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~Fianna~

Die Menschen sehen mehr, als man denkt, auch wenn sie nicht handeln. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie blind sein wollen, dass sie nicht sehen wollen.

...

Der Schultag ist vorbei. Ich habe mich aus dem Staub gemacht, sobald ich es endlich konnte. Meine Nase hat ein wenig geblutet und ich hoffe, dass man Tristans Handabdruck nicht mehr auf meiner Wange erkennt.

Ich hole den Hausschlüssel hervor und öffne die Tür. Nachdem ich eingetreten bin, schließe ich sie so leise wie möglich wieder. Hoffentlich hat Mom mich nicht reinkommen gehört. Ich schmeiße meine abgewetzte Lederjacke über den Kleiderständer und stelle meine Sneaker in den Schuhschrank. Schnell husche ich die Treppe hoch, laufe durch den Flur, biege links ab, gehe an meinem Zimmer vorbei und betrete das Badezimmer. Zu meiner linken befindet sich das Waschbecken mit einem Spiegel darüber. Ich betrachte mein Gesicht. Es ist kein roter Abdruck mehr auf meiner Wange, aber dafür färbt es sich langsam bläulich. Um mich abzulenken, möchte ich mich duschen. Vielleicht fühle ich mich danach besser, auch wenn ich noch nichts zu Mittag gegessen habe.

Vorsichtig streife ich mein T-Shirt und die Jeans ab, sowie meine Unterwäsche. Zum Glück trat Tristan nicht allzu stark zu, aber ich spüre es immer noch. Allerdings werden meine Pupillen schmal beim Anblick der Narbe auf meinem Rücken, die ich nur sehen kann, wenn ich mich von der Seite betrachte. Es ist eine hässliche, wulstige Narbe. Und ebenfalls ein Zeichen: X. Ein Kreuz, das dafür steht, wie nichtig ich bin.

Ich atme einmal tief ein, versuche mein Zittern in den Griff zu bekommen und stelle mich unter die Dusche. Das warme Wasser lässt mich etwas durchatmen, es entspannt mich. Während ich dusche, fällt mir auch wieder das Mal unter meinem linken Schlüsselbein ins Auge. Es sieht aus wie ein Sichelmond und ist tintenschwarz. Meine Eltern wollen nicht, dass jemand es sieht. Ich frage mich warum. Aber ich würde mich niemals trauen, diese Frage zu stellen. Als ich sechs war, habe ich danach gefragt. Und dafür hat mein Vater mir auf die Lippen geschlagen, sodass es blutete. Meine Eltern sind nicht die freundlichsten. Im Grunde genommen sind sie überhaupt nicht meine Eltern. Sie haben mich adoptiert, als ich noch ein Baby war. Manchmal frage ich mich, wie meine richtigen Eltern wohl wären. Ob sie mich besser behandeln würden, oder ob sie mich genauso mit Gewalt bestrafen würden. Ich weiß es nicht. Ich kann mir nicht einmal ausmalen, wie sie wohl aussehen. Meine Haare sind rabenschwarz und gewellt. Meine Lippen sind zwei dünne, geschwungene zartrosa Linien. Und meine Augen sind von einem gewöhnlichen blau-grau.

Ich drehe das Wasser aus. Dann schnappe ich mir ein Handtuch und trockne mich ab. Klamotten habe ich in meinem Zimmer, die nicht nach Erbrochenem und Blut stinken, weshalb ich das Handtuch um meinen Körper wickel, um durch den Flur zu laufen.

In meinen eigenen vier Wänden angelangt schließe ich die Tür und lasse mich dann erst einmal auf mein Bett fallen. Ich bin erschöpft. Aber das ist ein Gefühl, das mich wohl ständig begleitet. Meine Hände zittern, als ich mein Smartphone aus meiner Schultasche hervorhole. Ich habe eine WhatsApp von Yves:

»Hey, wie geht's? Wir haben uns lang nicht mehr gesehen. Lust morgen Abend vorm Millennium Park zu treffen?«

»Klar. Sieben Uhr?«

Ich weiß, dass ich mich eigentlich nicht gut genug fühle, um mich mit ihm zu treffen. Aber wir haben uns so lange nicht mehr gesehen und ich will nicht, dass er sich Sorgen um mich macht. Das sollte niemand.

...

»Fia, es gibt Abendessen!«, ruft Mom aus der Küche.

Aber ich fühle mich nicht gut. Mein Kopf schmerzt und mein Magen rebelliert. Ich will einfach nur schlafen und hoffen, dass es mir danach besser geht.

Sign Of The Crescent Moon | Those Void Words Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt