte hier sitzen und mit ihr reden. Und nicht der Familienarzt. Das war doch alles falsch! Egal, jetzt war es aber so. Und sie hatte eine Menge Fragen, die geklärt werden mussten. Da konnte sie nicht wählerisch sein, wer sie ihr beantwortete. Wichtig war nur, dass sie endlich erfuhr, was wirklich passiert war. War sie adoptiert? Und wenn, warum? Ina griff zu ihrer Tasche, die immer noch über ihrer Schulter baumelte und zog den Adoptionsantrag heraus. Eigentlich hatte sie ihn ihrem Vater unter die Nase halten wollen, damit er ihr alles erklären musste, aber irgendwie.....irgendwie hatte sie ihm dann doch nur einfach diese eine Frage an den Kopf geknallt, die sie so beschäftigte, dass sie nicht wirklich durchdacht vorging. Mit dem Schriftstück vor Augen hätte er sich nicht vor einer Antwort drücken können. „Ist das der Antrag, den du gefunden hast?" Doktor Spengler zog ihr das Papier aus der Hand und schaute darauf. In seinem Gesicht tauchte ein leichtes Schmunzeln auf, ehe er Ina wieder anschaute. „Ich kann mich noch ziemlich gut an den Tag erinnern, an dem deine Mutter diesen Antrag gestellt hat. Sie hat mich angerufen und gesagt, ich müsse nach der Sprechstunde hier vorbeikommen, um zu feiern. Mona war so glücklich, dass sie bald auch vor dem Gesetz deine Mutter sein durfte." Ina schaute Doktor Spengler überrascht an. „Vor dem Gesetzt? Heißt das, sie kannte mich da schon?" Auch wenn ziemlich viel auf sie gerade einprasselte, hatte sie doch einen scharfen Verstand, der immer alle Worte genau analysierte. Und vor dem Gesetz bedeutete ja, dass sie es real bereits war. Doktor Spengler gab ein herzliches Lachen von sich. „Aber natürlich, Ina. Deine Mutter kannte dich seit sie mit deinem Vater zusammen gekommen ist. Und vom ersten Tag an hat sie dich wie ihr eigenes Kind geliebt." „Sind Sie sich da ganz sicher?" Es war für Ina unglaublich wichtig zu wissen, dass ihre Mutter sie wirklich gewollt und geliebt hatte......dass das nicht alles nur Einbildung in ihrem Kopf war.....die Erinnerungen an die ganzen Momente, die sie mit ihrer Mutter gehabt hatte. „Natürlich bin ich mir ganz sicher. Mona und ich sind fast wie Geschwister aufgewachsen. Wir haben über alles geredet." „Und Papa ist wirklich mein Vater?" Ina war da noch etwas verwirrt von der Aussage ihres Vaters. „Ist er Mama fremdgegangen und ich bin ein Produkt seines Fehltritts, für den er gerade stehen musste?" Anders konnte es ja gar nicht sein. Natürlich war ihr Vater ein Mann, der sich nie vor seiner Verantwortung drückte. Ein bitteres Lachen entrang sich ihr. Außer heute! „Dein Vater hat deine Mutter von ganzem Herzen geliebt. Er wäre ihr nie fremdgegangen. Die einzigen weiblichen Wesen, die er neben ihr angeschaut hat, sind Natascha und du." „Aber wieso ist Mama dann nicht meine Mutter? Das verstehe ich nicht." Ja, das verstand Ina wirklich nicht. Wenn ihr Vater ihre Mutter so geliebt hatte - und das stand eigentlich auch für sie außer Zweifel - wieso hatte er sie dann mit einer anderen Frau gezeugt? „Weil du geboren bist, bevor dein Vater deine Mutter überhaupt kennengelernt hat. Als die beiden sich getroffen haben, war das die berühmte Liebe auf den ersten Blick....und nicht nur bei deinem Vater." Doktor Spengler schmunzelte. „Mona hat sich auch in dich auf den ersten Blick verliebt. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie sie mir von dem kleinen Babymädchen vorgeschwärmt hat." „Babymädchen?", fragte Ina erstaunt. „Ja", nickte der Arzt. „Du warst ja gerade einmal zehn Monate alt." Ina griff nach dem Adoptionsantrag. Sie tippte mit ihrem Zeigefinger auf das Datum. „Aber da war ich schon drei." „Ja, das stimmt, deine Eltern mussten erst ein Jahr verheiratet sein, ehe deine Mutter dich adoptieren konnte." Ina sprang auf und lief zum Kamin. Dort schnappte sie sich den schweren Bilderrahmen mit dem Hochzeitsfoto ihrer Eltern und starrte darauf. „Dann bin ich das kleine Blumenmädchen?" Doktor Spengler war auch aufgestanden und hat seinen Arm väterlich um ihre Schulter gelegt, während er das Bild gemeinsam mit ihr betrachtete. „Ja, das bist du. Deine Mutter hat extra das gleiche Kleid, das sie auch getragen hat, auch für dich schneidern lassen." Ina merkte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. Sie schaffte es nicht sie zu unterdrücken. „Ach komm her, mein Mädchen." Der Doktor zog sie in eine feste tröstende Umarmung. „Das ist schon ein ganz schöner Schock für dich. Das kann ich gut verstehen. Ich weiß, dass Mona es dir eigentlich zu deinem sechzehnten Geburtstag erzählen wollte......aber das konnte sie ja nicht mehr. Und dein Vater...." Der Doktor zuckte mit den Schultern. „hielt es nach ihrem Tod wohl nicht mehr für wichtig. Ich habe ihm oft genug gesagt, er soll es dir erzählen....aber du kennst ja seinen Dickschädel." Oh ja, den kannte sie. Es war trotzdem nicht in Ordnung ihr das zu verheimlichen, auch wenn ihre Mutter nicht mehr lebte. Im Moment hatte Ina das Gefühl, ihr ganzes Leben stand irgendwie auf dem Kopf.....nein, nicht ihr Leben, sondern das, was sie solange für ihr Leben gehalten hatte.
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Schuss und Treffer - in der zweiten Mannschaft ✔️ Teil 13
RomantikLinus und Ina sind schon seit zwei Jahren ein Paar. Gemeinsam führen sie das Bauunternehmen von Inas Vater, der seit seinem Herzinfarkt ein Pflegefall ist. Für Ina war der Weg in die Firma schon von kleinauf vorgezeichnet. Linus hatte sich sein Lebe...