Kapitel 77) Fahr ruhig...!

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Lucas Sicht...

Ich schaffe es gerade nicht, das Gesagte zu verarbeiten. Eigentlich würde ich etwas sagen, aber mir fehlen einfach komplett die Worte. Stattdessen starre ich Leon einfach nur an. Nochmal für mich zum Verständnis. Leon hat mit elf Jahren einen Jungen geküsst und es hat ihn erregt, was darauf schließen lässt, dass es ihm gefallen hat. Aber dann kommt sein Opa und rastet völlig aus. Sein Opa hat ihm all den Schwulenhass beigebracht, unter dem ich so gelitten habe. Das ist gerade echt ein bisschen viel für mich.

„Du bist wohl überrascht, das war auch zu erwarten." Seine Worte holen mich aus meinen Gedanken. „Ehm ja, ich bin tatsächlich überrascht. Ausgerechnet du hast einen Jungen geküsst und es hat dir gefallen? Du kannst mir glauben, dass du auf jeden Fall der letzte Mensch bist, vom dem ich so eine Aussage erwarten würde." „Verständlich, aber ich bin nicht schwul oder so. Nach der Sache mit ihm ist sowas auch nie wieder passiert und ich habe nie mehr, auch nur eine Sekunde daran gedacht einen Jungen zu küssen. Keine Ahnung, was das damals war."

„Wissen Tim und Marc davon? Ich meine, Julian war ja auch ihr Freund und deshalb konntet ihr das sicher nicht verheimlichen, oder?" „Tatsächlich wissen die beiden nichts davon. Marc und Tim waren damals, als der Kuss passiert ist, in einem Sommercamp, auf das Julian und ich nie Lust hatten. Als sie zurückkamen war es schon passiert und ich hatte längst keinen Kontakt mehr mit Julian. Er hat auch den Kontakt zu den Beiden abgebrochen und ist komplett aus unserem Leben verschwunden. Ich hatte danach auch nicht mehr wirklich Zeit über alles nachzudenken, denn kurz darauf hatte mein Opa einen Herzinfarkt im Gefängnis und ist gestorben. Und nur wenige Wochen nach seiner Beerdigung, bekam meine Mama die Diagnose Krebs. Von da an drehte sich alles nur noch um Mama. Als sie dann starb und ich auf die neue Schule kam, traf ich dich und als ich erfuhr, dass du schwul bist, sind bei mir alle Erinnerungen an das, was mein Opa mir beigebracht hat, hochgekommen und ich habe meinen ganzen Hass an dir ausgelassen. Das Zusammenwohnen mit dir und die Tatsache, dass Marc auch schwul ist, hat mir allerdings die Augen geöffnet und ich habe begriffen, wie falsch ich die ganze Zeit gehandelt habe und wie falsch vor allem auch Opa gehandelt hat."

Ich weiß nicht warum, aber irgendwie berühren mich Leons Worte gerade sehr und es zeigt mir, dass er seine Reue wirklich ernst meint.

„Hast du nie mehr versucht mit Julian zu reden? Hattet ihr all die Jahre wirklich nie Kontakt?" „Nein, ich habe ja jahrelang durch meinen Opa geglaubt, dass Julian das verdient hat, was Opa gemacht hat, weil er mich zu abartigen Handlungen überredet hat. Und jetzt, wo ich das alles anders sehe, habe ich mich bis jetzt nicht getraut, mit ihm zu reden, weil ich mich für mein Verhalten schäme. Ich wüsste auch gar nicht, was ich zu ihm sagen sollte."

Klingt verständlich, trotzdem finde ich, dass Leon einen Fehler macht.

„Ich denke aber, dass du mal mit ihm reden solltest. Ihr wart beste Freunde und das ist so tragisch auseinander gegangen. Vielleicht ist er auch bereit mit dir zu reden. Wenn du ihm alles irgendwie erklärst, bin ich mir sicher, dass ihr euch aussprechen könnt. Er wirkte echt nett. Versuch es doch." „Meinst du?" „Ja, auf jeden Fall. Eigentlich hast du nichts zu verlieren."

Er will etwas sagen, aber da kommt Mama aus dem Garten und sie telefoniert, weshalb sie schnell unsere Aufmerksamkeit hat.

„Nein Kerstin, ich meine es ernst. Ich kann dieses Jahr echt nicht kommen. Es ist schade, aber es ist leider nichts daran zu ändern. Wir sehen uns am Dienstag auf Arbeit wieder, bis dann."

„Mama, was ist los? Worum ging es gerade?" Kerstin ist Mamas Arbeitskollegin und sie sind auch privat befreundet. „Es geht um den jährlichen Betriebsausflug. Der ist dieses Wochenende, aber ich habe Kerstin gerade gesagt, dass ich dieses Jahr nicht dabei bin."

Living with my Enemy....!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt