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„Okay Marion, sie hat einen Schock und wird höchstwahrscheinlich gleich die nächste Panikattacke bekommen.", redet Phil mit der Sanitäterin. Zum ersten Mal verspüre ich richtige Angst und hoffe, dass Mama nichts passiert ist. „Phil.", sage ich mit zittriger Stimme. „Ja?", fragt er besorgt. „Ich hab Angst.", gebe ich ehrlich zu und beginne zu weinen. Er guckt mich überfordert an, da er wahrscheinlich nicht weiß, wie er mit mir umgehen soll. „Schon gut. Du musst dich trotzdem beruhigen.", spricht er mit sanfter Stimme auf mich ein und verlädt mich dann in einen anderen RTW. Nachdem ich mich etwas beruhigt habe, setzt er sich zu mir und sofort fällt mir wieder ein, dass ich ihn eigentlich hasse. „Ich will hier weg.", nörgle ich und versuche mich hinzusetzen. „Nein, das lässt du schön sein.", sagt er und drückt mich wieder runter. Dann laufen die Tränen wieder einen Marathon. „Was ist mit Mama?", frage ich verheult. „Deine Mama ist im Krankenhaus. Ihr wird es schnell wieder besser gehen aber jetzt müssen wir uns um dich kümmern.", sagt er und holt ein paar Utensilien zusammen. Warte, was hat er vor? Ich sehe eine Nadel, Pflaster, einen Schlauch und Desinfektionsmittel. Nicht schon wieder.

Flashback:
Erneut bekomme ich eine Spritze, da ich mich gegen die Tablette gewehrt habe. Nahrung geben sie mir über die Sonde, die in meiner Nase steckt. Der Arzt steht vor mir, zieht die Spritze auf und beugt sich dann über mich. Ich schüttle mich so kräftig, wie ich kann, doch er trifft und mal wieder tut es höllisch weh. Was spritzt er mir denn immer?

„Liv, hier bin ich.", holt mich Phil aus dem Flashback. Dieses Mal hielt er nicht so lange an, wie sonst. „Du hattest wieder ein Flashback, nicht war?", fragt er besorgt, woraufhin ich nichts antworte. Die Nadel liegt da noch genauso, wie vorher. „Hast du Angst vor Nadeln?", fragt er, als er meinen ängstlichen Blick bemerkt. Ich schüttle mit dem Kopf und drehe mich dann weg. „Okay. Ich muss dir nämlich jetzt einen Zugang legen. Dafür brauche ich deinen rechten Arm.", sagt er und wartet auf irgendeine Regung, meines Körpers. „Ganz sicher nicht.", protestiere ich und ziehe meine Arme noch näher an mich ran. „Liv.", seufzt er. „Was?", antworte ich genervt. „Überleg doch mal. Wenn ich dir den Zugang nicht lege, werden es die Ärzte im Krankenhaus tun und da du noch minderjährig bist, wird deine Mutter oder das Jugendamt darüber entscheiden, wenn deine Mutter es nicht kann. Mich kennst du doch schon, also lass es mich doch machen. Ich bin auch ganz vorsichtig.", erklärt er mir, was sonst passieren würde. Ich lass mich trotzdem nicht von ihn anfassen. Er ist Arzt und ein Mann. Hallo? Eine schlimmere Kombination gibt es nicht. „Nein! Und ich gehe jetzt.", sage ich und stehe auf. „Es tut mir leid, Liv. Wir können dich nicht gehen lassen.", sagt er und schließt die Türen. „Marion, fahr los.", brüllt er gegen die Scheibe. Sofort setzt sich das Auto in Bewegung. „Du bist richtig scheisse, weisst du das? Ich hasse dich!", sage ich und blicke ihn finster an. Er erwidert darauf nichts und schreibt irgendwas auf einen Zettel.
Die restliche Fahrt mit dem RTW verlief schweigend, bis wir anhalten und Phil aufsteht. Er öffnet die Türen und sofort erkenne ich einen Eingang mit der Aufschrift ‚Notaufnahme' und viele Personen mit blau-weißer Kleidung. Darunter auch eine Frau mit einem weißen Kittel. „Hey Phil. Was bringt ihr?", fragt diese Frau, ich denke mal die Ärztin. „Das ist Olivia Müller, 15 Jahre alt, Bauchtrauma nach Verkehrsunfall, sowie Schock. Weitere Untersuchungen konnten wir nicht einleiten, da sie die Behandlung verweigert.", rattert Phil alles runter, während sie mich in einen Raum fahren, voller Kabel, schränke, Medikamente und der Geruch von Desinfektionsmittel. Scheisse, was mache ich hier? Ruckartig setze ich mich auf, nachdem sie mich umgelagert haben. Phil und die Ärztin halten mich zurück und legen mich wieder hin. „Ah das hatte ich ganz vergessen. Sie will öfters mal abhauen.", sagt Phil und zwinkert mir zu. Ekelhaft. „Okay, mein Name ist Tabea Rohde. Ich bin hier die Diensthabende Ärztin. Kannst du mir sagen, wo du schmerzen hast?", fragt die Ärztin mich, doch ich bleibe stumm. „Tabea kommst du kurz mal?", fragt Phil und zeigt nach draußen. Sie nickt und verschwindet mit ihm. Als die Tür hinter ihnen zu fällt, nutze ich die Gelegenheit, um mit der Schwester zu sprechen. „Sie müssen mir helfen.", flehe ich sie an. „Wobei?", fragt sie nur und kommt näher. „Ich muss hier weg. Nach Hause. Sie sind die einzige, der man hier vertrauen kann.", antworte ich, obwohl ich nicht mal weiß, ob ich ihr vertrauen kann. Jedoch mehr als einen dieser bescheuerten Ärzte. „Das kann ich nicht machen, du hast eine Bauchverletzung, die behandelt werden muss.", erklärt sie mir, woraufhin die Tür wieder geöffnet wird. „So, Liv. Ich muss jetzt wieder gehen. Mach es der Ärztin bitte nicht all zu schwer ja? Werde schnell wieder gesund.", sagt er und dreht um, Richtung Tür. Scheisse, was mach ich denn jetzt. Auch wenn ich es nicht wahrhaben will, aber Phil ist der einzige, den ich hier kenne und der mir bestimmt bei Seite stehen würde. Woher kommt eigentlich plötzlich dieser Gedanke? „Phil?", frage ich, warum auch immer. Er dreht sich um und schaut mich fragend an. „K-kannst du hier bleiben?", stottere ich, da mir das alles andere als angenehm ist. „Wieso das denn? Tabea ist eine gute Ärztin, sie kann das ohne mich.", antwortet er, kommt aber trotzdem näher. „Und du hasst mich doch eh und bist angewidert von mir. Denkst du nicht, dass es dann besser wäre, wenn ich gehe?", stellt er mir die Frage, welche ich beim besten Wille nicht beantworten kann. Nach einigen Sekunden stille, schüttle ich mit dem Kopf. „Hm?", fragt er, da er das wohl nicht versteht. „Du sollst nicht gehen.", spreche ich es nun endlich aus. Oh Gott ist mir das peinlich und eigentlich will ich es auch nicht, aber alleine sein, mit Leuten die ich nicht kenne, will ich auch nicht. Er guckt mich einige Sekunden verwirrt an und geht dann kurz vor die Tür. Ich kann hören, dass er telefoniert. Dann kommt er wieder rein. „Na schön, ich bleibe hier. Ich verstehe zwar noch nicht, wieso aber ich mache es.", sagt er und lehnt sich an einen der Schränke und verschränkt die Arme. Durch seine Anwesenheit fühle ich mich gleich besser, obwohl ich es eigentlich nicht sollte, da er mir immer noch ein Dorn im Auge ist.

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Man liest sich im nächsten Teil:)

Der Grund zum kämpfen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt