The scars of the soul

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Leicht angetrunken schlurfte er durch die Menge, die gespannt in den pechschwarzen Nachthimmel blickte, der in wenigen Augenblicken farbenfroh explodieren würde. "Scarlett!", rief er über das allgemeine Gemurmel hinweg und bahnte sich seinen Weg durch eine kleine Gruppe Betrunkener. //Wo sind sie?// Gerade beschloss er, dass sie wohl in einem anderen Abschnitt der Masse waren, und wandte sich um, als sein Bein hängen blieb und er den Boden näher kommen sah. Ayden fing sich mit den Unterarmen auf dem klebrigen Asphalt ab und fluchte leise. Bei näherem Hinsehen erkannte er, dass seine Ellenbogen leicht aufgeschürft waren und er in einer Pfütze trüber, gelblicher Plörre lag. Bier? "Was will'n der Spackn hier?", drang eine nuschelige, etwas zu laute Beschwerde an sein Ohr. Innerhalb weniger Sekunden stand er wieder auf den Beinen und sah einem der Betrunkenen in die zornigen Augen. "Kannst du nicht besser aufpassen, Freundchen?", tadelte dieser ihn lautstark und besprühte dabei das Gesicht des schwarzhaarigen Mannes mit nach Alkohol stinkender Spucke, "Willste dich prügeln oder was?" Er hatte Aydens Pullover an der Brust gegriffen und seine Fingerknöchel liefen bereits weiß an von dem Druck, den er auf den Stoff ausübte. Wäre er nüchtern gewesen, wäre er vermutlich bedachter vorgegangen und hätte es geschafft, die Situation zu entschärfen, doch in diesem Moment brachte er nur eines heraus: "Versuch's halt, Schwächling!" Sofort beförderte eine mit voller Wucht auf seine Nase prallende Faust einige Blutspritzer auf die zweite Hand des Angreifers. Der Schwarzhaarige öffnete leise keuchend den Mund und spürte, wie einige Tropfen seine Oberlippe hinunterliefen und ihm auf die Zunge fielen. Von einem auf den nächsten Moment entfesselte sich ein unbändiger Sturm in seinem Inneren und ließ ihn den folgenden Schlag in die Rippen und das Gebrüll und Gejohle der Gruppe ausblenden. Er biss die teilverwandelten Fangzähne aufeinander und versuchte, die mühsam gefesselte Bestie wieder anzuketten. Gerade begann sich die Sicht des Mannes wieder zu klären und gab den Blick auf seine Situation frei, da spürte er erneut eine mit voller Wucht auf sein Gesicht treffende Faust, die seinen Kopf in den Nacken schleuderte. Aydens Blick war in den rabenschwarzen Himmel gerichtet, in dem just in diesem Moment eine blutrote Sonne explodierte und einen Wimpernschlag später einen ohrenbetäubenden Knall von sich gab. Seine dunklen Augen weiteten sich und funkelten honiggelb auf. Wie von unter Wasser hörte er einen Schrei der puren Panik, der blanken Angst aus seiner Kehle gellen und in ein schokiertes Jaulen übergehen. //NEIN!// Er fühlte sich, als reiße er in zwei Hälften und versuchte, sich zu beruhigen, bekam jedoch nicht genug Luft, um klar zu denken. Die Schnappatmung ließ seinen Brustkorb erzittern und gab ihm das Gefühl, ersticken zu müssen. Dunkle Krallen brachen aus seinen Fingerspitzen hervor und unter lautem Geschrei ließ der Betrunkene ihn wieder zu Boden fallen. Sein schwarzer Rollkragenpullover saugte sich an der Seite, auf die er fiel, mit der nach Alkohol stinkenden Flüssigkeit der Pfütze voll, was er jedoch nicht bemerkte, da seine Gedanken zu benebelt, zu wirr waren. Erneut drang ein markerschütterndes, schmerzerfülltes Jaulen aus seiner Kehle hervor und er schlang die "Arme" um den Körper, um sich von der gefürchteten Verwandlung in die nachtschwarze Bestie abzuhalten, jedoch hatte dies nur einen brennenden Schmerz zur Folge. Warm troff das in der Dunkelheit der Nacht pechschwarze Blut unter dem zerrissenen Stoff hervor und stach ihm mit seinem eisenlastigen Geruch in die Nase. Unter Schmerzen streckte er den Rücken durch und spürte Fell, welches mit dem Gefühl von unzähligen spitzen Nadeln aus seiner verschwitzten Haut spross und den schwarzen Timberwolf zum Vorschein brachte, der in ihm gelauert hatte. Ein dunkler Schleier legte sich über Aydens Sicht und er konnte nur noch an eines denken: Rache. Die Krallen des Tieres klackerten rhythmisch über den Asphalt, während es durch die Menge preschte, um die Typen ausfindig zu machen. Diese hatten zwar versucht, zu flüchten, doch ihre Angst brannte sich wie Säure in seine Nase und führte ihn schnell zu ihnen. Wut flammte unbändig wie ein Funken in der Trockenzeit auf und entfachte binnen Sekunden das Feuer des blanken Hasses in ihm. Ohne weiter darüber nachzudenken, spannte er die Muskeln an und sprang ab. Die kalte Nachtluft peitschte ihm ins Gesicht und brannte ihm in den Augen bis er auf den Brustkorb des anderen prallte und somit zum Stehen kam. Dieser fiel rücklings zu Boden und ließ einen markerschütternden Schrei der blanken Panik hören, als Ayden die Erschütterung berstender Rippen unter den Pfoten spürte. Stets benebelt vom Biest in ihm schnappte der Wolf nach dem, sich bereits vor Schmerz windenden, Menschen und vergrub die spitzen Fangzähne tief in seiner Schulter. Genugtuung durchflutete ihn einen eiskalten Moment lang, ehe sich der dichte Nebel legte und er wieder einigermaßen zu Sinnen kam. Der Wandler erkannte, was er getan hatte und machte einen Satz rückwärts. //Nein... NEIN!// Erneut verfiel er in eine hektische Schnappatmung und begann, am ganzen Leib zu zittern. Einen quälenden Moment lang hob der andere den Kopf und sah ihm direkt in die honiggelben Augen, ehe sein Kopf zurücksackte. Morddröhnend drang das Jaulen eines Krankenwagens an seine Ohren, doch Ayden blendete es aus und stand einige Sekunden lang wie in einem Alptraum dort, einem Alptraum, in dem man sich nicht bewegen konnte, zusehen musste, wie schleckliche Dinge passierten, aber nichts tun konnte. Bewusst losgelaufen war er nicht, aber dennoch fand er sich als nächstes in den Hintergärten des nahegelegenen Wohnortes wieder. Dort preschte er über den perfekt frisierten Rasen unter der unberührten Schneedecke, setzte über die weißen Lattenzäune hinweg und erreichte schließlich die Hintertür seines Hauses. Binnen weniger schrecklicher Sekunden stand er wieder als schwarzhaariger, blutüberströmter Mann dort und öffnete mit zitternden, mit kaltem Schweiß überfluteten Händen die Tür. "Scarlett", hörte er eine unsichere, kaum hörbare Stimme aus seinem Hinterkopf hervordringen und trat ein, schloss die Tür mit einem leisen Klicken. Gleißend hell explodierte das Licht der Deckenlampe vor seinen Augen und brannte dunkle Flecken in die Netzhaut des Mannes. "Wo...", begann seine Frau, sich nach seinem vorigen Verschwinden zu erkundigen, stockte jedoch, "Was ist passiert?" Auf einmal klang ihre Stimme brüchig, als könne sie jeden Moment bersten und zu einem schrillen Kreischen des puren Entsetzens mutieren. Er trat einen Schritt auf sie zu, seine Frau, die schneebedeckten Schuhe noch an, die 2-jährige, schlafende Tochter auf dem Arm, den sie jedoch ohne zu zögern rückwärts machte. "Schatz, was...?", fragte er zittrig und sah sie fassungslos an. "Komm nicht näher!", kreischte sie plötzlich, während der blanke Horror in ihren himmelblauen Augen funkelte, "Du hast es getan, nicht? Du hast die Kontrolle verlohren!" Wie Säure fraßen sich ihre Worte in das Herz des Wandlers und ergaben in seinem Kopf erst nach und nach einen Sinn. //Sie hat Angst vor mir. Sie hält mich für ein Monster. Ich BIN ein Monster!// Salzig und warm liefen Tränen ihr Gesicht hinunter und tropften von ihrem Kinn. Einen Moment lang stand Ayden wie versteinert dort und sah seine Frau entsetzt an, ehe er erst ganz langsam rückwärts trat und die Tür öffnete und schließlich innerhalb weniger Sekunden in die kalte Nachtluft hinaus davongejagt war. Weg von Scarlett. Weg von Luna. Weg von seinem so perfekten Leben, das er nun nie wieder würde führen können.

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