Kapitel 9

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Während es sich die Mädchen am frühen Nachmittag gut gingen ließen, hatte sich die Stimmung im Chevy deutlich abgekühlt. Sobald er den Motor gestartet hatte, hüllte Matthew sich in grüblerisches Schweigen.

»Welche Laus ist dir plötzlich über die Leber gelaufen?«, fragte Dave nach einer Weile.

Die Stadt hatten sie bereits hinter sich gelassen und fuhren jetzt über die Landstraße in Richtung Monterey.

Matthew ließ sich Zeit mit der Antwort. »Glaubst du ihre Geschichte?«

Auch ohne die Nennung eines Namens, war es nicht schwer zu erraten, um wen es ging. Dave fuhr sich nachdenklich durch die Haare. »Dass sie in einen fremden Auto saß und den Fahrer nicht kannte, ja. Oder zumindest nicht erkannte. Ihre Panik, als sie den Ford gesehen hat, war echt. Das kann man nicht spielen.« Dave seufzte und zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht. Es gibt noch zu viele offene Fragen, um mir da ein klares Bild zu machen.«

Matthew gab ein Brummen von sich, das alles bedeuten konnte. »Ich traue ihr nicht«, murmelte er.

»Ist mir kaum aufgefallen«, kommentierte Dave trocken.

Keine Antwort.

»Liza mag sie.«

Matthew schnaubte. »Liza sieht in erster Linie jemanden, der Hilfe braucht. Du weißt doch, wie sie ist.«

»Mag sein, aber sie hatte schon immer eine sehr gute Menschenkenntnis.«

»Wie auch immer«, winkte Matthew ab. »Ich hab kein gutes Gefühl dabei. Auch Liza kann sich mal irren.«

Dave musterte ihn mit gerunzelter Stirn. »Warum so misstrauisch?«

Matthews Augenbrauen wanderten nach oben. »Da passt einfach viel zu viel nicht zusammen. Punkt ein ist diese Entführungsgeschichte.«

»Das war doch eigentlich nur so dahergesagt.« Dave dachte kurz nach. »Andererseits würde es erklären, warum sie weder Auto und Fahrer noch das Ziel kannte.«

Matthew schnaubte. »Was ist das für eine Entführung, bei der das Opfer ganz normal, wie ein gewöhnlicher Fahrgast auf dem Beifahrersitz mitfährt?«

Dave klappte den Mund auf und gleich wieder zu. Das war tatsächlich ein sehr guter Punkt.

»Punkt zwei: Ist dir gestern nicht aufgefallen, dass sie uns bisher keine einzige persönliche Frage beantwortet hat? Wir wissen de facto nichts über sie.«

Nachdenklich stimmte Dave ihm zu. »Ja, das ist mir auch aufgefallen. Aber nicht jeder breitet gleich beim ersten Treffen seine Familiengeschichte aus.«

»Zumindest der Wohnort wäre wichtig gewesen.«

»Sie wohnt in LA.«

Matthew hob die Augenbrauen. »Ach ja? Hat sie das gesagt?«

Dave ließ die Gespräche noch einmal Revue passieren und runzelte dann die Stirn. Wenn man es genau nahm, hatte Matthew recht. Mel hatte nie explizit gesagt, dass sie in LA wohnte. »Mal ehrlich: Bist du jetzt nicht ein wenig kleinlich?«

Matthew zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Vielleicht nicht. Aber das ist nicht das einzige, was mich stört. Okay, weiter. Punkt drei: Warum hat sie niemanden informiert?«

»Weil niemand da ist? Kann doch sein, dass ihre Eltern tatsächlich nicht im Lande sind.«

»Ja, was für ein Zufall«, stieß Matthew zynisch hervor. »Mich würde ja schon interessieren, wo die sich gerade aufhalten, dass sie nicht erreichbar sind. In der heutigen Zeit? Aber gut, nehmen wir mal an, das ist die Wahrheit. Würde mir so etwas passieren, würden mir zig andere Personen einfallen, die ich stattdessen informieren würde und die mich irgendwie unterstützen könnten. Verwandte, euch, eure Eltern, unsere Nachbarn, Freunde aus der Schule, sogar Lehrer. Aber Mel hat niemanden informiert, oder? Diese Freundin ist auch passenderweise unerreichbar. Aber das kann doch nicht die einzige Person, neben ihren Eltern sein. Sie kommt mir nicht vor wie jemand, der sozial isoliert ist.«

Too Many LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt