Prolog

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Ich stand auf einer Wiese, vermutete ich. Um mich herum waberte undurchdringlicher Nebel. Ich konnte nicht einmal meine Füße sehen, nichts als Leere neben, über und unter mir.

Ich streckte vorsichtig die Arme aus und lief ein paar Schritte. Meine Hände waren tastend, weit von mir gestreckt.

"Hallo? Ist da wer?", rief ich in das Unbekannte hinein. Keine Antwort. Was hatte ich denn erwartet?

Vorsichtig machte ich noch einen Schritt und noch einen. Als ich stehen blieb fiel mir die plötzliche Kälte auf und ich begann zu frieren. Der Nebel war kalt, feucht und dicht. Die Nässe in der Luft ließ meine Haare sich an den Spitzen kringeln. Der Nebel gab mir das unschöne Gefühl verschluckt worden zu sein und niemals wieder das Tageslicht zu sehen.

Wie war ich hier eigentlich gelandet? Ich erinnerte mich nicht. Plötzlich stieß etwas Warmes gegen meine ausgestreckte Hand. Ich schrie auf und wollte meine Arme zurück an meinen Körper ziehen, aber das Etwas legte sich um meine Finger.

Ich konnte nichts erkennen, jedoch bemerkte ich nach einigen Augenblicken, dass es sich um eine Hand handelte. Und nicht meine. Jemand verschränkte seine Finger mit meinen. Seltsamer Weise ließ ich es zu und hatte nichts dagegen. Es fühlte sich sogar gut an, mir war nicht einmal mehr kalt. Es fühlte sich an als ob die Körperwärme der Person in meinen Körper überging. Und andersherum.

"Wer bist du?", fragte ich im Flüsterton in die Dunkelheit. Die Person trat näher und ich konnte ihre Silhouette erkennen, es war ein Junge in etwa meinem Alter-nach der Größe schätzend. Ich wollte noch einen Schritt machen, um ihn besser sehen zu können, doch auf einmal fiel ich auf den Boden. Unsere Finger verloren den Halt, unsere Hände lösten sich voneinander. Auf einmal kehrte die ganze Kälte zurück in meinen Körper. Während des Fallens sah ich wie durch Milchglas eine Kindheit an mir vorbeiziehen. Ich konnte die Person nicht erkennen, aber ich wusste, dass es sich um den Jungen handelte, der vor mir stand.

Die Bilder blitzen plötzlich vor meinem inneren Auge auf und waren genauso schnell wieder verschwunden. Kurz bevor ich mit dem Kopf auf den Boden aufschlug, hatte ich das ganze Leben des Jungen wie aus weiter Entfernung beobachten können. Am Ende sah ich für den Bruchteil einer Millisekunde das Gesicht des Jungen in der Gegenwart.

Mein Kopf donnerte auf den Boden. Bevor der Schmerz einsetzen konnte, fuhr ich schweißgebadet aus meinem Bett hoch. Die Decke lag zusammengeknüllt am Fußende, ich schwitzte und fror gleichzeitig. Das war der erste Traum gewesen, den ich jemals geträumt hatte. Es war der erste Junge gewesen, den ich jemals gesehen hatte. Und das machte mir verdammt nochmal Angst. Denn eigentlich waren das zwei Dinge, die niemals in meinem Leben passieren sollten.





Mein Bett war eklig feucht. Ich hatte wohl in echt nicht so gefroren. Ich holte die graue Bettdecke von meinen Füßen und zwang mich, mich wieder zuzudecken.

Ich hätte eigentlich gar nicht wach sein dürfen. Ich hätte eigentlich gar nicht träumen dürfen. In meinem Leben war sonst alles glattgelaufen. Was war jetzt also mit mir kaputt?

Wieder einzuschlafen war schwieriger, als ich gedacht hatte. Eine halbe Stunde wälzte ich mich herum und musste immer wieder an den Jungen aus meinem Traum denken. Wieso war er dort gewesen? Wieso hatte er sich so vertraut angefühlt?

Ich grübelte lange darüber nach. Einschlafen konnte ich jetzt vergessen, also setzte ich mich auf und schaute mich um. Mein Bett stand, wo es immer stand. Und es sah aus wie es immer aussah. Ein graues Gestell mit grauem Laken und grauer Bettwäsche. Die Nachtlampe neben mir, auf dem Nachtschrank, leuchtete nicht.

Verdutzt hob ich sie hoch und drückte auf den Knopf. Das Licht ging flackernd an. Komisch, ich hatte es am Abend angeschaltet da war ich mir sicher.

Ansonsten hätten die mich auch nicht schlafen lassen. Mein Blick schweifte durch den riesigen Saal. Auf jedem Nachtschrank von jedem Mädchen leuchtete die Lampe. Und alle schliefen.

Oasis- Kein EntkommenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt