3. Teil

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Die Händen wurden steif, der Stift wurde leer, und das Ding war kurz davor, ihrem kaputten Kopf den Finger zu zeigen und ein paar wacklige Gehversuche zu machen.
Doch das Schicksal ist scheiße und die Dummheit ist groß. Ein Zug fuhr ein und sie blieb sitzen.
Es waren nicht viele Menschen, die ausstiegen.
Einer hatte einen langen Mantel an, einen edlen Zylinder auf und begann sofort in den Mülleimern zu graben. Die meisten flüchteten schnell Richtung Untergrund, und drei leicht angetrunkene Türken, circa 18, richteten ihre Aufmerksamkeit auf mich: "Ey Kleine, suckst bestimmt gut!"
Zwanzig Minuten und meinem zermatschten Hirn wurden sie sympathisch.
Es dauerte noch rund eine Stunde, bis mein Zug nach Dortmund fuhr, also entschied ich mich mit ihnen mitzugehen und mich auf den Rücksitz ihres kleinen Autos zu quetschen. Wir fuhren los, "den Motor aufwärmen" und schafften es natürlich nicht rechtzeitig zurück. Meine Sitzpartner wechselten und ich ließ mir sogar ihre Namen ins Schrotthandy tippen: Rashid, Canserat und Toni Poyrayz.

Canserat war der erste - glaube ich -, und der mit Abstand charmanteste.
Er legte mir seine Jacke um, da ich zitterte wie sonstwas, und wir kuschelten. Ich kannte ihn nicht mal, ich Schlampe, und man kuschelt nicht einfach mit fremden Leuten. Aber hast du dich jemals so arg nach einer Umarmung gesehnt, nach etwas Wärme, dass du drauf und dran warst, deinen Heizkörper zu umklammern? (Vermutlich nicht, deshalb ist das eine rhetorische Frage.)
Siehst du, und ich hatte keinen Heizkörper. Ich hatte bloß Canserat.
Zumindest bis Toni kam und ihn verscheuchte. Toni sah gut aus und wirkte erfahren. Toni wollte nicht kuscheln, Toni hatte Durst. Und als ich seinen Kopf wegschob, packte ihn auch noch Hunger.
Der Löwe und das Lamm, der Teufel und die Sünderin. Mich wundert, dass meine linke Wange nicht so dunkelschwarz ist, wie sie sich anfühlt.

Wir hielten auf einem Parkplatz, irgendwo in Remscheid, sagte man mir. Da es für Solingen eh zu spät war, wollten wir versuchen den Zug noch in Dortmund abzufangen, was gar nicht so dumm gewesen wäre, denn wir hätten dafür noch rund drei Stunden Zeit gehabt und hätten es sicher ganz locker geschafft. Hätten.
Kein Mensch gibt gerne zu, dass er gewisse Vorurteile hegt, deshalb gibt es auch einen Grund, weshalb ich betonen musste dass die drei Türken waren. Denn sie redeten fast ausschließlich türkisch. Und sie hatten Stress, wie jeder ordentliche Türke, mit dem Vater eines Kumpels, dessen Neffe irgendwen nicht gemeinsam sehen durfte... blah, blubb.

Das Auto rührte sich keinen Zentimeter mehr, Canserat und Toni stiegen aus um sich mit ein paar Leuten zu zoffen und Rashid - der Große - rutschte auf den Rücksitz.
Draußen dämmerte es und Regentropfen kullerten die beschlagenen Fensterscheiben herunter.
Wir saßen eine Weile still rum, da man uns von draußen nicht hören sollte. Mit ihm war es anders. Komisch. Er machte nicht einfach - das war positiv; was daran lag dass die Chemie nicht so stimmte - das war negativ. Er forderte mich mehrmals auf näher zu rutschen, aber es war seltsam.
Wir sprachen über dies und das, er wollte sich die Haare karamellbraun färben und hatte Angst eine Glatze zu bekommen und ich riet ihm, sie nicht zu blondieren, da das bei Kerlen meist bescheiden aussieht.
Wir redeten über Schule und weshalb ich so weit weg von Zuhause war und verglichen unsere Hände - er hat Bärentatzen! - und irgendwann fand ich mich mit Jacken zugedeckt in seinem Schoß wieder.
Rashid war der einzige der drei mit Führerschein.
Rashid sah aus wie 22 und war erst 18.
Rashid hatte noch eine Zahnspange.
Rashid war strange und ich mochte ihn nicht und er mochte mich vermutlich auch nicht, aber ich hätte ihn gerne als großen Bruder gehabt. Und ich wollte meinen großen Bruder nicht küssen.
Dann klopfte jemand an die Scheibe und leuchtete ins Auto, er zog rasch die Jacke über meinen Kopf.
Ich frage mich, ob es von außen wohl so aussah, als hätte ich ihm gerade einen geblasen und ob das von ihm beabsichtigt war. Wie spät war es? Es roch nach Gras.

Jemand riss die Tür auf und zog mich samt Tasche raus. Ich war nicht überrascht.
Vor mir stand ein Koloss von Wagen mit drei Insassen. Am Steuer der Cousin von Keineahnungwem, der mich noch rechtzeitig nach Dortmund fahren sollte. Vertrauen also, mir blieb ja nichts anderes übrig.
Das war's dann - Hade Tschau. Ich hatte meine Wasserflasche bei Hassan vergessen.

Wie spät ist es?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt