Kapitel 43

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Ina konnte immer noch nicht glauben, welchen Namen sie da gelesen hatte. Diese Frau konnte auf keinen Fall ihre Mutter sein. Das ging nicht. Nein, ihr Vater hatte doch einen viel besseren Geschmack. Das bewies ja alleine schon die Tatsache, dass er ihre Mutter geheiratet hatte. Ina schüttelte ihren Kopf. Dankend hatte sie das Angebot der Jugendamtsmitarbeiterin abgelehnt, ihr einen Kontakt mit ihrer leiblichen Mutter zu vermitteln. Das war nicht nötig. Den Kontakt konnte sie jederzeit selbst herstellen. Schließlich kannte sie die Frau, die sie geboren hatte schon lange genug, um zu wissen, dass sie keinen weiteren Kontakt zu ihr wollte. Das würde aber gar nicht so leicht werden. Da musste sie sich echt etwas einfallen lassen. Die Frage war nur was. So einfach würde es mit Sicherheit nicht werden, sie aus ihrem Leben zu verbannen, so wie sie es mit ihrem Kind versucht hatte.  Ja, versucht, denn das Schicksal war manchmal eine kleine Bitch und holte einen doch immer wieder ein. Die Frage war nur, wie Ina selbst mit ihrem Wissen jetzt umging? Dieser enormen Ablehnung, die sie für ihre leibliche Mutter empfand, stand nämlich der Drang gegenüber, sie zur Rede zu stellen. Aber so ein Gespräch müsste gut geplant sein. Alles, was Erfolg haben sollte, konnte man nicht einfach impulsiv machen, sondern musste es gut durchdenken. Das war aber auch gerade Inas Problem. Sie war viel zu aufgewühlt, um logisch zu denken und Pläne zu schmieden. Normalerweise wäre sie gleich mit ihren neusten Erkenntnissen zu ihrem Vater gestürmt und hätte erst einmal ihn zur Rede gestellt. Aber was sollte sie von dem Gespräch erwarten? Er hätte ihr ja nicht einmal die Adoption trotz aller Beweise eingestanden. Ganz zu schweigen von seiner sprachlichen Einschränkung, kannte sie ihren Vater gut genug. Er würde niemals über ein Thema reden, dass ihm widerstrebte. Er würde sie einfach blocken und wie ein kleines dummes Kind abtreten lassen. Der große Constantin Preetz war schließlich unantastbar und machte keine Fehler. Also musste er sich ihr auch nicht stellen. Selbst wenn er ohne Probleme sprechen könnte, würde er einen Grund dafür zur Hand haben, warum sie nie den Brief vom Jugendamt erhalten hatte. Wahrscheinlich würde er die Post oder den Briefträger dafür verantwortlich machen......oder die Haushälterin. Ina entwischte ein gefrustetes Lachen. Wahrscheinlich war das ganze Universum daran Schuld. Nur er nicht. Ein Constantin Preetz war nie an etwas Schuld.  Mit wem sollte sie aber dann über alles sprechen? Normalerweise wäre sie zum Grab ihrer Mutter gefahren und hätte ihr alles erzählt. Das schien ihr gerade heute aber auch irgendwie unpassend. Sie konnte sich doch nicht zu der Frau ans Grab stellen, die sie wirklich immer geliebt hatte und um sie besorgt war, und ihr von der anderen Frau, die eigentlich diese Frau hätte sein sollen, es aber nicht war, weil sie Ina nicht wollte, erzählen. Das ...... das schickte sich doch nicht. Ina spürte, wie ihr eine Träne über die Wange lief und sie löste ihre Hand vom Lenkrad, um sie sich wegzuwischen. Gerade heute vermisste sie ihre Mutter unendlich. Ja, ihre Mutter und nicht ihr Grab. Wenn sie noch leben würde, hätte sie ihr in dieser Situation mit Sicherheit zur Seite gestanden und ihr dabei geholfen einen Weg zu finden, wie sie mit dem Ganzen umgehen sollte. Ach Quatsch! Wenn ihre Mutter noch leben würde, wäre es gar nicht so zu der Situation gekommen. Sie hätte damals garantiert nicht den Brief verschwinden lassen, sondern hätte ihr alles erklärt und hätte sie zum Jugendamt begleitet als sie sechzehn war. Tja, hätte, wäre, wenn.....das half ihr jetzt aber gerade gar nichts. Unter dem Strich blieb die Tatsache, dass sie da wohl alleine durch musste. Okay, sie könnte mit Linus über alles reden. Aber das war irgendwie auch blöd. Sie wollte ihn da nicht in irgendetwas hineinziehen. Nein, das Wissen über ihre leibliche Mutter wäre für ihn garantiert eine Belastung. Und das wollte sie nicht. Am besten war, wenn sie ihr Wissen einfach verdrängte. Ja, das war für alle das beste. Sie musste sich nur zusammenreißen. Das würde ihr schon gelingen. Sie war immer kühl und durchdacht. Also würde sie es jetzt auch sein. In der Firma hatte sie schon früh von ihrem Vater gelernt, dass Gefühle einen nur vom erfolgreichen Weg abbrachten. Also hatte sie sie schon oft genug unterdrückt. Das würde ihr auch jetzt gelingen, wenn sie sich nur ausreichend bemühte. Ja, genau so würde sie es machen. Manchmal reichte es ja auch schon, einem Menschen aus dem Weg zu gehen. Das sollte ja nicht so schwer sein. „Bist du schon von der Firma zu Hause?" Natascha hatte die Fahrertür ihres Autos aufgerissen und strahlte sie breit an. Ihre Schwester hatte von dem Drama, das sich bei ihr abgespielt hatte, Gott sei Dank noch nichts mitbekommen. Das hatte Ina auch ziemlich Kraft gekostet, sich nichts anmerken zu lassen. Irgendwann musste sie aber mit Schischi über die neuen Erkenntnisse reden. Schließlich waren sie nur noch Halbschwestern. Wann war dafür aber der richtige Zeitpunkt? Das musste gut durchdacht sein. Mit ihren zwölf Jahren war sie dafür doch irgendwie noch zu jung. Oder nicht? War sechzehn das richtige Alter? Wahrscheinlich, sonst würde man das ja im Jugendamt nicht so handhaben. Ina konnte sich plötzlich vorstellen, wie es ihrer Mutter gegangen sein musste. Wahrscheinlich hatte sie sich die gleichen Gedanken gemacht. „Hast du auch ein Geschenk besorgt? Und Blumen?" Was bitte wollte Natascha von ihr? Was hatte sie für ein Geschenk besorgen sollen? Und wieso Blumen? Und vor allem für wen? „Sag jetzt nicht, dass du das vergessen hast." Ihre Schwester schaute sie empört an. „Dann müssen wir jetzt sofort los einkaufen." Ehe sie sich versah, saß Natascha auf ihrem Beifahrersitz. „Los, lass uns schnell zu dem großen Spielzeugladen fahren und auf dem Rückweg können wir ja noch bei der Gärtnerei anhalten." Ihre Schwester schloss den Sicherheitsgurt. „Hopphopp, oder worauf wartest du. Ich habe keine Lust nachher zu spät zu kommen, weil du hier nur träumst, Inibini. Dabei hast du versprochen etwas zu besorgen." Ina startete den Motor und fuhr los. In ihrem Kopf ging sie durch, wann sie da etwas versprochen hatte. Okay, in den letzten drei Wochen war ihr eine Menge durchgegangen. Wahrscheinlich hatte sie die Geburtstagseinladung für Schischi bei einer ihrer Freundinnen wirklich verpeilt. Nein, sie würde sich jetzt nicht die Blöße geben und nachfragen zu wessen Geburtstag ihre Schwester eingeladen war. Dann kauften sie halt schnell etwas und dann war gut. Sie würde es nachher schon erfahren, wenn sie sie dort ablieferte.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt