70 - Samstag, der 17.12.

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Und dann war er da. Der 17. Dezember, Andreas' Todestag. Viel schneller als gedacht. Schon die letzten Nächte lag Gina oft stundenlang wach und grübelte. Je länger sie grübelte, umso stärker spürte sie die innerliche Anspannung, die immer allgegenwärtiger wurde. Mit einem Kloß im Hals und einem einschnürendem Gefühl in der Brust setzte sich Gina auf und schaute auf ihr Handy. Es war gerade mal kurz vor 7 Uhr und an Schlaf war schon jetzt nicht mehr zu denken. Wenigstens hatte sie ein paar Stunden seit dem letzten Alptraum geschlafen, einem der vielen, die sie in den letzten Nächten heimsuchten und ihr den erholsamen Schlaf raubten. Auch Elisa war manchmal in der Nacht zu ihr ins Zimmer gekommen und hatte sich zu ihr ins Bett gelegt, um nach einem schlechten Traum wieder einschlafen zu können.

Für den Bruchteil einer Sekunde schlich sich ein Lächeln auf Ginas Lippen, als sie Michaels Nachricht auf ihrem Handy sah, die er um kurz nach halb 7 geschickt hatte.

"Morgentermine sind echt nicht meins...bin seit kurz vor 5 Uhr wach, um kurz vor 6 war das Interview bei der Morgenshow...sind jetzt fertig und auf dem Weg wieder heim in die Berge. Endlich! Wenn die Autobahnen frei sind, bin ich Mittags bei euch. Gina, egal wann oder wegen was. Schreib mir, ruf mich an, wenns dir nicht gut geht und du mit mir reden willst. Dasselbe gilt auch für Elisa. Bis später, halt durch, du packst das, auch der Tag geht irgendwann vorbei. See u, P."

In den letzten Tagen hatte Gina sich Michael gegenüber mehr und mehr geöffnet, was ihre Alpträume anging. Manchmal, wenn die Angst und die Panik wieder übermächtig schienen, hatte sie ihm mitten in der Nacht geschrieben. Und fast immer kam wenige Minuten später eine Antwort. In einer Nacht, in der ihr Alptraum so real war, dass sie einige Minuten brauchte, um zu verstehen, dass es nur ein Traum war, wusste sich Gina nicht anders zu helfen und rief ihn einfach an. Um 3 Uhr, mitten in der Nacht. Und wieder hatte Michael sein Versprechen gehalten, für sie da zu sein. Nach nur ein paar Mal klingeln ging er ans Handy, wenn auch zunächst noch im Halbschlaf und hörte ihr zu. Und diesmal war es Gina nicht einmal mehr peinlich oder unangenehm, vor ihm zu weinen.

Da an Schlaf eh nicht mehr zu denken war, stand Gina auf und schlurfte leise die Treppe hinab ins Wohnzimmer, um sich auf die Couch zu lümmeln und sich durch ihre Serie abzulenken. Doch auch das half nichts und Gina stand wieder auf und ging weiter in die Küche, um sich einen Tee zur Beruhigung zu machen. Das Einzige, das sie gerade beruhigte war, dass ihre Eltern nebenan im Gästezimmer nächtigten und sie somit nicht alleine war. Elisa wollte sie noch schlafen lassen, die letzten Nächte hatten auch bei ihr Spuren hinterlassen und sie hatte Donnerstag und auch Freitag nach der Schule noch ein paar Stunden geschlafen, um den Schlaf nachzuholen.

Während das Teewasser kochte, schrieb sie Michael zurück:
"Guten Morgen, danke für alles, Paddy! Bis später, Gina."

Nur Sekunden später wurden die Haken blau und Michael schrieb zurück.

"Wie ist die Lage? Gehts einigermaßen? Ist jemand bei dir? Bin jetzt 5h lang im Auto, meld dich einfach."

Kurz fühlte Gina in sich hinein, bevor sie ihm zurückschrieb.

"Naja, im Moment nicht katastrophal, aber auch nicht gut. Angespannt, rastlos, ich konnte nicht mehr weiterschlafen... Ich bin nicht alleine, Mum und Dad sind im Gästezimmer, Elisa schläft noch, die braucht den Schlaf."

Als Gina alleine am Tisch saß und ihren Tee trank, überkamen sie wieder die Erinnerung an früher, als Andreas noch lebte. Wenn er zuhause war, war er immer derjenige, der am Wochenende schon früh auf war und das Frühstück vorbereitete, bevor er Gina und Elisa weckte. Mit Tränen in den Augen starrte sie aus dem Küchenfenster, wo die ersten Schneeflocken des Tages herunterrieselten. Draußen im Garten lag mittlerweile über 10cm Schnee, aber selbst das konnte ihre Stimmung in den letzten Tagen nicht in die Höhe heben.

Have faith in the dark - MPKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt